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Initiative für mehr bezahlbaren Wohnraum wird abgelehnt

Wohnungsbesichtigung
Keystone / Gaetan Bally

Die Volksinitiative für mehr bezahlbaren Wohnraum wurde mit rund 57% Nein-Stimmenanteil abgelehnt. Damit tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft.

Die Volksinitiative «Mehr bezahlbare WohnungenExterner Link» des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes forderte, dass mindestens zehn Prozent der Neubauten «bezahlbar» sind, also gemeinnützig oder genossenschaftlichExterner Link

Laut gfs.bern wurde die Volksinitiative mit 57,1% abgelehnt. Das ist deutlich. Die Stimmbeteiligung war mit 41.2 Prozent unterdurchschnittlich.

In Städten wie Basel und Genf gab es hingegen – wenig erstaunlich – ein Ja zur Initiative. In den städtischen Zentren ist der Mietmarkt angespannt, während in peripheren Gebieten in jüngster Zeit eher Leerstand und sinkende Mieten zu beobachten sind. 

Nicht nur zwischen Stadt und Land klafft ein Graben, sondern auch zwischen der Deutsch- und Westschweiz: Die Kantone Genf, Jura, Neuenburg und Waadt haben die Initiative angenommen. Die Deutschschweizer Kantone waren mit Ausnahme des Kantons Basel-Stadt geschlossen gegen die Initiative.

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Die Ablehnung ist keine Überraschung. Wie viele linke Volksbegehren stiess auch die Initiative des Mieterinnen- und Mieterverbands zunächst auf Sympathie. Erste Umfragen deuteten noch auf eine klare Annahme hin. Im Lauf der Kampagne setzten sich dann aber die gegnerischen Argumente durch. Wenige Wochen vor der Abstimmung lagen die beiden Lager etwa gleichauf, der Trend hatte da aber schon deutlich ins Nein gedreht.

Günstigere Wohnungen

Die Initiative war vom Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband lanciert und von SP, Grünen, Gewerkschaften, Wohnbau-, Studierenden- und Rentnerorganisationen unterstützt worden. Sie verlangte von Bund und Kantonen, dass gesamtschweizerisch mindestens 10 Prozent der neugebauten Wohnungen im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträger sein müssen.

Dieses Ziel sollte unter anderem dadurch erreicht werden, dass Kantone und Gemeinden ein Vorkaufsrecht für geeignete Grundstücke hätten einführen können. Beim Verkauf von Grundstücken im Eigentum des Bundes oder bundesnaher Betriebe hätten sie in jedem Fall ein Vorkaufsrecht gehabt.

Bei einer Annahme der Initiative wäre die Wohnungsnot in den Städten vermutlich nicht verschwunden. Möglicherweise hätte die neue Verfassungsbestimmung aber den Anstieg der Mieten etwas gebremst, weil im gemeinnützigen Wohnungsbau grundsätzlich keine Gewinne erwirtschaftet werden. Die Mieten liegen rund 20 Prozent tiefer als jene in kommerziellen Liegenschaften. Ein Slogan der Initianten lautete denn auch: «Spekulanten stoppen!»

Falsche Anreize

Die bürgerlichen Parteien-, Hauseigentümer- und Wirtschaftsverbände waren vom Gegenteil überzeugt. Sie warnten vor steigenden Grundstückspreisen, sollten Kantone und Gemeinden unter dem Druck der Quote auf dem Immobilienmarkt mitmischen. 10 Prozent hielten sie ohnehin für unrealistisch. Heute liegt der Anteil Wohnungen im Eigentum gemeinnütziger Wohnbauträger bei knapp 4 Prozent.

Der für die Wohnbauförderung zuständige Bundesrat Guy Parmelin hatte in der Abstimmungskampagne auch vor falschen Anreizen gewarnt: Weil die 10-Prozent-Quote nicht allein in den städtischen Gebieten erreicht werden könne, müsse an Orten gebaut werden, wo es bereits zu viele Wohnungen gebe.

Für kontraproduktiv hielt das gegnerische Lager auch die Forderung, dass subventionierte Sanierungen nicht zum Verlust von preisgünstigen Mietwohnungen führen dürfen. Damit wollten die Initianten Luxussanierungen verhindern. Die Gegner warnten, dass unter diesen Umständen weniger energetische Sanierungen gemacht würden.

Sie wiesen auch darauf hin, dass sich der Wohnungsmarkt seit Einreichung der Initiative erholt habe. Die aktuelle Leerwohnungsziffer von 1,66 Prozent gibt allerdings einen Durchschnittswert an, in vielen Städten herrscht immer noch Wohnungsnot. Dort sind auch die Mieten weiter gestiegen.

Kontroverse um Kosten

Schliesslich führten die Gegner die Kosten ins Feld. Obwohl unklar war, wie die Initiative umgesetzt werden sollte, ging der Bundesrat von Mehrkosten von 120 Millionen Franken pro Jahr aus. Die Zahl sorgte bei den Befürwortern für rote Köpfe, sie sprachen von Irreführung des Stimmvolks. Ihrer Meinung nach handelt es sich nicht um Kosten, weil die Darlehen mit Zins zurückgezahlt werden.

Der Bundesrat hatte für seine Kostenschätzung die Subventionen zugrunde gelegt, die heute für den gemeinnützigen Wohnungsbau gewährt werden. Damit konnten über die Jahre hinweg jeweils rund 1500 Wohnungen gefördert werden. Aktuell sind diese Mittel aber grösstenteils vergeben.

Als indirekten Gegenvorschlag stockte das Parlament daher die Mittel für zinsgünstige, rückzahlbare Darlehen um 250 Millionen Franken über zehn Jahre hinweg auf. Damit kann der gemeinnützige Wohnungsbau etwa im gleichen Umfang wie bisher unterstützt werden. Nachdem die Initiative abgelehnt ist, tritt der indirekte Gegenvorschlag in Kraft.

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Reaktionen auf das Nein

Der Zuspruch in den Städten sei ein klares Zeichen, dass das Problem teurer Wohnungen gross sei, relativierte die Generalsekretärin des Mieterinnen und Mieterverbandes (MV), Natalie Imboden, das Nein zur Wohnbau-Initiative. Das Nein-Komitee habe mit unredlichen Argumenten gekämpft. Das Argument, die Umsetzung der Initiative koste 120 Millionen Franken, sei unredlich gewesen. Es gehe hier um Darlehen, die zurückgezahlt werden. 

Das «Killerargument» der hohen Kosten der Gegner der Wohnbauinitiative sei verlogen gewesen, sagte auch Initiant Balthasar Glättli. Er räumte ein, den Initianten sei es zu wenig gelungen aufzuzeigen, dass die in der Initiative vorgeschlagenen Mittel sehr föderalistisch hätten wirken können. Er hoffe nun, dass die Gegner Hand böten, um die «Wohn-Notlage» in den Städten anzugehen.

Der verfängliche Titel der Wohnbauinitiative habe beim Stimmvolk keinen Widerhall gefunden, kommentierte Hans Egloff vom Hauseigentümer-Verband (HEV) das Nein zum Begehren. Von der Deutlichkeit des Resultats zeigte er sich trotzdem überrascht. Egloff relativierte den Stadt-Land-Graben in einer Reaktion gegenüber dem Schweizer Fernsehen SRF. Das Beispiel der Stadt Zürich zeige, dass es bereits gute und griffige Massnahmen gebe.

Für den Präsidenten des Schweizerischen Städteverbandes, Kurt Fluri, ist das Nein des Stimmvolks zur Wohnbauinitiative insofern positiv, als dass Wohnungsfragen nun jenen Ebenen zugewiesen würden, von denen sie behandelt werden müssten, nämlich von Kantonen und Gemeinden.

Das sagt der Bundesrat

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Der Bundesrat zeigte sich an der Medienkonferenz erleichtert. Laut Wirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP) hat die Schweizer Stimmbevölkerung erkannt, dass das bisherige System angemessen funktioniere. Bestehende Probleme auf dem Mietmarkt müssten lokal gelöst werden.

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