Scholz drängt Erdogan zur Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern
(Keystone-SDA) Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für eine verstärkte Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern in die Türkei stark gemacht.
Der Kanzler habe betont, dass es dafür «einen belastbaren Mechanismus» geben müsse, hiess es am Freitagabend nach dem etwa zweistündigen Abendessen im Kanzleramt aus deutschen Regierungskreisen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe solle nun bald Ergebnisse dazu vorlegen.
Beim Streitthema Nahost-Konflikt habe sich das Gespräch auf die humanitäre Lage im Gazastreifen, der Freilassung von Geiseln der Hamas sowie die Sorge vor einer regionalen Eskalation konzentriert. Man habe auch über längerfristige Perspektiven für den Gazastreifen und den Nahost-Konflikt gesprochen, hiess es. «Der Bundeskanzler unterstrich die deutsche Haltung der Solidarität mit Israel und verurteilte in aller Klarheit den terroristischen Anschlag der Hamas.»
«Terrorstaat» und «Faschismus»: Erdogan wiederholt Vorwürfe nicht
Erdogans Besuch in Deutschland, der erste seit fast vier Jahren, war wegen dessen scharfer verbaler Attacken gegen Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg umstritten. Der türkische Präsident hatte die Ermordung vieler Hundert israelischer Zivilisten beim Terrorangriff am 7. Oktober zwar verurteilt, die dafür verantwortliche Hamas aber später als «Befreiungsorganisation» bezeichnet. Israel warf er dagegen einen «Genozid» (Völkermord) im Gazastreifen und «Faschismus» vor, bezeichnete das Land als «Terrorstaat» und stellte sein Existenzrecht infrage.
In der Pressekonferenz mit Scholz vermied Erdogan jedoch eine weitere Eskalation. Auch auf Nachfrage wiederholte er die Vorwürfe des Völkermords und des Faschismus gegen Israel nicht. Er zweifelte auch die Legitimität Israels nicht erneut an und verzichtete darauf, die Hamas als «Befreiungsorganisation» zu titulieren.
Neue Spitzen gegen Israel und Deutschland
Allerdings gab es neue Spitzen des türkischen Präsidenten. Israel beschuldigte er, mehr Geiseln zu halten als die mehr als 200 der Hamas im Gazastreifen. Seit Jahren seien «Geiseln und Gefangene» in Israels Händen und «bei weitem mehr» als in den Händen der Hamas. Auf was genau Erdogan sich bezog, blieb aber offen.
Deutschland warf der türkische Präsident verklausuliert vor, Israel wegen seiner historischen Schuld für den Holocaust zu stark in Schutz zu nehmen. Israel habe Tausende Palästinenser getötet, Krankenhäuser vernichtet, Gebetshäuser und Kirchen zerbombt. «Warum gibt es keine Reaktion?», fragte er. Er selbst könne frei reden, «denn wir schulden Israel nichts», sagte Erdogan. Sein Land sei ja nicht am Holocaust beteiligt gewesen. Von Scholz gab es dazu keinen Kommentar.
Scholz: «Sehr unterschiedliche Sichtweisen»
Der Kanzler hatte die Verbalattacken Erdogans gegen Israel schon vor dem Gespräch als «absurd» zurückgewiesen. In der Pressekonferenz war er darauf bedacht, kein weiteres Öl ins Feuer zu giessen. «Dass wir zu dem Konflikt sehr unterschiedliche Sichtweisen haben, ist ja kein Geheimnis», sagte er.
Beide Politiker stimmten darin überein, dass kurzfristig humanitäre Feuerpausen zur Versorgung der Zivilbevölkerung und langfristig eine Zwei-Staaten-Lösung mit einem friedlichen Nebeneinander von Israelis und Palästinensern nötig seien.
Zügige Ausweitung der Imam-Ausbildung vereinbart
Nach dem Gespräch wurde aus deutschen Regierungskreisen eine lange Liste mit Ergebnissen des Gesprächs verbreitet. Die beiden hätten sich auf eine zügige Ausweitung der Imam-Ausbildung in Deutschland verständigt, um die Entsendungen von Imamen aus der Türkei schrittweise zu beenden. Scholz habe Erdogan auch Unterstützung beim Wiederaufbau von Bildungseinrichtung nach dem verheerenden Erdbeben vom Februar dieses Jahres zugesagt, bei dem Zehntausende Menschen ums Leben kamen. Die beiden seien sich zudem einig gewesen, «dass Russland weiter dringend aufgefordert» sei, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden. Der Kanzler habe für die noch ausstehende Ratifizierung des schwedischen Nato-Beitritts durch die Türkei geworben und die Entspannung im Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland gewürdigt. Erdogan wird am 7. Dezember auch nach Athen reisen.
Erdogan: Nicht auf Eurofighter angewiesen
Kurz vor Erdogans Ankunft drängte die Türkei auf ein deutsches Ja zum Kauf von Eurofighter-Jets. Verteidigungsminister Yasar Güler hatte am Donnerstag gesagt, die Türkei beabsichtige 40 der Kampfflugzeuge zu kaufen und habe bereits die Zustimmung von Grossbritannien und Spanien. Nun wolle man Deutschland überzeugen. Scholz äusserte sich in der Pressekonferenz nicht dazu, ob Deutschland dem Export zustimmen werde.
Ein Ja zu dem Rüstungsexport gilt als unwahrscheinlich. Die Bundesregierung genehmigt schon seit Jahren nur noch wenig Rüstungsgüter an den Nato-Partner Türkei. In der gemeinsamen Pressekonferenz sagte Erdogan, es gebe viele Länder, die Kampfflugzeuge herstellten, nicht nur Deutschland. «Das kann man natürlich auch von anderen Ländern besorgen.»