ChatGPT kommt in Schweizer Schulen und Universitäten an
Seit einigen Monaten reden alle über ChatGPT. Die Software mit künstlicher Intelligenz beunruhigt Lehrkräfte.
Seit seiner Einführung am 30. November 2022 begeistert das Tool, das Texte zusammenfasst oder Fragen von Nutzer:innen in Form einer Konversation beantwortet, immer mehr Jugendliche und Studierende.
Manche halten das Programm für stärker als Google oder Wikipedia. Entsprechend ist es ein gefundenes Fressen für Schummler:innen, die damit ihre Hausaufgaben schreiben lassen.
Auf den Fluren der Universität Genf ist ChatGPT kein Tabu. «Ich habe es schon benutzt, aber nur, um mit beim Zusammenfassen meiner Prüfungsthemen zu helfen», sagt ein Student gegenüber dem westschweizer Fernsehen RTS. «Im Literaturstudium muss man vor allem Quellen und historische Texte analysieren. Die künstliche Intelligenz wird uns da nicht viel helfen», relativiert eine Studentin.
>> Die Reportage von RTS (auf Französisch):
Auf der Suche nach Inspiration
Eine andere Studentin in den Gängen der Universität Genf erzählt: «Nach dem, was ich um mich herum höre, nutzen die Leute sie vor allem, um sich inspirieren zu lassen.»
Inspiration ist genau das, was ein Student suchte. Er hat gerade eine akademische Arbeit abgegeben, die teilweise mit ChatGPT verfasst wurde. Da die Regeln für die Benutzung des Programms immer noch unklar sind, möchte er anonym bleiben. «Für mich fühlt sich das nicht nach Betrug an», sagt er.
Er räumt aber ein, dass die Nutzung von ChatGPT möglicherweise dazu führt, dass die Studierenden keine Schreibkompetenz erlernen. «ChatGPT schreibt wirklich sehr, sehr gut», sagt der Student, der sich in der Endphase seines Studiums befindet und für den es die erste Erfahrung mit der Anwendung war.
Die Lehrerin war begeistert
ChatGPT ist auch an Gymnasien beliebt. So sehr, dass die Nutzung des Tools an Schulen Anlass zur Sorge gibt. Einige Schüler:innen nutzen die Software, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Sie reichen fast perfekte Arbeiten ein – scheinbar.
«Ich habe meinen Einführungstest in Englisch mit ChatGPT gemacht – null Fehler. In Französisch musste ich eine Passage aus Molières ‹Don Juan› analysieren. Ich war zu faul, drei Seiten zu schreiben. Ich habe es in die Anwendung eingegeben und die Lehrerin war begeistert, weil es so perfekt war», erzählt ein Teenager aus Lausanne und gibt zu, regelmässig zu schummeln.
Dieser Jugendliche ist sich seiner Sache sicher und glaubt nicht, dass er erwischt werden kann.
«Das ist unmöglich. Dieses Tool nimmt die Informationen von allen Seiten, die es im Internet gibt, es kreiert schöne Sätze, schöne Wendungen, es sammelt die Informationen, es schafft richtige Tricks. Es serviert uns alles auf einem schönen Tablett», sagt er und dankt Elon Musk, einem der Gründer des Startups, das ChatGPT entwickelt hat.
Betreute Anwendung statt Verbot?
Das Aufkommen von ChatGPT hat einige Grauzonen geschaffen. Die Stadt New York hat die Verwendung des Programms an Schulen verboten. In der französischsprachigen Schweiz ist derzeit kein Verbot geplant. Im Gegenteil: Man denkt eher daran, die Anwendung zu reglementieren, wie es die Universität Neuenburg (Unine) getan hat.
«Wenn Studierende Arbeiten abgeben müssen, könnte man das mit einer anschliessenden Diskussion kombinieren, einer Art Verteidigung. Dann sieht man deutlich, wer sein Thema beherrscht», sagt Martin Hilpert, Vizerektor an der Unine.
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Die Maschine und die Moral
Die Schulen haben bereits in der Vergangenheit Situationen erlebt, in denen sie sich dem technologischen Fortschritt anpassen mussten. In der Westschweiz ziehen einige Bildungsverantwortliche eine Parallele zwischen ChatGPT und der Einführung von Taschenrechnern, Suchmaschinen oder Wikipedia. Werkzeuge, die schliesslich in den Unterricht integriert wurden.
Hilfe bei der Unterrichtsvorbereitung
Während viele Lehrpersonen Angst vor dieser künstlichen Intelligenz haben, weil sie mehr Schummeleien in ihren Klassen befürchten, nutzen andere sie zur Unterrichtsvorbereitung.
Zum Beispiel Eric Vanoncini, Philosophielehrer und Ausbilder beim Service École-Média in Genf: «In meinem Unterricht habe ich manchmal ChatGPT-Antworten verwendet, um über das nachzudenken, was man in der Philosophie tut. Es ging um die Frage des Zugangs zu Wissen, die Verlässlichkeit von Quellen, den gesamten Forschungsprozess», sagt er.
ChatGPT könnte sich auch als KI-Assistent eignen. «Ich habe ihn gebeten, den Aufsatz eines Schülers anonym zu korrigieren. Ich habe ihn auch einige Male gebeten, Unterrichtssequenzen oder Lückenübungen vorzubereiten», erzählt Vanoncini. Das alles funktioniere mit ChatGPT recht gut.
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Benotung überdenken
Ob Chance oder Gefahr, ChatGPT setzt neue Akzente. Und ist der schulischen Welt einen Schritt voraus. Einige Kantone schliessen nicht aus, Hausaufgaben und Benotungen zu überdenken.
Auf jeden Fall ist die Frage der künstlichen Intelligenz in aller Munde. Sie wird an der nächsten interkantonalen Konferenz für öffentliche Bildung auf der Tagesordnung stehen. Im Kanton Waadt will eine Interpellation im Grossen Rat eine gesetzliche Grundlage schaffen.
Entscheidend für die Akzeptanz dieser neuen Technologie ist die Frage, ob zwischen einem Text, der von einem Menschen geschrieben wurde, und einem Text, der von einer künstlichen Intelligenz produziert wurde, unterschieden werden kann.
Derzeit gibt es mehrere Softwareprogramme, die dies ermöglichen. Die Muttergesellschaft von ChatGPT bietet übrigens einen eigenen Detektor an, der allerdings bei französischen Texten derzeit noch sehr schwach ist.
Das Unternehmen schlägt eine andere Lösung vor: Eine Art unsichtbares Wasserzeichen im Text, ähnlich wie bei Banknoten, soll künstlich verfasste Texte als solche erkennbar machen.
Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi
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