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«Credit Suisse muss ehrenhaften Rücktritt anbieten»

Brady Dougan leitet ein Unternehmen, in dem während Jahren vieles falsch lief, ohne dass eine Führungskraft dafür zur Rechenschaft gezogen wurde. Keystone

Entgegen seinen Aussagen hat Credit-Suisse-Chef Brady Dougan wahrscheinlich überlegt, zurückzutreten, als seine Bank sich diese Woche als erste globale Finanzinstitution seit Crédit Lyonnais 2003 in den USA einer kriminellen Handlung für schuldig erklärte. Wie auch immer, er blieb.

Das war die falsche Entscheidung. Brady Dougan war zwar nicht persönlich für die unseriösen Privatbankers zuständig, aber er ist verantwortlich für die Credit Suisse an sich.

Stattdessen lässt er mit seinem «tiefen Bedauern» die Einigung in Höhe von 2,8 Mrd. Dollar mehr wie eine Parkbusse erscheinen als wie die Art Katastrophe, die Arthur Andersen und Drexel Burnham Lambert in die Knie zwang.

Wenn es je eine Gelegenheit für einen ehrenhaften Rücktritt von der Spitze gab, um für ein institutionelles Versagen zu sühnen, dann diese. Stattdessen stiegen die Aktien der Credit Suisse um 2%, als Dougan Analysten in aller Ruhe erklärte, dass eine kriminelle Verurteilung keine «materiellen Auswirkungen» haben werde. Die Bank könne das Geld übergeben und weitermachen, und brauche sich nicht weiter Sorgen zu machen.

Nennen Sie mich altmodisch, aber das ist eine völlig unzureichende Antwort. Wenn eine strafrechtliche Verurteilung nicht viel mehr bedeutet als ein zivilrechtlicher Verstoss – man bezahlt eine Busse und schlägt eine neue Seite auf –, dann bedeutet sie nichts. Die Staatsanwälte haben in ihrem Eifer, zu beweisen, keine Bank sei «too big to jail», und gleichzeitig den Vertrauensverlust gegenüber der Credit Suisse in Grenzen zu halten, den Begriff abgewertet.

Obschon die Bank zugab, was US-Justizminister Eric Holder als «umfassende und weitreichende Verschwörung» bezeichnete, die sich über «Jahrzehnte erstreckte», behalten die Direktoren und höheren Führungskräfte ihre Posten. Sieben Angestellte wurden wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt, aber CS-Präsident Urs Rohner erklärt, er und Dougan hätten eine «weisse Weste».

Vergleichen Sie das mit der Crédit Lyonnais, die im Skandal um Executive Life ein Verbrechen zugab und insgesamt Strafgelder in Höhe von 770 Mio. Dollar bezahlte. Damit machten die USA damals aber nicht Halt: Sie erhoben Anklage gegen mehrere Führungskräfte der Bank, und 2006 wurde der ehemalige Präsident Jean Peyrelevade zu fünf Jahren auf Bewährung und zu einer Busse von 500’000 Dollar verurteilt; zudem wurde er für drei Jahre aus den USA verbannt.

Die Geschäftsführung der Credit Suisse hatte gedacht, Dougan müsste vielleicht zurücktreten, falls die Bank die Schweizer Regierung bitten würde, sie vom Bankgeheimnis zu entbinden, damit sie den Forderungen der US-Behörden Folge leisten und die Namen von 13’000 Kunden überweisen könnte. Die Bank gab die Namen nicht bekannt, und die USA verlangten keine Rücktritte, und so hat der CS-Chef überlebt.

Surreal

Die andere Verteidigung von Dougan – ein Investmentbanker, der 2007 CS-Chef wurde – besagt, dass er bis zu diesem Zeitpunkt wenig zu tun hatte mit der Schweizer Privatbank-Seite des Konzerns, obschon er seit 2003 in der Geschäftsleitung sass. Die Verstösse, um die es hier geht, spielten sich zu einem grossen Teil vor seiner Zeit an der Spitze der Bank ab, und er versuchte sie seit 2008 zu bereinigen, als der Skandal um das Privatbanking der UBS ausbrach.

Oswald Grübel, Dougans Vorgänger, leitete die CS-Privatbank zwischen 1998 und 2001, als einige dieser Aktivitäten geschahen. Nachdem er die CS verlassen und in den Ruhestand getreten war, wurde Grübel nach der Finanzkrise von 2008 von der UBS angeworben, um diese zu stabilisieren, ein Amt, von dem er nach dem Schurkenhandel-Skandal von 2011 zurücktrat. Grübel wurde kein Fehlverhalten vorgeworfen.

Es gibt keine Beweise, dass jemand in den höheren Führungsetagen Bescheid wusste über das Schema bei der Credit Suisse, US-Bürgern bei der Steuerhinterziehung zu helfen, das Vermeiden von Steuern war aber eine Schweizer Tradition. Ich erinnere mich, wie mir ein Schweizer Banker vor zwei Jahrzehnten erzählte, Schweizer Privatbanken machten nicht länger Geld damit, Kunden zu helfen, Steuern zu umgehen – das sei Vergangenheit. Das war offensichtlich (oder nicht-offensichtlich) falsch.

Holder bestand auf einem strafrechtlichen Schuldeingeständnis statt einem Deferred Prosecution Agreement [Abkommen über eine aufgeschobene Klage, die Red.] – ein seit dem Zusammenbruch von Arthur Andersen oft genutztes Instrument – um sich aus einem selbst gegrabenen Loch zu hieven. Er musste seine eigene Erklärung vom letzten Jahr widerlegen, «einige dieser Institutionen» seien «derart gross geworden, dass es für uns schwierig wird, sie strafrechtlich zu belangen».

Um die Credit Suisse zur Zusammenarbeit zu bringen, riet die US-Regierung die Finanzregulatoren davon ab, der Bank ihre Lizenz zu entziehen und bestand nicht auf dem Rücktritt von Führungskräften. Im letzten Jahr jedoch hatte Holder vor dem Justizausschuss des US-Senats erklärt: «Die grösste abschreckende Wirkung wird durch die strafrechtliche Verfolgung jener Personen erzielt, die in Unternehmen für diese Entscheide verantwortlich sind.»

Ohne dies hat die strafrechtliche Verurteilung eines Unternehmens eine surreale Qualität an sich, wie die symbolischen Prozesse im antiken Griechenland gegen unbeseelte Objekte wie einen Speer oder einen Gletscher.

In der Verzichtserklärung zur Anklageerhebung heisst es: «Credit Suisse wurde ein Vergehen vorgeworfen, das mit Freiheitsentzug von mehr als einem Jahr bestraft werden kann.» Dies diskreditiert die Idee von Anklagen gegen ein Unternehmen nicht völlig, deren Geschichte zurückgeht auf 1909 und einen Fall, bei dem es um die New York Central & Hudson River Railroad Company ging. In Fällen wiederholter und systemischer Vergehen erstreckt sich Kriminalität gerechterweise auf Unternehmen.

Um wirkliche Bedeutung zu entwickeln, müssen jedoch die Leute, die diese Unternehmen leiten, zur Verantwortung gezogen werden, nicht nur die Aktionäre. Wie Richard Epstein, Rechtsprofessor an der New York University in einer wegweisenden Kritik über Deferred Prosecution Agreements schrieb: «Im Grunde genommen sind Unternehmen nur Einzelpersonen, die durch ein ausgeklügeltes Netzwerk von Verträgen miteinander verbunden sind.»

Dougan hat bei der Credit Suisse seit 2007 solide, unauffällige Arbeit geleistet und verdient es nicht, selber angeklagt zu werden. Aber er leitet ein Unternehmen, das während vielen Jahren auf Abwege geriet, ohne dass dafür irgend eine höhere Führungskraft zur Verantwortung gezogen wird. Wieder einmal drückt eine Bank ihr allgemeines Bedauern für die Exzesse der Vergangenheit aus, während die Schuld zerstreut wird.

Eine strafrechtliche Verurteilung ist, oder sie sollte es sein, eine ernsthafte Sache. Die Credit Suisse hat es verpasst, die Schwere ihrer Verstösse zu anerkennen, ihr Chef aber hat noch immer die Chance dazu.

Copyright The Financial Times Limited 2014

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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