Ein Lebewohl für den Genfer Auto-Salon
In Genf hat der Auto-Salon nach vier Ausfällen wieder seine Tore geöffnet. Die Traditionsmesse ist aber stark geschrumpft. Wie geht es weiter? Am Pressetag war das Verdikt eindeutig.
«Man sieht sich an Beerdigungen», sagt der Kollege aus früheren Jahren und grüsst mit freundlichem Grinsen. Galgenhumor ist Umgangssprache geworden im Automobiljournalismus. Seit Jahren kriselt es. Bei den Medien- wie den Automobilkonzernen stürzt die Digitalisierung alles um.
Man ist das Abschiednehmen gewohnt. Jetzt also die GIMS, die Geneva International Motor ShowExterner Link. Oder der «Salon», wie man in den guten Jahren sagte.
700’000 Besucher:innen waren hier einst der Normalfall. Jetzt sollen 200’000 kommen. Der Kollege, einer der bekanntesten Autojournalisten der Schweiz, deutet in die kleine Halle. «So viele Leute werden für die paar Messestände erwartet, ich kann’s mir nicht vorstellen.»
Hemdsärmelige Millionäre
Der Salon in Genf war einst ein Pflichttermin. Hier fand sich das Who-is-Who der Branche ein. Es gab opulente Anlässe am Vorabend der Messe, mit Sternegastronomie, Prominenz aus Musik, Film und Sport.
Verwaltungsratsvorsitzende zapften Bier für die internationale Presse. Man gab der Hochglanzwelt einen familiären Anstrich. Und die Journalist:innen aus aller Welt mochten das kompakte Layout des Ausstellunggeländes und dass einem nach dem Besuch nicht die Füsse abfallen.
Und jetzt? Von den etablierten Herstellern ist nur noch Renault da, alle übrigen haben abgesagt. «Es ist ein Jammer, aber es ist mit der Messe wohl vorbei», sagt ein spanischer Journalist, der gerade einen Beitrag über den Elektrokleinwagen Renault 5 dreht, die grosse Premiere von Genf. «Nichts gegen dieses Auto, aber wer wird extra dafür anreisen?»
Es ist eine Zuspitzung. Nebenan zeigt Renault-Tochter Dacia die neue Generation des Budget-SUVs Duster. Eine Etage höher sind – in trister Kulisse – wunderbare Leihgaben ausgestellt. Skurriles wie der 1977 Matra Simca Rancho, sozusagen der Neandertaler der heutigen SUVs. Oder Klassiker mit Neid-Potenzial wie der Aston Martin DB 4 Vantage aus der Kollektion des Schweizer Autoimporteurs Emil Frey.
Vor allem aber sind die Chinesen da: MG Motors und BYD, der unterdessen grösste Hersteller von Elektroautos weltweit. Ihre Botschaft ist klar: Man will in Europa Fuss fassen und bleiben.
Das bedeutet im Umfeld des wachsenden Marktprotektionismus auch, Zugeständnisse zu machen. Die Geschichte wiederholt sich unter umgekehrten Vorzeichen: Mussten die Autohersteller aus den USA und Europa in China einst Fabriken bauen als Eintrittskarte für ihren Marktzutritt, investiert BYD jetzt gross in Europa, baut ein Werk in Ungarn und sponsort die Euro 2024. Die UEFA hat den Chinesen für ein nettes Foto extra den Pokal nach Genf gebracht.
Die Hierarchien im Automarkt sind nicht mehr, was sie waren. «Die Geneva Motor Show ist zurück und komplett verwandelt. Das Vakuum wurde von den Chinesen gefüllt», sagt ein junger Deutscher auf Englisch in eine Kamera. Er verhaspelt sich, dreht nochmals, dann nochmals, flucht. In der Hand hält er ein Mikrofon von CGTN, China Global Television Network.
Uhren statt Autos: Genf zieht weiter
2023 gastierte die Marke Geneva International Motor Show in Katar. Mit dem Geld des Wüstenstaates richteten die Genfer einen illustren Event aus, direkt im Vorfeld des dortigen F1-Rennens. Geht es nach Sandro Mesquita, CEO der Messeorganisation, soll die Marke alle zwei Jahre in Doha sichtbar werden. Der Vertrag läuft über fünf Messen und zehn Jahre. Wie aber geht es weiter in Genf? Einen Fragenkatalog von SWI swissinfo.ch dazu liess Mesquita unbeantwortet.
Andreas Burgener, Direktor von Auto Schweiz, der einflussreichen Dachorganisation der Schweizer Autoimporteure, macht auf Zweckoptimismus: «Die Rückkehr des Genfer Auto-Salons ist die Chance für die Messe, sich neu zu erfinden. Wir befinden uns inmitten der grössten Transformation der Branche, mit alternativen Antrieben, fortschreitender Digitalisierung und hochautomatisierten Fahrzeugen.» Bilanz werde man 3. März ziehen, dann enden die Publikumstage.
Geburtsstunde des Genfer Auto-Salons war je nach Sichtweise das Jahr 1905 oder 1924. Nimmt man das zweite Datum, feiert die Messe in diesem Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Ein Blick auf die Meilensteine der Geschichte:
1905 fand in einem Lokal am Boulevard Georges-Favon in Genf die erste sogenannte Nationale Automobil- und Fahrradausstellung statt, sie konnte sich aber nicht sofort etablieren.
1923 folgtet der Durchbruch: Die insgesamt erst vierte Ausstellung war so erfolgreich, dass das ständige Komitee des internationalen Genfer Autosalons ins Leben gerufen wurde.
1924 fand der Salon erstmals offiziell als internationale Veranstaltung statt.
1947 war der Genfer Auto-Salon die erste Veranstaltung der Branche, die sich zurückmeldete. Und die Messe wuchs rasant: 1948 wurden 200’000 Besucher:innen gezählt, 1960 schon 300’000, allmählich wurde der Salon für die Innenstadt von Genf zu gross.
1981, rund neun Jahre nach den ersten Studien, wurde der neue Messekomplex Palais des Expositions et des Congrès de Genève (Palexpo) beim Genfer Flughafen eröffnet, wo 1982 der erste Auto-Salon stattfand.
2005 erzielte die Messe mit 747’700 Eintritten ihren bis heute ungebrochenen Besucher:innenrekord. Noch bis 2019 verzeichnete der Salon stabil zwischen 600’000 und 700’000 Eintritte.
2020 fiel die Messe wegen Corona aus, ebenso 2021 und 2022.
2023 trat die Marke Geneva International Motor Show (GIMS) in Katar auf, im Vorfeld des dortigen Formel1 Grand Prix.
Der Grossraum Genf hat das potenzielle Ende des Salons derweil längst verdaut. Boris Fernandez vom Wirtschaftsdepartement schreibt zwar, man begrüsse dass dieser wichtig Event wieder stattfinde, welcher der Stadt und die Region internationale Sichtbarkeit verleihe.
Zuletzt ist Genf aber gut ohne den Salon ausgekommen: Die Hotellerie hat 2023 einen neuen Übernachtungsrekord aufgestellt, mit 7% mehr Buchungen als im Vor-Corona Jahr 2019. Und die Uhren-Messe Watches and Wonders erreicht laut Fernandez unterdessen eine lokale Wertschöpfung von rund 200 Millionen Franken, was früheren Ausgaben des Salons entspricht.
Der Lauf der Dinge
Man kann auch alles richtig machen, und dennoch untergehen, könnte man tröstend sagen.
Und so könnte dereinst auch die Bilanz von Lucid lauten, einem weiteren Aussteller. Der Elektroautobauer aus Kalifornien versucht, mit vielen Tesla-Ingenieuren an Bord, den Erfolg von Elon Musk zu kopieren.
Aber trotz Rekordreichweiten ist der Absatz der Luxus-E-Autos rückläufig, und die Verluste sind immens. Um die 400’000 Dollar soll Lucid pro verkauftes Auto drauflegen, und das in einem Umfeld mit signifikant höheren Zinsen als Tesla bei seinen vielen Finanzierungsrunden gewärtigen musste.
Wie der Auto-Salon, hat auch Aussteller Lucid unterdessen frisches Geld im Nahen Osten gefunden. Der Staatsfonds von Saudi-Arabien ist eingestiegen, im Gegenzug wurde vor Ort die erste Produktionsanlage ausserhalb der USA gebaut. Im Ölstaat läuft also das, wie es Lucid in Genf anpries, «beste Elektroauto der Welt» vom Band.
Widersprüche. Umbruch. Beides ist unübersehbar in Genf.
Die Flächen in der Mitte der Aussteller haben die behäbigen Schweizer Verkehrsverbände zugestellt. An der Kaffeebar des TCS, des grössten Mobilitätsclubs der Schweiz, gibt es wässrigen Cappuccino, während daneben die Chefetage von MG Motors von der vollständigen Integration von künstlicher Intelligenz im Fahrzeug redet.
Einiges erinnert noch an früher. Die Superlative, die pompöse Musik, die Hostessen bei Kimera, aber die Präsentationen füllen nicht mal den halben Pressetag.
Die Hektik, der Dichtestress vergangener Tage ist verflogen. «Weisst Du noch, hier musste man sich immer durchkämpfen», sagt ein Automobiljournalist im Pensionsalter zu seiner Begleiterin beim Weg aus den Palexpo-Hallen. Und sie: «Das waren noch Zeiten.»
Wie sieht sie aus, die neue automobile Weltordnung und wie geht es weiter in Genf? Lesen Sie dazu auch unser Interview mit dem deutschen Auto-Experte Stefan Bratzel:
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