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Claudia Schmuckli, Kuratorin mit dem Gespür für Neuland

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Kuratorin Claudia Schmuckli hat früher als andere damit begonnen, Ausstellungen jenen Künstler:innen zu öffnen, denen der Kunstbetrieb zuvor verwehrt war. Das war wegweisend - und Grundstein ihrer Karriere.

Im de Young Museum in San Francisco ist die Normalität zurück. An diesem sonnigen Frühlingsmorgen sitzt Claudia Schmuckli in ihrem Büro und sagt: «Als Kuratorin für zeitgenössische Kunst interessiere ich mich für das, was unsere Realität zu einem bestimmten Zeitpunkt prägt. Ich beobachte, ich höre zu, ich lasse mich von den Werken der Künstler inspirieren. Ich untersuche, wie sie unsere Lebensbedingungen reflektieren, kritisieren oder vorwegnehmen.»

swissinfo.ch portraitiert Schweizerinnen und Schweizer im Silicon Valley und in der San Francisco Bay, die in ihrem Job oder in ihrem Leben Exzellentes leisten. Journalistin Mariangela Mistretta betreut diese Serie.

Die Covid-Beschränkungen sind gelockert, die Leute flanieren wieder durch die Ausstellungsräume. Claudia Schmuckli ist froh darüber. Die letzten zwei Jahre waren für Museen schwierig. Claudia Schmuckli ist Kuratorin und Programmgestalterin für zeitgenössische Kunst bei den Fine Arts Museums of San Francisco FAMSF. Unter diesem Dach sind zwei sehr unterschiedliche Museen vereinigt: Das traditionelle «The Legion of Honor» und das moderne de Young Museum.

Bereichernde Vielfalt

Sie kam 2016 hierher. Ihre Aufgabe: «Die Werke zeitgenössischer Künstler sollten in den Dialog mit den ständigen Sammlungen der beiden getrennten FAMSF-Institutionen treten. Und mit den Institutionen selbst.» Das de Young Museum verfolgt einen enzyklopädischen Ansatz, es beherbergt mittelamerikanische Kunst, ozeanische Kunst, afrikanische Kunst, Textilkunst und so weiter… für Schmuckli eine «Vielfalt, die meine Arbeit bereichert, aber auch einen anderen Modus Operandi erfordert als ein klassisches Museum für zeitgenössische Kunst.»

Begrenzte Version der Kunstgeschichte

Unterschiede sind auch in der Architektur sichtbar. Das «de Young» ist ein moderner Bau der Schweizer Architekten Herzog & De Meuron, «The Legion of Honor» hingegen ein neoklassizistisches Gebäude, eine Nachbildung der Pariser Legion d’Honneur. Es beherbergt eine Sammlung europäischer Kunst von der Antike bis zum Impressionismus und repräsentiert damit eine sehr klassische und traditionelle Vorstellung von Museum. Es ist ein Typ Museum, der heute in der Kritik steht, weil er eine sehr begrenzte Version der Kunstgeschichte erzählt und sich nur auf den Westen, auf Europa konzentriert.

Aus dem Privatalbum: Schmuckli mit Künstlerin Wangechi Mutu, mit ihrem Hund in San Francisco, mit Künstlerin Judy Chicago und während einer Performance (von links). zvg

Schmucklis Arbeit dort war also der Dialog zwischen den bestehenden Sammlungen und der zeitgenössischen Kunst. Sie startete diesen mit Künstlern wie Urs Fischer, Sarah Lucas, Alexandre Singh und Lynn Hershman Leeson, mit denen sie das Hitchcock’sche Thema des Doppelgängers bespielte. Hitchcock hat in diesem Museum einige Szenen von «Vertigo» gedreht. «Die Geschichte der Institution ist wichtig für mein Denken als Kuratorin», sagt sie.

Eine Reise von Küste zu Küste

Dieses Denken hat Claudis Schmucklis Tätigkeit schon bei ihrem Debüt 1997 geprägt im Guggenheim Museum in New York und dann während ihrer Jahre am MoMA. 2004 erweiterte sie ihre Erfahrungen am Blaffer Art Museum der Universität Houston, in Texas, wo sie 2009 Direktorin und Chefkuratorin wurde. Bis 2016, als sie in der San Francisco Bay landete. Es war ein Trip von Küste zu Küste, eine Reise, die im Osten begann und über Texas im fernen Westen endete.

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Doch Schmucklis biografische Reise beginnt im fernen Osten, in Japan. Sie wurde in Tokio geboren. Ihre Eltern waren aus den USA dorthin gezogen. «Mein Vater hat bei Polaroid gearbeitet», erzählt sie. Claudias zweiter Vorname ist Reiko, und sie ist Japanerin. «Ich habe dort gelebt, bis ich fünf Jahre alt war. Dann begann mein Vater, für Sony in Köln zu arbeiten, und wir zogen nach Deutschland». Ihr Nachname verweist aber auf ihre Schweizer Herkunft.

Mitlödi, Schwanden, Glarnerland

Ihre Eltern stammen aus dem Kanton Glarus, der Vater aus dem Dorf Mitlödi die Mutter aus Schwanden. Von Köln aus fuhren sie oft dorthin zu Verwandten zu Besuch. «Ich bin eine Exilschweizerin, unfreiwillig, und ich spreche ein anachronistisches Schweizerdeutsch, mit einem Tonfall der 1960er Jahre, wie ich es zu Hause von meinen Eltern gelernt habe», sagt sie lachend.

In die Schweiz zu reisen bedeutet für sie nach Hause zu kommen. Bei den Eltern in Zürich kann sie entspannen. «Ich erlebe dort eine privatere Dimension, ich werde fast wieder zur Tochter», sagt sie mit ihrer ruhigen Stimme. Zürich, das sei anders als ihr San Francisco-Dasein, das engagiert und anregend ist. «Je nach Ort, wo man lebt, kommt manchmal eine andere Seele seiner selbst zum Ausdruck», sagt sie.

Offen für andere Realitäten

Und Claudia Schmuckli lebte an vielen Orten. In München, wo sie an der Ludwig-Maximilians-Universität ihr Studium der Kunstgeschichte abschloss. Dann folgte New York, «eine einmalige Gelegenheit, eine sehr aufregende Zeit». Im Guggenheim wurde ihr nach einem Praktikum eine Stelle als kuratorische Assistentin angeboten. «Der damalige Direktor, Thomas Krens, hatte eine globale Vision für das Museum, die zu den Guggenheim-Projekten in Bilbao und Berlin führte, an denen ich beteiligt war», sagt sie.

Bedeutend waren auch die Jahre am MoMA, wo sie als Assistenzkuratorin bei John Elderfield arbeitete. «Im New York der späten 1990er und frühen 2000er Jahre lag der künstlerische Schwerpunkt stark auf der westlichen Welt. Das MoMA und das Guggenheim begannen, sich für andere Realitäten zu öffnen und zeigten, dass die Welt ein bisschen weiter war als die USA und Europa und die dominante, weisse, patriarchalische Perspektive, an die wir gewöhnt waren».

In Schmucklis Arbeit zeigt sich eine Sensibilität für Vielfalt und Integration. Texas war ein faszinierender Ort für sie, weil die lateinamerikanische Kultur dort einen starken Einfluss hat. «Mit meiner Arbeit im Blaffer Art Museum in Houston wollte ich eine internationalere Perspektive einbringen.»

Berührungspunkte

Sie erzählt uns, dass ihre Liebe zur Kunst «einer grossen Neugier entspringt, dem Wunsch, mehr über die Art und Weise zu erfahren, wie Kultur durch Objekte geprägt wird.» Das habe sie dazu gebracht, Kunsthistorikerin und Kuratorin zu werden und die Rolle der Vermittlerin zu übernehmen.  Ihre Arbeit erfordert ein Eintauchen in die Gegenwart und einen offenen und kontinuierlichen Dialog mit der Realität, die sie umgibt.

Was sind die Reaktionen, die sie hervorrufen möchte? «Dass die Menschen auf einer emotionalen und intellektuellen Ebene berührt werden“, antwortet sie. Es muss nicht unbedingt eine positive Reaktion sein. Auch Interesse, Ärger, Freude, Frustration oder Euphorie sind gut. Wenn das Publikum kalt bleibt, dann haben Sie keine gute Arbeit geleistet».

Unser Gespräch dreht sich über ihre Erkenntnisse, die sie im Laufe der Jahre in San Francisco gewonnen hat. Als sie ankam, befanden sich die Welt und insbesondere die Vereinigten Staaten in einem tiefgreifenden Wandel, gerade nach der Wahl von Donald Trump. Zudem habe sie in dieser fortschrittlichen Stadt ein völlig anderes Umfeld und einen anderen Kontext als in Texas vorgefunden, eine Stadt mit einer ungeheuren Ansammlung von Reichtum inmitten einer Obdachlosenkrise.»

«Ich begann, über alle Symptome dieses zweiten ‹Goldrausches›, dieses ‹Datenrauschs›, nachzudenken, der auf gesellschaftlicher Ebene zu Reibungen geführt hatte.

Aus der Reflexion über gewisse Brüche dieser Stadt entstand die Ausstellung «Spectrums of Disruption». Schmuckli erklärt, was da alles zusammenkam: «Geologische Bedrohungen wie das Erdbeben, aber auch die Vertreibung der indianischen Gemeinschaften durch die Ankunft der Kolonisatoren. In jüngerer Zeit die der schwächsten sozialen Gruppen während des ‹Technologiebooms›, Wir leben in einer sehr teuren Stadt, und wir sehen, wie diese Gemeinschaft erodiert. «.

Das Silicon Valley ist nur wenige Kilometer entfernt, und das Thema Technologie wird ebenso einbezogen. Die Beziehung zwischen Mensch und Technik greift Schmuckli 2020 mit der Ausstellung Uncanny Valley auf.

Technologie und Mensch

«Mit 13 Künstlern habe ich darüber nachgedacht, wie die technologische Entwicklung der letzten 20 Jahre die unsere Lebensrealität geformt hat. Es ging insbesondere um die gefährlichen Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf die Politik und auf das Funktionieren der Demokratie. Die Technologie hat unser Dasein als Menschen neu definiert».

Doch dann «ein schockierender Zufall». Kaum ist diese Ausstellung eröffnet, wird sie wegen Covid geschlossen. «Wir hatten mit einer Reflexion begonnen, die wir für dringlich hielten, und dann hat die Pandemie genau diese Probleme noch verschärft.»

Schmuckli ist auch Mitbegründerin von Art+Climate Action. Diese Initiative entstand während der Pandemie, wegen der verheerenden Waldbrände, die durch den Klimawandel verursacht sind, wie sie erklärt. Es gehe um Lösungen zur Verringerung des ökologischen Fussabdrucks in der Kunstwelt. «Hier bei de Young haben wir zum Beispiel den ökologischen Fussabdruck der Judy-Chicago-Retrospektive berechnet», sagt sie.

Was sind die Themen, die sie in der Kunst aufkommen sieht? «Wir werden uns von nun an wohl mit der Schnittmenge von Klima, Technologie und sozialer Gerechtigkeit beschäftigen. In dieser Dreiecksbeziehung wird wohl eine Menge kultureller Energie zusammenfliessen“, sagt sie. «Meine auf jeden Fall.»

zvg

Balz Rigendinger

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