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Sieg des Pragmatismus für die Bildung

Das Verdikt war deutlich: Das Schweizer Stimmvolk will das Schulsystem vereinheitlichen. Keystone

Das deutliche Ja des Schweizer Stimmvolks zu den Bildungsartikeln in der Verfassung ist eine Absage an den Bildungsföderalismus.

Lange Zeit galt die Souveränität der Kantone in der Bildung als unantastbar. Die Abstimmung vom Wochenende markiert nun einen Wendepunkt.

Ein deutliches Zeichen für einen vereinheitlichten Bildungsraum Schweiz hat das Schweizer Stimmvolk am Sonntag gegeben. Die so genannte Bildungsverfassung wurde mit über 85% Ja-Stimmen angenommen.

Die Vereinheitlichung der Bildung in der Schweiz war wenig umstritten. Bereits vor der Abstimmung hatte seltene Einigkeit geherrscht: Eine grosse Mehrheit des Parlaments, die Landesregierung (Bundesrat), die Bildungsdirektoren der Kantone sowie fast alle Organisationen und Verbände hatten sich dafür stark gemacht.

Das überdeutliche Resultat drückt aus, dass viele Menschen mit der heutigen Situation nicht zufrieden sind. In der modernen mobilen Gesellschaft von heute wird es nicht mehr verstanden, wenn in der Bildung grosse Unterschiede zwischen den Kantonen bestehen.

Wendepunkt

Die Abstimmung vom Wochenende markiert einen Wendepunkt in der Bildung. Diese war in der föderalistischen Schweiz historisch bedingt bisher Sache der Kantone.

Dies soll sich nun ändern, jedoch nicht grundsätzlich: Die Kompetenz soll bei den Kantonen bleiben, der Bund soll nur dann eingreifen können, wenn sich die Kantone in der Vereinheitlichung nicht einigen können.

Mit der nun verabschiedeten Lösung verspricht sich eine Mehrheit der Stimmenden ein moderneres und wettbewerbsfähiges Schulsystem, auch im Vergleich mit anderen Ländern in Europa.

Dazu beigetragen haben könnte auch das enttäuschende Abschneiden der Schweizer Schüler bei der PISA-Studie. Im Jahr 2000 war die Schulleistung in 31 Staaten verglichen worden, die Schweiz war dabei mehrheitlich im unteren Mittelfeld anzutreffen.

Klarer Auftrag

Das deutliche Ja des Stimmvolks ist auch ein klarer Auftrag an die Kantone: Diese sind nun gefordert, die Harmonisierung anzupacken. Das Projekt Harmos könnte ein erster Ansatz dazu sein. Auch die Hochschulen werden enger zusammen arbeiten müssen.

Aber auch der Bund muss im Auge behalten, dass die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ihren Zeitplan für die Harmonisierung einhält. Parlament, Bundesrat und Verwaltung stehen damit gleichwertig in der Verantwortung.

Keine regionalen Unterschiede

Keine Unterschiede gab es diesmal im Stimmverhalten der Regionen: Sowohl Stadt und Land wie auch alle Landesteile sagten fast gleichermassen deutlich Ja.

Einzig die Kantone Appenzell Innerrhoden (59% Ja) und Tessin (60% Ja) scherten etwas aus. Die Vorlage war in diesem Kantonen etwas umstrittener. Die höchste Zustimmung war mit 92,9% Ja-Stimmen im Kanton Bern zu verzeichnen.

Sehr deutliches Ja

Das klare Ja zur neuen Bildungsverfassung gehört zu den deutlichsten Volksentscheiden, die in den letzten zehn Jahren in der Schweiz gefällt wurden.

Ähnlich hohe Ja-Anteile wurden nur noch bei den Abstimmungen über die Justizreform im März 2000 (86,4% Ja) und die neuen Verfassungsbestimmungen über die Transplantations-Medizin im Februar 1999 (87,8% Ja) erzielt.

Die tiefe Stimmbeteiligung von nur 27,2% spiegelt allerdings auch das eher geringe Interesse an dieser kaum umstrittenen Vorlage. Es war die zweittiefste Beteiligung bei einer eidgenössischen Volksabstimmung überhaupt. Die tiefste erreichte 1972 die Abstimmung über den Schutz der Währung und die Stabilisierung des Baumarktes mit 26,7%.

Über eine Vereinheitlichung des Bildungssystems war in der Schweiz bereits einmal abgestimmt worden. 1973 nahm das Stimmvolk diese mit 53% zwar an, sie scheiterte damals jedoch knapp am Nein der Kantone, dem Ständemehr.

swissinfo, Christian Raaflaub

Schlussresultat:
Ja: 85,6%
Nein: 14,4%
Alle Kantone sagten Ja
Stimmbeteiligung: 27,2%

In der föderalistischen Schweiz unterstehen die öffentlichen Schulen der Hoheit der jeweiligen Kantone. Das Schweizer Bildungssystem ist damit von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt.

Die geänderten Bildungsartikel in der Verfassung geben dem Bund nun neue Kompetenzen in der Bildung. Der Sektor soll jedoch in der Kompetenz der Kanone bleiben.

Die vom Stimmvolk gutgeheissene Vorlage sieht die Schaffung eines einheitlichen Bildungsraums Schweiz vor, von der ersten Klasse bis zur Universität.

Die Pflicht zur Harmonisierung liegt bei den Kantonen, der Bund darf nur dann korrigierend eingreifen, falls die Kantone keine Lösung finden.

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