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Das WEF im Zeichen sozialer Unruhen

Die Gefahr sozialer Unruhen wird die Eliten in Politik und Wirtschaft auf die Probe stellen, wenn das Weltwirtschaftsforum WEF zu Beginn des Jahres 2023 in Davos zusammenkommt. Das Jahr ist geprägt von Rastlosigkeit und Unvorhersehbarkeit.


Person sitzt hinter dem zerbrochenen Fenster des brasilianischen Kongressgebäudes
Der Sturm auf den brasilianischen Kongress im Januar ist ein weiterer Beweis für den fragilen Zustand der Gesellschaft. Keystone / Andre Coelho

Die steigenden Kosten für Brennstoffe und Lebensmittel führten im vergangenen Jahr weltweit zu Protesten und Arbeitskämpfen. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung führte zu Regimewechseln in Sri Lanka, Grossbritannien, Peru und Brasilien.

Gegen letzteren protestierte Anfang Januar ein Mob durch die Stürmung des Kongresses in Brasilia. Dabei spielten sich Szenen ab, die jenen vom Sturm des Kapitols in Washington 2021 ähnelten.

«Die Menschen sind mit der Gesellschaft unzufrieden und fragen sich, warum sie mitmachen sollten», sagt Morris Pearl, Vorsitzender der Patriotic Millionaires.

Diese Gruppe von mehr als hundert wohlhabenden Menschen in den Vereinigten Staaten plädiert bemerkenswerterweise  dafür, stärker besteuert zu werden, um die Ungleichheit zu bekämpfen.

«Die Menschen sind zu Recht wütend. Sie glauben, dass das System gegen sie manipuliert ist. Und sie haben Recht. Wir haben Angst, dass die Massen, die mit ihren Mistgabeln marschieren, die Dinge für uns ändern werden, wenn die Wohlhabenden ihr Verhalten nicht freiwillig ändern.»

Wirtschaftsfachleute sagen noch mehr Schwierigkeiten voraus, welche die Haushalte auf der ganzen Welt weiter unter Druck setzen werden.

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Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnt davor, dass ein Drittel der Weltwirtschaft im Jahr 2023 in eine Rezession stürzen könnte. Er sagt zudem voraus, dass sich die Inflation in diesem Jahr zwar abkühlen werde, aber immer noch 6,5% weltweit erreichen sollte (im Vergleich zu den prognostizierten 8,8% Inflation im Jahr 2022).

«Für den Grossteil der Weltwirtschaft wird dies ein hartes Jahr werden, härter als das Jahr, das wir hinter uns lassen», sagte Kristalina Georgieva, geschäftsführende Direktorin des IWF, am 1. Januar gegenüber dem US-Sender CBS.

Das Schlimmste kommt erst noch

Die 2500 Delegierten der WEF-Flaggschiff-Veranstaltung haben in den vergangenen Jahren in der Schweizer Alpenstadt Davos über so manche Krise debattiert.

Doch dieses Mal scheinen sie nicht recht zu wissen, wo sie anfangen sollen, um die erklärte Absicht der Organisation zu erfüllen: «den Zustand der Welt zu verbessern».

Die Länder zahlen noch immer die Rechnung für zwei Jahre Covid-19-Pandemiesperren. Sie befürchten zudem, dass das Virus erneut mit voller Wucht ausbrechen könnte, nachdem China seine Grenzen wieder geöffnet hat.

Das Blutvergiessen, das Russland durch seinen Einmarsch in die Ukraine verursacht hat, scheint mit ungebrochener Härte weiterzugehen. Das treibt die Kosten für Energie und viele Grundnahrungsmittel immer höher hinauf.

Und es trug bei zu einer zügellosen Inflation von Konsumgütern, was immer mehr Menschen in der ganzen Welt in finanzielle Schwierigkeiten stürzt.

Bereits beim letztjährigen WEF-Treffen im Mai läutete die Nichtregierungsorganisation Oxfam International die Alarmglocke und warnte: Die Pandemie, die Inflation und der Ukrainekrieg könnten 263 Millionen Menschen in die Armut treiben.

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Oxfam befürchtet, dass die wachsende Ungleichheit zu einer sozialen Spaltung führen wird, weil Menschen mit geringem Einkommen die Hauptlast der steigenden Lebenshaltungskosten tragen.

«Die Krise der Lebenshaltungskosten kommt zu der anhaltenden Covid-19-Krise hinzu. Während dieser ist es den Regierungen und der Weltgemeinschaft nicht gelungen, den grössten Anstieg der extremen Armut seit über 20 Jahren zu verhindern», schrieb die NGO.

Sogar ein so wohlhabendes Land wie die Schweiz blieb nicht völlig von den Auswirkungen verschont: Der starke Franken trug zwar dazu bei, dass die Inflation im vergangenen Jahr lediglich auf 2,8% stieg. Das ist aber immer noch ein 30-Jahres-Hoch.

Laut der jüngsten offiziellen Statistik lebten 2019 735’000 der 8,5 Millionen Menschen in der Schweiz (8,7% der Bevölkerung) in Armut. Die Caritas geht davon aus, dass der Anteil der Menschen, die nicht über die Runden kommen, nach der Coronavirus-Pandemie und einem Jahr mit hoher Inflation noch viel höher ist.

Für eine wachsende Zahl von Menschen, «bei denen das Geld früher vielleicht knapp war, reicht es jetzt am Ende des Monats einfach nicht mehr, um die laufenden Kosten zu decken», sagt Caritas-Sprecherin Livia Leykauf.

Da so viele Menschen knapp über dem Existenzminimum leben, reicht schon ein kleiner Anstieg der Kosten, um die Armutsquote in der Schweiz zu verdoppeln. Zu diesem Schluss kommt eine Caritas-Studie vom letzten Jahr.

«Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Situation in der Schweiz in den nächsten Wochen und Monaten weiter verschlechtern wird und noch mehr Menschen von Armut betroffen sein werden», so Leykauf weiter.

Das WEF als Retter?

Das WEF eröffnet seine einwöchige Jahrestagung am 16. Januar unter dem Motto: «Zusammenarbeit in einer fragmentierten Welt». Das WEF befürchtet, dass der Welt ein «Jahrzehnt der Unsicherheit und Fragilität» bevorsteht.

Gründe dafür gibt es einige: der Ukrainekrieg, zunehmende Spannungen zwischen China und dem Westen, die Nahrungsmittelknappheit in vielen Ländern und die ungelöste Frage, wie der Klimawandel zu bewältigen ist.

Die Befragten des jährlichen Global Risks Report des WEF stufen die «Krise der Lebenshaltungskosten» als die grösste kurzfristige Bedrohung für die Stabilität der Welt ein.

Sie könnte zu «steigender Armut, Hunger, gewaltsamen Protesten, politischer Instabilität und sogar zum Zusammenbruch des Staats» führen.

«Die damit verbundenen sozialen Unruhen und politischen Instabilitäten werden sich nicht auf die Schwellenländer beschränken, weil der wirtschaftliche Druck die mittlere Einkommensschicht weiter aushöhlt», so der Bericht.

Das könnte «die politischen Systeme weltweit vor existenzielle Herausforderungen stellen», heisst es im Bericht weiter. Das Risiko der «Erosion des sozialen Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Polarisierung» wird als fünftwahrscheinlichste Ursache für unmittelbare Instabilität eingestuft.

Das WEF sieht sich selbst als Teil der Lösung für die Probleme der Welt. Dies, indem es einflussreiche Gruppen aus der ganzen Welt zusammenbringt, um die dringendsten Probleme anzugehen.

Aber andere sind sich da nicht so sicher. Die Patriotic Millionaires haben im vergangenen Jahr ein vernichtendes Urteil gefällt: «Die Wahrheit ist, dass Davos im Moment das Vertrauen der Welt nicht verdient», schrieb die Gruppe vor einem Jahr in einem offenen Brief.

«Trotz der unzähligen Stunden, die damit verbracht wurden, über die Verbesserung der Welt zu sprechen, hat die Konferenz inmitten einer Flut von Selbstbeweihräucherung nur wenig greifbaren Wert geschaffen.»

Deren Vorsitzender Morris Pearl sieht auch ein Jahr später keine Veränderung. «Das WEF symbolisiert die Ungleichheit. Sie verdienen eine riesige Menge Geld, indem sie Gebühren für die Teilnahme an der Konferenz verlangen. Ich habe keine handfesten Beweise dafür gesehen, dass die Leitenden oder die Teilnehmenden der Konferenz vorhaben, den Kurs dieser wachsenden Ungleichheit zu ändern», sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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