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Biotech-Startups oder wenn das grosse Geld lockt

"Haa-Hatschi!!": Die Biotech-Firma Anergis entwickelt ein Medikament, das Menschen, die unter Pollenallegiern leiden, helfen soll. Keystone

Trotz des Rückzugs von Merck Serono aus Genf ist die Schweiz nach wie vor eines der besten Pflaster zur Umsetzung einer innovativen Biotech-Idee in klingende Münze. Der dies sagt, strebt selbst den kommerziellen Erfolg an.

Der Start einer Biotech-Firma war nie eine einfache Sache. Durch die Erhöhung der Eintrittshürden sei das Ganze noch schwerer geworden, sagt Christophe Reymond, Forschungsleiter bei Anergis, im Gespräch mit swissinfo.ch.

Unternehmergeist, ein fundierter Satz von wissenschaftlichen Daten und viel Ausdauer sind nötig, um Investoren davon zu überzeugen, ihr Geld in eine gute Idee zu pumpen.

Das angekündigte Aus für den Schweizer Biotech-Riesen Serono in Genf, dessen Besitzerin Merck die Forschung in Deutschland zentralisieren will, könnte sich für die Branche und die Genfersee-Region wegen der so frei werdenden Ressourcen (Menschen und Kapital) auf längere Sicht positiv auswirken.

2001 gegründet, ist es Reymond und Anergis mit Sitz in Epalinges im Kanton Waadt gelungen, risikobereite Investoren zu einem Einstieg zu überzeugen. Klappt es, wird die Firma dereinst Medikamente gegen Allergien auf den Markt bringen.

swissinfo.ch: Was braucht es zu einem erfolgreichen Biotech-Startup? 

Christophe Reymond: Damit eine Biotech-Firma abhebt, braucht es eine innovative Idee. Eine solche allein genügt aber nicht. Damit die Idee umgesetzt werden kann, muss sie mit soliden Forschungsergebnissen abgesichert sein.

Dann sind Patente zum Schutz des geistigen Eigentums notwendig, um die Idee kommerziell abzusichern. Hier ist gute Beratung durch Spezialisten enorm wichtig, da Wissenschaftler auf diesem Gebiet sehr leicht Fehler machen können.

Als nächstes muss ein Team von Unternehmern aufgebaut werden, um die akademische Idee zu einem realen Geschäft zu machen. Dies ist in der Vergangenheit oftmals daran gescheitert, dass die Wissenschaftler dazu neigten, diese operationellen Geschäftsstrukturen selbst aufzubauen, ohne Einbezug von Geschäftsleuten.

Schliesslich muss man die richtigen Investoren finden. Sie müssen eine Ahnung von Biotech haben und die entsprechenden Fallgruben kennen.

swissinfo.ch: Wie lange dauert der ganze Prozess?

C.R.: In den ersten fünf Jahren waren wir ein virtuelles Unternehmen, das Grundlagenforschung betrieb. Ab 2005 machten wir uns selbstständig und suchten nach Investoren.

2008 unternahmen wir die ersten klinischen Tests an Kandidaten mit einer Allergie gegen Birkenpollen. Ein Jahr später lagen die Resultate vor. 2011 sicherten wir die Finanzierung der nächsten Testreihe, die ab kommenden Oktober stattfindet.

Im Sommer 2013 müssen wir die Mittel für die dritte Feldstudie auftreiben, die für die Registrierung des Produkts von entscheidender Bedeutung ist. Wir hoffen auf eine Registrierung 2016/17.

swissinfo.ch: Welches sind die grössten Herausforderungen auf dem beschriebenen Weg? 

C.R.: Das grösste Problem ist die Zeit, die es zur Entwicklung eines Medikaments braucht. Noch vor zehn Jahren liess sich Geld für praktisch jede Idee finden. Heute ist die Finanzierung viel schwieriger, weil viele Startups Schiffbruch erlitten.

Gesicherte Forschungsdaten sind deshalb so wichtig, weil sie sowohl einer strengen wissenschaftlichen als auch kommerziellen Prüfung standhalten müssen.

swissinfo.ch: Wieso verfügt die Schweiz über eine derart starke Biotech-Industrie?

C.R.: Wir haben ein hochkarätiges Bildungssystem, das hervorragende Wissenschaftler hervorbringt, sowie ausgezeichnete Forschungseinrichtungen.

Die Präsenz von zahlreichen Pharma-Grossunternehmen schafft in der Schweiz ein dichtes Netz von Kontakten und eröffnet zahlreiche Geschäftsfelder. Die Biotech-Firmen tragen das volle Risiko, während die Grossunternehmen über die Stärke verfügen, die klinischen Tests und das Marketing zu finanzieren.

Schweizer Biotech-Unternehmen geniessen im Ausland einen hervorragenden Ruf. Die Schweiz besitzt eine lange Tradition in Sachen Präzision, und der Grundsatz, etwas Neues Schritt für Schritt aufzubauen, kommt gerade bei Biotech-Unternehmen zum Tragen.

Wir versuchen, präzise, effizient und methodisch vorzugehen, statt uns auf eine zündende Idee zu stürzen, die nach einem halben Jahr verpufft und mit ihr das Unternehmen.

swissinfo.ch: Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial? 

C.R.: Die Kommission für Technologie und Innovation des Bundes (KTI) richtet zwar finanzielle Beiträge für spezielle Projekte aus. Aber im Vergleich mit anderen europäischen Ländern wie Deutschland und Frankreich leistet der Bund sehr wenig Hilfe für Startups.

swissinfo.ch: Was sind die Auswirkungen der Schliessung von Merck Serono in Genf auf den Schweizer Biotech-Sektor? 

C.R.: Der hauptsächliche Schaden betrifft das Image der Branche. Serono war eine Erfolgsgeschichte und eine der ganz wenigen Biotech-Firmen, die den Sprung zum mittelgrossen Pharma-Unternehmen geschafft hatte.

Gleichzeitig könnte die Schliessung aber zur Gründung mehrerer Spin-offs führen. Dann nämlich, wenn sehr erfahrene Mitarbeiter, die gerne in der Schweiz bleiben möchten, entscheiden, dass dies der beste Weg sei, ihre Karriere voranzutreiben.

Der grosse Baum im Wald wird gefällt, aber dadurch kommt das Sonnenlicht wieder bis zum Boden durch, auf dem junge Bäumchen nachwachsen können.

2001 vom Allergie-Experten François Spertini gegründet. Ziel ist die Entwicklung von Anti-Allergenen gegen Birken- und Ambrosia-Pollen, Staubmilben und bestimmte Nahrungsmittel.

Weltweit leiden rund 300 Mio. Menschen unter Allergien. Einem Viertel davon machen Baumpollen zu schaffen.

Anergis will Allergikern mit einer Langzeit-Behandlung helfen.

Diese soll auch weniger Nebenwirkungen produzieren als bekannte Behandlungen, welche die Symptome nur kurzzeitig bekämpfen.

Im März 2011 erhielt Anergis von Investoren Risikokapital in der Höhe von 18 Mio. Franken, um die Forschung und Erprobung voranzutreiben.

In der Biotechnologie werden lebende Organismen zur Entwicklung und Anreicherung von Medikamenten, Treibstoffen, Getreide etc. produziert.

2011 waren in der Schweiz 249 Biotech-Firmen tätig (2010: 237).

Die Mehrheit ist in den Regionen Basel und Zürich angesiedelt. Standorte sind aber auch die Kantone Genf und Tessin.

Die Branche erzielte 2011 Umsätze von 8.7 Mrd. Franken, 2010 waren es knapp 10 Mrd. Franken gewesen.

Zwei Mrd. Franken flossen 2011 in Forschung und Entwicklung.

Die Branche beschäftigt 19’000 Personen, 12’000 im öffentlichen Sektor und rund 7000 im privaten Sektor. Diese Zahlen sind über die letzten Jahre stabil geblieben.

2011 zog die Branche Risikokapital in der Höhe von 458 Mio. Franken an, gegenüber 225 Mio. Franken im Jahr davor.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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