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Regisseur Xavier Koller blickt mit 80 Jahren nach vorne

Keystone-SDA

(Keystone-SDA) Xavier Koller ist der erste Schweizer Regisseur, der einen Oscar gewonnen hat. Filme wie «Reise der Hoffnung» oder «Der Schwarze Tanner» sind längst zu Klassikern geworden. Nun wird der Meister der Regie aus Schwyz 80 Jahre alt.

«Ich schaute und schaue immer nach vorne», sagte Xavier Koller im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Auch in Hinblick auf seinen achtzigsten Geburtstag am heutigen Montag. Das unbekannte interessiere ihn viel mehr als das, was man bereits wisse. Natürlich sei er auch dankbar für seine erfüllte Neugierde und all die Erfahrungen, die er machen konnte. Aber eben: Die Zukunft interessiert den Regisseur mehr als die bisherigen Meilensteine.

Xavier Koller wurde 1944 in Schwyz geboren, lebte dann in Ibach und Brunnen sowie später im aargauischen Mellingen. Er machte eine Lehre als Feinmechaniker, arbeitet parallel in einem Kino. «Ich war in die Tochter des Kinobesitzers verliebt, wurde darum Platzanweiser und durfte später Filme projizieren», sagte Koller lachend, «So hatte ich auch die Filmrollen in der Hand, atmete den Geruch von Film ein, und konnte so viele Werke anschauen.» Die Spiellust trieb Koller an, er wollte Clown werden. Doch es kam alles ein wenig anders. An der Schauspielschule Zürich machte er nach seiner Lehre die Schauspiel-Ausbildung.

Lieber hinter als vor der Kamera

Erste Rollen hatte Koller beim Theater in der Schweiz und in Deutschland. Und schon während der Ausbildung arbeitete er als Darsteller in der Werbung. Es folgte der Spielfilm. «Der Kameramann Kurt Aeschbacher fragte mich, ob ich mit ihm einen Film machen würde», sagte der Regisseur, der damals, Ende der 1960er Jahre noch Schauspieler war. Ein Drehbuch fehlte, Koller und Aeschbacher machten sich ans Schreiben. So entstand der erste Film von Koller als Regisseur. «Fanö Hill» hat eine Laufzeit von etwas mehr als 50 Minuten und entstand 1969. Das Werk wurde an den Solothurner Filmtagen gezeigt und gewann dort gleich zwei Auszeichnungen.

«Ich merkte: Eigentlich stehe ich lieber hinter als vor der Kamera», sagte Koller. 1972 folgte mit «Hannibal» der zweite Film in der Regie von Koller. Er habe sich immer auf seine Intuition verlassen: «Klar flog ich auch auf die Nase, doch ich stand wieder auf.» Schliesslich könne man nichts gewinnen, wenn man nichts riskiere. Und tatsächlich: Für seinen Film «Reise der Hoffnung» (1990) gewann er im darauf folgenden Jahr den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Koller war der erste Schweizer Regisseur, dem diese Ehre zuteil wurde.

Aussenseiter im Zentrum

«Dass der Film einen Oscar gewonnen hat – das war sehr überraschend». Der Film erzählt von einer alevitischen Familie, die aus der Türkei in die Schweiz flüchtet. Das Thema Flucht sei nicht populär gewesen, so Koller: nicht im politischen Diskurs und auch nicht im Medium Film. Koller wollte das ändern. «Reise der Hoffnung» erzählt von einem Vater, seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn, die versuchen über den verschneiten Splügenpass in die Schweiz zu flüchten. Der 7-jährige Sohn stirbt.

«Als ich die Geschichte gelesen hatte, war ich sehr betroffen wegen der Risiken, die Menschen eingingen, um sich eine bessere Zukunft zu schaffen. Darum musste ich den Film machen», so Koller. Es sei eigentlich schlimm, dass der Film immer noch aktuell ist – denn die Probleme der Migration hätten sich seit damals enorm verstärkt.

«Reise der Hoffnung» handelt von Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Es ist das Thema, welches der Schwyzer Regisseurs in seinen Filmen aufgreift: «Menschen, die nicht gegen die Gesellschaft sind, aber an deren Rand leben», präzisierte er. In «Der Schwarze Tanner» von 1986 geht es um einen Schweizer Bauern während des Zweiten Weltkriegs, der sich gegen staatliche Vorgaben wehrt und im Gefängnis landet. «Das gefrorene Herz» von 1980 handelt von einem Landstreicher, der seinem Freund ein anständiges Begräbnis ermöglichen will und die habgierigen Bewohner eines Dorfes austrinkst.

Den Menschen zugeneigt

«Leben, die von Hindernissen geprägt sind und wie diese überwunden werden, das finde ich spannend», sagte Koller. Dabei hätten seine Dramen auch viele komödiantische Aspekte in sich, weil das Leben voller Komödie sei. Jedoch macht sich der Regisseur nie über seine Figuren lustig; er lacht nicht über sie, sondern mit ihnen. Die menschliche Komödie entstehe durch Zuneigung, die auch dem Gegenspieler gelte.

Heute lebt der Koller in der amerikanischen Filmmetropole Los Angeles, in Zürich und in Italien. «Überall ein wenig», wie er im Gespräch sagte. Immer wieder erhalte er positive Reaktionen auf seine Filme, auch auf die älteren. «Offenbar hat sich die Qualität gehalten», so der Regisseur.

Kollers bislang letzter Film erschien 2015. «Schellen-Ursli» ist auf dem fünften Platz der erfolgreichsten Schweizer Filme von 1976 bis 2023. 456’989 Personen sahen sich dem Film im Kino an. Der Spielfilm gewann zudem den Zürcher Filmpreis sowie einen Schweizer Filmpreis für die beste Kameraführung. Zu Kollers Gesamtwerk gehören unter anderem «Gripsholm» (2000), «Eine wen iig, dr Dällebach Kari» (2011) und «Die schwarzen Brüder» (2013). Daneben entstanden seit 2015 Werbespots und Drehbücher.

Koller arbeitet derzeit an einem weiteren Projekt. Auf die Frage, ob er nun, mit 80 Jahren – wie jüngst sein Kollege Francis Ford Coppola mit «Megalopolis» – eine gross angelegte Bilanz präsentieren wird, gibt sich Koller verschmitzt: «Eigentlich möchte ich gerne einen kleinen Film machen, aber das klappt irgendwie nicht.» Die grossen Geschichten reizten ihn, aber sein Antrieb sei die Neugierde und – eben – der Blick nach vorne.

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