SwissCovid-App – Top oder Flop?
Ein Vorzeigemodell in der Welt der Tracing-Apps: Das ist SwissCovid, eine Eigenentwicklung durch einige der besten Hirne der Schweizer Forschung. Doch richtig zum Fliegen will sie nicht kommen. Seit Ende Juni steht die App zum Download zur Verfügung. Aktiviert haben sie nach einem Monat lediglich 1'200'000 Nutzerinnen und Nutzer. Politologin und Republik-Journalistin Adrienne Fichter, die im Bereich Technologie und Demokratie publiziert, liefert Erklärungen.
SWI swissinfo.ch: Ist die SwissCovid-App ein Flop?
Adrienne Fichter: Nein. Es steht uns eine App zum Download zur Verfügung, die funktioniert. Ob sie ein Flop ist kann man erst in zwei bis drei Jahren beurteilen.
Viele laden die App aus Prinzip nicht runter. In Umfragen geben die Leute an, dass sie sich nicht überwachen lassen wollen. Jedoch kann die SwissCovid-App im Gegensatz zu Facebook oder WhatsApp kaum auf die Daten zugreifen. Wie erklären Sie sich das Verhalten der Schweizer?
Das ist eines der grössten Rätsel. Vielleicht, weil es sich bei der Gesundheit um ein sensibles Thema handelt. Ich weiss nicht, welche Richtung diese Aversion hat: Gegen den Staat oder Google und Apple? Der Staat selbst wird keine Einsicht haben in diese Daten.
Ich denke, der Bund müsste offensiver kommunizieren, dass jede andere App, die wir nutzen, viel mehr Daten sammelt. Das Schweizer App-Modell ist dasjenige, das von allen am wenigsten Daten speichert.
Zudem ist das Contact-Tracing, das offline stattfindet, ein viel grösserer Eingriff in die Privatsphäre, als wenn man seine pseudonymisierten und verschlüsselten Identitäten auf einen Server hochlädt.
Spricht etwas gegen den Download der App?
Aus meiner Sicht nicht. Das Überwachungsargument verstehe ich gar nicht. Was ich verstehen kann, ist, wenn Leute glauben, die App bringe gar nichts, weil sie ungenau ist. Es ist etwa bekannt, dass Bluetooth zum Teil Kontakte als epidemiologische Begegnung aufzeichnet, obwohl kein naher Kontakt stattgefunden hat. Untersuchungen haben gezeigt, dass es eine Schwemme von Meldungen geben könnte, obwohl gar keine Gefahr bestand.
«Die Schweiz hat die Spielregeln gesetzt, wie eine Covid-App läuft.»
Grenzgänger kritisieren, dass sie nicht zwei Covid-Apps gleichzeitig aktivieren können. An was liegt es?
Es ist grundsätzlich vorgesehen, dass man nur eine Tracing-App aktiv laufen lassen kann. Die europäischen Apps ausser Frankreich können schon via Gateway-Server in Luxemburg miteinander kommunizieren. Nur die Schweiz ist ausgeschlossen, wegen des fehlenden Rahmenabkommens. Ich hoffe, die Schweiz findet eine Lösung mit der EU.
Was ist an der Schweizer App besser als an anderen?
Die Schweiz hat mit dem DP-3T-Protokoll die Basis gelegt, wie die App funktionieren sollte. Mit dem dezentralen System ist sie ein Standard, der sehr bürgerfreundlich und sparsam bezüglich Daten ist. Dieser Standard aber kann nur funktionieren, um Begegnungen aufzuzeichnen. Die Schweiz hat die Spielregeln gesetzt, wie eine Covid-App läuft. Die meisten Länder sind letztendlich auf dieses Modell umgeschwenkt.
Jetzt wurde ein Referendum gegen die Tracing-App ergriffen. Was halten Sie davon?
Wären alle Gesundheits-Apps auf dem zentralisierten Modell aufgebaut, würde ich ein Referendum verstehen. So würde das Bundesamt für Gesundheit nämlich wissen, wo ich mich bei wem angesteckt hätte und die Daten würden gespeichert. Mit dem jetzigen System ist das aber nicht möglich.
Ich halte also wenig vom Referendum. Zumal Google und Apple jetzt auch noch die letzten Bedenken ausgeräumt haben und ihre Schnittstelle veröffentlichten.
20 Prozent der Bevölkerung können die App nicht downloaden, weil ihr Gerät zu alt ist. Weshalb wurde das nicht berücksichtigt?
Mir wurde von Google und Apple gesagt, dass in der Schweiz die Durchdringung von modernen Geräten sehr hoch sei. Offenbar ist das aber doch nicht der Fall.
Die Lösung wäre wohl, dass man auf Armbänder umschwenkt, wenn das mobile Gerät nicht modern genug ist. Die Frage hier ist dann, wer das bezahlt.
Adrienne FichterExterner Link ist Politologin, Journalistin und Autorin
Bald erscheinen ihre Beiträge beim Medium Republik in gesammelter Form als Buch unter dem Namen «Das Netz ist politisch Teil I» .
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