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Warum die Schweiz ausländische Arbeitskräfte braucht

Wie die Schweiz Pflegepersonal im Ausland rekrutiert

Blick in ein Spital
Das ausländische Pflegepersonal in der Schweiz macht seit Jahren etwa 30 bis 40% der Fachkräfte aus. Keystone / Gaetan Bally

Der Fachkräftemangel zwingt Spitäler dazu, vermehrt im Ausland nach geeignetem Personal zu suchen. Die Situation ist unbefriedigend, eine Änderung zeichnet sich jedoch nicht ab.

Die Schweiz gehört im internationalen Vergleich zu den Ländern mit den höchsten Dichten an Pflegepersonal: 2019 hatte sie im DurchschnittExterner Link 18 Pflegekräfte pro 1000 Einwohner:innen, etwa doppelt so viel wie im OECD-Schnitt.

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Das Land hat auch einen hohen Anteil an ausländischem Personal: Dieser bewegt sich seit Jahren zwischen 30 und 40%. Insbesondere in grenznahen Spitälern, beispielsweise in Basel und Genf, arbeiten viele Grenzgänger:innen. Aber auch in anderen Teilen des Landes trifft man immer häufiger Personal an, das seine Ausbildung im Ausland absolviert hat.

Das wird sich so schnell nicht ändern: Der Fachkräftemangel nimmt in der Schweiz zu, wie auch in anderen europäischen Ländern. Nach der Pandemie ist die Situation besonders angespannt. Bei der Rekrutierung von Personal hat darum auch der Wettbewerb zugenommen.

Lesen Sie hier, wie die Pandemie dem Pflegepersonal zugesetzt hat:

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Für Aufsehen in der Schweiz sorgten Medienberichte, wonach das Kantonsspital Aarau (KSA) aktiv geworden ist und in Italien nach geeignetem Personal gesucht hat. «Italien eignet sich aufgrund des guten Ausbildungsabschlusses, welcher in der Schweiz anerkannt wird», bestätigt Mediensprecher Boris Rauscher auf Anfrage. Es sei ein Pilotprojekt, eine von zahlreichen Massnahmen, um Pflegekräfte zu gewinnen.

Das KSA erhält zumeist Direktbewerbungen. Es gibt aber auch zahlreiche Vermittlungsagenturen für Pflegepersonal, so etwa Carenea, welche auf die Rekrutierung von polnischen Fachkräften spezialisiert ist.

Grazyna Scheiwiller von Carenea sagt: «Während viele Deutschschweizer Spitäler bereits selber im deutschen Markt rekrutieren, ist dies in anderssprachigen Ländern schwieriger. Sie müssen diese Fachkräfte sprachlich, kulturell und auch fachtechnisch auf die Berufstätigkeit in der Schweiz vorbereiten.»

Ihr Unternehmen übernehme nicht nur die Rekrutierung vor Ort, sondern auch eine 8 bis 12-monatige Vorbereitung der Kandidatinnen – mit technischen und kulturellen Ausbildungsmodulen. Sprachkenntnisse und die Anerkennung der Diplome durch das Schweizerische Rote Kreuz sind Voraussetzung für eine Anstellung in der Schweiz.

Unethisches Vorgehen?

Gemäss Yvonne Ribi vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) kann die Rekrutierung im Ausland aber nicht die Lösung für das Problem sein. Sie hält dieses Vorgehen gar für schädlich – und unethisch. «Damit zieht die Schweiz Personal in anderen Ländern ab, was die Mangelsituation dort verschärft.»

Ribi erwähnt das Beispiel von Deutschland: Wandere medizinisches Personal von dort in die Schweiz ab, müssten deutsche Spitäler Fachkräfte beispielsweise in Polen suchen. Die Lücken in Polen wiederum würden mit Angestellten aus Rumänien gefüllt – und so weiter. «Damit wird ein ungesunder Dominoeffekt losgetreten.» Dieser brain drain gehe auch mit handfesten volkswirtschaftlichen Verlusten ein, würden doch die Leute jenes Land verlassen, das ihre Ausbildung finanziert hat.

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Selina Madrigali, Intensivkrankenschwester.

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Eine Ausstellung zeigt, wie drastisch das Spitalpersonal im Tessin die erste Corona-Welle erlebte.

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Was sagt das Kantonsspital Aarau dazu? Boris Rauscher beschwichtigt: «In Italien herrscht bei Pflegenden eine hohe Arbeitslosigkeit. Wir haben uns im Vorfeld mit dem Arbeitsmarkt vertraut gemacht und ihn intensiv analysiert. Viele Spitäler rekrutieren seit Jahrzehnten erfolgreich in Deutschland, Österreich, aber auch in Holland, Spanien und seit Januar 2022 auch in Kroatien und in anderen Ländern.» Daher sei dieses Projekt ethisch vertretbar.

Für Pflegende aus dem Ausland spricht offenbar auch die Motivation der Fachkräfte. Grazyna Scheiwiller weist daraufhin, dass Salärfragen häufig sekundär sind. «Wichtig ist den Kandidat:innen vor allem das Arbeitsumfeld, das sie in der Schweiz erwartet. Für viele ist die fachliche Entwicklung ein zentrales Argument, um in die Schweiz zu kommen.» Eine Anstellung in der Schweiz bietet eben oft bessere Arbeitsverhältnisse und Karriereaussichten.

Schweiz profitiert von der EU

2011 unterschrieb die Schweiz einen WHO-VerhaltenskodexExterner Link unterschrieben, der ethische Grundsätze bei der internationalen Rekrutierung empfiehlt. Grundsätzlich gilt aber die Prämisse, dass jedes Land genügend eigenes Personal ausbilden muss und dieses auch mit entsprechenden Massnahmen gehalten werden soll. Die internationale Rekrutierung ist Ausdruck des Scheiterns dieser Ziele, in zahlreichen Ländern.

Dass die Schweiz im medizinischen Sektor jedoch besonders stark profitiert, wurde während der Pandemie auch der breiten Öffentlichkeit bekannt. Für das überlastete Gesundheitssystem war es besonders wichtig, dass die Schweiz aus dem EU/EFTA-Raum Personal rekrutieren konnte, wie ein BerichtExterner Link des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) bezeugte. 2020 waren es 63’000 Personen im gesamten Gesundheitswesen, es kamen weitere 13’000 Beschäftigte aus Drittstaaten dazu – das sind knapp ein Viertel aller Fachkräfte im Sektor.

Zudem sei damals vielen erst bewusst geworden, was für Abhängigkeiten eine solche Situation schafft, sagt die Vertreterin der Pflegekräfte, Yvonne Ribi: «Rund zwei Drittel des gesamten ausländischen Personals sind Grenzgänger:innen.» Das hat während der akuten Phase der Pandemie für grosse Nervosität und intensiven diplomatischen Depeschen gesorgt, etwa als die Nachbarländer strikte Lockdowns verhängten. «Plötzlich realisierte man, dass diese Fachkräfte systemrelevant sind.»

Vielfältige Massnahmen sind gefordert

Auch in Aarau weiss man, dass Rekrutierung im Ausland nur eine Teillösung sein kann. Darum biete man neben aktiver Rekrutierungsversuche auch «Wiedereinstiegsprogramm für Pflegende, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie angepasste Zulagen für Nacht- und Wochenenddienste für Mitarbeitende», teilt das Spital mit.

Das ist ganz im Sinne des SBK. «Einerseits müssen wir zwar schauen, wie wir mehr Leute in den Pflegeberuf bringen. Andererseits aber auch, wie wir sie halten können», sagt Yvonne Ribi. Ihr Verband hat 2021 auch darum die Pflegeinitiative an die Urne gebracht, die vom Schweizer Volk mit 61% Zustimmung angenommen wurde.

Ein erster Teil ist die Ausbildungsoffensive, wofür das Parlament mittlerweile die Rechtsgrundlagen geschaffen und die zusätzlichen Kosten von einer halben Milliarde Franken gesprochen hat. Beim zweiten Teil stehen Arbeitsbedingungen, die Möglichkeit der beruflichen Entwicklung und die Abgeltung der Pflegeleistungen im Fokus.

Unsere Übersicht zur Pflegeinitiative finden Sie hier:

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Problematik bleibt bestehen

Doch alle wissen, dass es dauern wird, bis diese Massnahmen Früchte tragen werden. «Die nächsten Jahre werden sehr anspruchsvoll», sagte Gesundheitsminister Alain Berset im Januar. Die Rekrutierung im Ausland wird darum weiterhin ein Teil der Lösung bleiben – und einfacher wird die Problematik nicht. «Selbst in Polen ist es schwierig, genügend geeignete Fachkräfte zu finden, die für den Umzug in die Schweiz bereit sind», sagt Grazyna Scheiwiller.

Denn Arbeitnehmende sind zunehmend skeptisch: Die hohen Löhne werden von den hohen Kosten der Schweiz faktisch neutralisiert. Bei den relativen Einkommen findet sich die Schweiz im Vergleich zum Durchschnittseinkommen im OECD-Vergleich am unteren EndeExterner Link der Skala. Das hat auch mit der in der Branche verbreiteten Teilzeitarbeit zu tun. Sie schenkt schlecht ein, ist aber oft eine Notwendigkeit, denn Schichtarbeit und regelmässige Überstunden lassen bei einer Vollzeitanstellung nicht genügend Ruhezeit zu.

Wachsendes Interesse an Freizügigkeit

Bei einer Rekrutierung sind zwei Seiten involviert. Und die Personenfreizügigkeit selbst wird innerhalb des EU/EFTA-Markts beliebter. So waren gemäss einer UmfrageExterner Link von 2022 58% der EU-Bürger:innen der Meinung, dass die Freizügigkeit für Arbeitnehmende positiv für den Arbeitsmarkt sei – im Vergleich zu 45% im Jahr 2009. Und diese Chance wird auch immer eifriger genutzt: 17% der Befragten gaben an, schon einmal in einem anderen EU-Land gearbeitet zu haben. Weitere 18% beabsichtigten, das in Zukunft zu machen. Einige werden dabei vielleicht die Schweiz im Kopf haben.

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