Eine Dosis Realität in Andermatts Märchenwelt
Dem Andermatter Tourismusprojekt des ägyptischen Investors Samih Sawiris bläst derzeit eine steife Brise entgegen. Planungsprobleme aber auch die internationale Finanzkrise setzen dem Bau des Ferien-Resorts im Urner Bergdorf zu.
Seine Strategie, aus dem Nichts ein neues Ferienresort aus dem Boden zu stampfen, hat im Ausland funktioniert, aber bei seinem ersten Projekt in Europa hat Sawiris nicht mit der ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung und den politischen Wirren im arabischen Raum gerechnet.
Mehr als eine Milliarde Franken will der ägyptische Milliardär für sein Luxus-Resort auf Andermatts grüner Wiese investieren. Sawiris eigene Unternehmung Orascom Development hat aber finanzielle Probleme. Die wichtigsten Geschäftsbereiche im Tourismus und Immobilienmarkt in Ägypten sind infolge des arabischen Frühlings ins Stocken geraten. Orascom muss seine Geschäftspläne in den nächsten Jahren herunterfahren.
Mitte Januar gab das Unternehmen bekannt, dass Sawiris aus seiner privaten Schatulle einen Kredit von 125 Millionen Franken einbringe, um die Finanzierung der gesamten Aktivitäten der Gruppe im laufenden Jahr sicherzustellen.
Nicht betroffen von den Investitionskürzungen sei das Tourismus-Projekt der Andermatt Swiss Alps (ASA), einer Tochtergesellschaft von Orascom. Für dieses Projekt will Orascom im laufenden Jahr 135 Millionen Franken oder 72 Prozent der gesamten Investitionen der Gruppe ausgeben. Damit würde das Urner Ferienresort zum Flaggschiff der ägyptischen Unternehmung.
Auch aus Andermatt gibt es wenig Positives zu vermelden. Der Verkauf der Millionen teuren Appartements und Villen – das Rückgrat des Projekts – geht infolge der Krise im Euroraum und des hohen Frankenkurses nur schleppend voran.
Genaue Verkaufszahlen sollen erst im Februar bekannt gegeben werden. Sawiris sagte jedoch kürzlich, die Ziele für 2011 seien nicht erreicht worden. Inzwischen sind auch Fragen über die einzelnen Verkäufe aufgetaucht. Eine Zeitung berichtete in der vergangenen Woche, dass Baufirmen Eigentum erwerben mussten, um einen Auftrag zu erhalten. Andermatt Swiss Alps streitet ab, jemanden zum Kauf von Apartments gezwungen zu haben.
«Andermatt Swiss Alps» gibt sich optimistisch: «Alles ist im Lot in Andermatt». Man sei zuversichtlich im Hinblick auf die Entwicklung des Skiorts, teilt die Unternehmung mit.
Skiarena hinkt nach
Zu guter Letzt kommen auch die Verhandlungen über eine Modernisierung der veralteten Wintersportbahnen nicht recht vom Fleck. Sawiris, die Kantonsregierung, die Gemeinden, die Andermatter und Sedruner Bergbahnen, die schwedische Betreiber-Firma Skistar, sie alle reden mit bei der Frage, ob, wann und wie ausgebaut und vor allem finanziert werden soll. (Vgl. rechte Spalte)
Eine Studie der Wirtschaftshochschule Luzern bezeichnet die Maximalvariante der Ausbaupläne für die Skiarena mit Investitionen von 200 Millionen Franken als sehr ambitiös. Die Experten empfehlen eine bescheidenere Variante für 130 Millionen. Antworten von der Skiarena werden bis März erwartet.
Während Teile des Resorts bereits im Winter 2013/14 fertiggestellt werden könnten, hinkt die Entwicklung der Skiarena hinten nach. Zu Beginn war das Projekt für Sommerferien konzipiert worden. Die Winter Optik kam erst später dazu.
Die Fortschritte beim Ausbau der Skiarena sollten Hand in Hand mit der Entwicklung des Resorts verlaufen, sagt Professor Urs Wagenseil vom Institut für Tourismuswirtschaft an der Hochschule Luzern.
«Moderne Wintergäste, die ein Vier- oder Fünfsterne-Hotel buchen, verlangen die gleiche Qualität, wenn es ums Skifahren geht», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Das Resort ist eine Sache, aber was in den Bergen geschieht, ist eine andere. Die Diskussionen darüber waren noch nicht sehr intensiv. Dort braucht es aber auch Lösungen.»
Das Projekt sei für die Region und deren Wirtschaft entscheidend. «Natürlich kann die Schweiz ohne dieses Projekt leben. Aber je näher man nach Andermatt kommt, umso wichtiger wird es», sagt Wagenseil.
(Zweck-)Optimismus in Andermatt
Der Start in die neue Wintersaison war schwierig. Die intensiven Schneefälle blockierten die Züge, und der starke Franken wirkte sich negativ auf Buchungen aus.
Der Rohbau des neuen Fünf-Sternehotels Chedi erhebt sich hinter der kleinen Bahnstation. Unter den Meter tiefen Schneemengen wirken die verschiedenen Gebäude des Projekts gespenstisch ruhig.
Angesprochen auf die schlechte Presse des Projekts in jüngster Zeit rollen die Leute in Andermatt die Augen und geben sich wortkarg. Der Euro scheint sie mehr zu beschäftigen als das Mammutprojekt. «Es gibt keinen Grund, sich zu sorgen», sagt ein Hotelier, und ein Ladenbesitzer meint: «Wir haben Glück, dass jemand in unserem Dorf Investitionen tätigt. Er (Sawiris} bringt viele Leute hier her. Aber man muss sich selbst vertrauen, um das eigene Geschäft zum Erfolg zu führen.»
Bei einigen Einheimischen ist allerdings eine gewisse Nervosität zu spüren. Sie haben eine Internet-Plattform mit dem Namen «bergstimme.ch» ins Leben gerufen, um Informationen über die neue Entwicklung der Skiinfrastruktur auszutauschen.
«Die Leute werden nicht genügend über die Entwicklung des Projekts informiert.» Wir können nicht einfach herumsitzen und nichts unternehmen. Das Projekt befindet sich nicht dort, wo es laut offiziellen Angaben sein sollte», sagt Kevin Obschlager, einer der Organisatoren der Website und Mitbesitzer des River House Boutique Hotels.
«Einer der Gründe, weshalb die Leute keine Apartments kaufen, ist die Tatsache, dass das Skigebiet nicht angenommen worden ist. Das Skigebiet ist der Schlüssel zum Erfolg.»
Anfänglich sei er überhaupt nicht besorgt gewesen, sagt Obschlager, aber die anhaltenden Verzögerungen könnten sich negativ auswirken. Wenn alles planmässig verläuft, «hat es eine enorme Wirkung». Aber wenn das schlechteste Szenario eintrifft – zum Beispiel wenn Sawiris gezwungen würde, das Projekt wegen der Wirtschaftskrise 10 Jahre hinauszuschieben – «wären die Leute, die hier leben und arbeiten, die Verlierer».
Testfall
Der nächste wichtige Termin in Andermatts Agenda ist der 14. Februar, wenn die jüngsten Verkaufszahlen und die nächsten Schritte bekannt gegeben werden.
«Das ist ein Test für die Schweiz, der zeigen wird, ob eine solche Entwicklung eines Feriendorfes und dieses Geschäftsmodell überhaupt möglich sind», sagt Professor Christian Lässer, Direktor des Instituts für Systemisches Management und Public Governance der Universität St. Gallen.
«Es ist letztlich im Wesentlichen ein Immobilienprojekt. Bei einem Aufschwung auf dem Grundstücksmarkt laufen solche Projekte gut, bei einer Konjunkturabschwächung harzen sie. Und genau das passiert. Es ist ein zyklisches Geschäft.»
Die Orascom Development Holding erzielte 2010 einen Umsatz von 516 Millionen Franken. Drei Viertel des Umsatzes erwirtschaftet Orascom in Ägypten, dem Heimatland von Samih Sawiris.
Die Gruppe, hat drei Standbeine: Telekommunikation, Baugewerbe und Tourismus.
Samih Sawiris leitet die Tourismusgeschäfte, darunter drei Ferienanlagen an der Küste des Roten Meeres, und er errichtet einige weitere in Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman, Mauritius und Marokko.
Die Unternehmensstrategie basiert auf der Akquisition von unbebautem Land an erstklassigen Orten, der Entwicklung und dem Marketing von autarken Ferienanlagen.
Flaggschiff der Gruppe ist das El Gouna Resort, mit einer Hotel-Gruppe, Restaurants und Einkaufszentren auf künstlichen Lagunen gebaut. Orascom verwaltet den Resort mit seinen 10’000 Bewohnern, inklusiv Flugplatz, Schulen und Spital.
In Andermatt plant Sawiris auf 1,4 Millionen Quadratmetern 490 Wohnungen sowie 25 bis 30 Villen zu bauen. Zusätzlich sind 6 Hotels mit einer Kapazität von 844 Zimmern vorgesehen.
Die Kantone Uri und Graubünden haben 2011 grünes Licht erteilt für den Ausbau der Skiinfrastruktur Skiarena durch die Andermatt Swiss Alps AG (ASA).
Ein Gutachten im Auftrag der Urner Regierung attestiert dem Projekt Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Es habe auch den erforderlichen Rückhalt in den Gemeinden.
Hauptinvestor ist die Schwedische Firma SkiStar, die zusammen mit ASA 140 Millionen Franken investieren will.
Geplant sind unter anderem 17 Liftanlagen und Gondelbahnen, insgesamt rund 100 Kilometer Skipisten samt Beschneiungsanlagen und Infrastruktur – grösstenteils auf Urner Boden.
Franz Steinegger, der Präsident der Andermatt Gotthard Sportbahnen, ist gegen einen Ausbau des Skigebiets «auf Vorrat». Damit wären Defizite programmiert, welche die Öffentlichkeit übernehmen müsste.
Ausserdem würde das Problem der Zweitwohnungen und «kalten Betten» verstärkt. Steinegger plädiert für einen Nachfrage gerechten Ausbau.
Seiner Meinung nach braucht es vorerst nur 24 bis 30 Millionen Franken, um die zusätzlichen Kapazitäten zu finanzieren, die mit den erwarteten rund 1000 Betten des Sawiris-Projekts notwendig würden.
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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