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Familie Rothenbühler vor dem Spaziergang

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Liebe Schweizerinnen und Schweizer im Ausland

"Wir haben ein Leben mit angezogener Handbremse geführt", sagen Janaina und Mike. Die beiden Eltern reden über ein Thema, das in der Schweiz tabuisiert ist: der unerfüllte Kinderwunsch. 

Unsere Redaktorin Alexandra Kohler hat ihnen zugehört und ein ganz aussergewöhnliches Protokoll erarbeitet.

Liebe Grüsse aus Bern

Familie Rothenbühler vor dem Spaziergang
© Thomas Kern/swissinfo.ch

Zehn Jahre lang hat ein Schweizer Paar versucht Kinder zu bekommen. Lange haben sie mit niemandem über ihren unerfüllten Kinderwunsch gesprochen. Heute haben sie Zwillinge. Sie wollen helfen, das Tabuthema zu brechen.

Von Alexandra Kohler

«Wann wollt ihr denn Kinder?», «Gibt’s bei euch keinen Nachwuchs?», «Bei uns hat es sofort geklappt!». Solche Sätze hörten Janaina und Mike Rothenbühler aus dem Aargau ständig. Nett gemeinte Nachfragen wurden zur Hölle auf Erden. Janaina und Mike, heute 38 und 49 Jahre alt, haben über zehn Jahre lang versucht Kinder zu bekommen. Das Paar ist nicht allein: ca. 10 Prozent der Schweizer Paare mit Kinderwunsch bleiben ungewollt kinderlos.

Das Paar hat gemeinsam vieles durchgemacht. Hormonbehandlungen, künstliche Befruchtung, Fehlgeburt. Heute haben sie Zwillinge. Aber Aimara und Inaiê waren beides Frühgeburten: Denn schon in der 28. Schwangerschaftswoche kamen sie auf die Welt, wurden aufgepäppelt, haben überlebt. Heute sind die Zwillinge wohlauf. Ein Happy End also? So einfach ist es nicht. Janaina und Mike erzählen, wie es ihnen erging.

Janaina: Wir lernten uns 2006 kennen, wir waren sofort wahnsinnig glücklich miteinander. Es hat alles gestimmt, das Kinderthema habe ich dann bald angesprochen. Ich wollte immer Kinder haben.

Mike: Für mich war es nicht ganz so ein zentrales Thema, denn ich habe schon einen Sohn aus einer früheren Beziehung. Für mich hätten beide Wege gestimmt und so probierten wir es.

Janaina: Als ich nach einem Jahr nicht schwanger wurde, haben wir bei mir den Hormonstatus getestet und bei Mike den Samen untersuchen lassen. Das Ergebnis sagte, wir sind beide fruchtbar. Es gab keinen Grund, warum es nicht klappen sollte. Ich hätte mir gewünscht, dass uns die Ärzte sagen: das und jenes stimmt nicht bei euch, das können wir beheben.

Mike: Und in deinem Umfeld wurden alle schwanger, das war schlimm.

Janaina: Ja, und dann diese Tipps. Du musst nur entspannen, haben sie mir gesagt, verkrampf dich nicht, denk nicht so viel daran. Aber so einfach ist das nicht!

Zwei Jahre nach dem Entscheid, ein Kind zu bekommen, lassen sich Janaina und Mike von Ärzten helfen. Die Mediziner führen mehrere IUI’s durch, bei der der Frau der Samen direkt in den Uterus gespritzt wird. Aber Janaina wird nicht schwanger.

Mike: Ich musste regelmässig mein Sperma im Spital abgeben. Jedes Mal musste ich mit meinem Döschen mit der Flüssigkeit durch einen langen Gang gehen und dann immer diese Fragen beantworten: Wie lange ist es her, Herr Rothenbühler? Das war mir so unangenehm, ich fühlte mich wie auf der Schlachtbank.

Janaina: Ich konnte dich verstehen, und trotzdem war das ja – also aus meiner Perspektive – eigentlich nicht schlimm. Ich musste mehr über mich ergehen lassen.

Janaina wird noch immer nicht schwanger. Sie ist verzweifelt, Mike auch, die beiden streiten. Nicht zu wissen, warum es nicht klappt, belastet beide. Weihnachten ist die Hölle, überall Babies und Kinder. Die Familie weiss nicht, dass Janaina und Mike seit Jahren versuchen, Kinder zu bekommen.

Janaina: Ich wollte einfach kein Mitleid. Und das war unsere Privatsache. Die meisten verstehen es auch einfach nicht, was man da durchmacht. Ich fühlte mich lange, als führten wir ein Leben mit angezogener Handbremse. Weil man denkt immer: vielleicht klappt es diesen Monat. Dann haben wir zum Beispiel auf Ferien verzichtet oder andere Dinge.

Mike: Und der Druck, den du mir gemacht hast, der war sehr gross. Sex war nur noch getimt, und nur noch dazu da, um schwanger zu werden… Wir hatten einige Beziehungskrisen. Aber wir haben uns wieder zusammengerauft.

Vier Jahre nach dem ersten Kinderwunsch raten die Ärzte, es auf einem anderen Weg zu probieren. Das Thema künstliche Befruchtung steht im Raum, also die Injizierung von Sperma in die Eizelle im Reagenzglas. Janaina ist offen dafür, Mike will es zuerst nicht.


Mike: Dass mein Kind in einem Reagenzglas entstehen soll? Ich war skeptisch. Je mehr ich wusste, nämlich, dass die Natur den grössten Teil übernimmt, desto mehr konnte ich es mir vorstellen. Ein Arzt in einer damals neuen Klinik in Olten hat mich dann überzeugt.

Janaina: Anfangs mussten wir oft zum Arzt, aber das war es Wert. Und dann, der erste Versuch: Ich war schwanger! Wir waren so glücklich. Die Hoffnung wurde aber schnell zerstört, denn ich hatte kurz darauf eine Fehlgeburt. Es folgte eine schwere Zeit. Ich habe viel geweint und dachte: Jetzt werde ich vielleicht niemals Kinder haben. Du warst damals mein Fels in der Brandung, Mike, darüber war ich froh.

Ans Aufgeben wollte das Ehepaar Rothenbühler nicht denken. Sie versuchten es nochmal: hormonelle Behandlung, Eizellen entnehmen, befruchten, wieder einsetzen. Wieder Hoffnung, dass es klappt. Und wieder Ernüchterung, als die befruchteten Eier sich nicht einnisten. Wieder Leben mit angezogener Handbremse. Janaina ging jetzt auf die vierzig zu, sie hat Angst, dass sie irgendwann nicht mehr genug Eier hat.

Janaina: Der Kinderwunsch, die Fehlgeburten, es war sehr viel. Auf diese Gefühle hat mich niemand vorbereitet.

Mike: Dazu kam noch mein Alter. Ich habe immer gesagt, ab fünfzig gibt es kein Kind mehr. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir auch ohne Kinder leben können.

Aber das Paar probierte es nochmal. Wieder von vorn: Hormonbehandlung, Eizellen entnehmen, befruchten, von den zehn befruchteten Eizellen sind diesmal vier brauchbar. Einsetzen, hoffen. Und dann, auf einmal, die Einnistung hat geklappt. Janaina ist schwanger mit Zwillingen. Endlich, nach zehn Jahren.


Mike: Meine Frau hatte sich so lange ausgemalt, wie wunderschön es sein würde, schwanger zu sein. Und dann ging es ihr nicht gut.

Janaina: Ich war müde, mir war schlecht, ich mochte nichts vertragen. Ich konnte es auch lange nicht glauben, dass ich nun wirklich schwanger war. Ich hatte Angst, die Babies wieder zu verlieren. Und dann kam schon der Schock: eine Schwangerschaftsvergiftung in der 28. Schwangerschaftswoche, ich musste in den Notfall.

Mike: Es wurde ein Notkaiserschnitt gemacht. Die beiden Mädchen wurden mit 750g und 1100g auf die Welt geholt. Sie waren winzig, kleiner als ein Kilo Mehl, mit schwarzen Augen, sie sahen aus wie Aliens. Es war schrecklich.

Janaina: Du durftest aber wenigstens zu ihnen. Ich habe sie erst nach einem Tag gesehen und berührt.

Endlich durften Janaina und Mike dann die Kinder eines nach dem anderen mit nach Hause nehmen. Endlich waren sie zu viert zusammen, mit ihren Zwillingen.



Janaina: Der Alltag ist stressiger als viele denken. Obwohl es wunderschön ist, komme ich oft an meine Grenzen. Mit zwei Einjährigen alleine in die Badi gehen – das geht kaum. Jetzt so langsam wird es einfacher.

Ihre Erfahrungen, die sie in all den Jahren gemacht hat, will Janaina an Frauen und Männer mit Kinderwunsch weitergeben. Sie hat mehrere Workshops und eine Weiterbildung zum Kinderwunsch-Coach gemacht. 

Janaina: Der Austausch mit Frauen in der gleichen Situation in Blogs und Foren hat mir am meisten geholfen. Jetzt will ich auch helfen. Ich würde auch gern helfen, das Tabu-Thema «Kinderwunsch» zu brechen. Es wird zu wenig darüber geredet, was alles auf einen zukommen kann, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt. Von den Kosten bis zu den Gefühlen.

Mike: Ja, jetzt wissen wir so viel mehr als am Anfang. Ein paar Dinge wir mit mehr Vorwissen anders gemacht. Wir hätten uns bestimmt früher mit dem Thema künstliche Befruchtung auseinandergesetzt, beispielsweise.

Die Rothenbühlers haben heute zwei gesunde Mädchen, nach langem Warten und viel Leid. In Olten im Kinderwunsch-Zentrum ist noch ein befruchtetes Ei eingefroren. Ob sie es auftauen, es nochmal probieren wollen?

Janaina: Einerseits ist die Vorstellung, es zu «töten», sehr schlimm. Und ich wäre gern nochmal schwanger, und würde es gern einmal geniessen. Aber es nochmal probieren? Ich empfinde unsere Familie nun als komplett. Aus reiner Vernunft muss man sagen: nein.

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