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Der Wunsch nach Mobilität bleibt

Flughafen Hamburg
Statt 17,3 Millionen noch 4,6 Millionen Fluggäste: Das Jahr 2020 war für den Flughafen Hamburg ruinös. Hamburg Airport

Der Schweizer Michael Eggenschwiler ist seit 2007 CEO des Hamburger Flughafens. Der Airport im Norden der Hansestadt ist der fünftgrösste Deutschlands und hat wie alle massiv unter der Corona-Pandemie gelitten. Im Interview fürchtet er trotz nahender Ferienzeit, dass die Zahlen jenen aus der Vor-Corona-Zeit noch Jahre hinterher hinkten.

Jetzt heisst es wieder durchstarten: Nach 15 Monaten pandemiebedingter Einbrüche weiten die Fluglinien ihren Betrieb wieder aus, in die Terminals kehrt Leben zurück. Flughafenchef Eggenschwiler rechnet jedoch nicht damit, dass die Passagierzahlen in Hamburg rasch wieder an das Niveau von vor der Pandemie anknüpfen. Es sei noch zu früh für exakte Prognosen.

Der Luftfahrtexperte ist seit fast 40 Jahren in der Branche tätig. Von 1983 bis 1991 arbeitete er bei der Crossair, dann von 1991 bis 2001 bei der Swissair, 2003 wechselte Eggenschwiler dann zum Hamburger Flughafen. Der gebürtige Basler ist zudem Honorarkonsul der Schweiz für Hamburg und das benachbarte Schleswig-Holstein, wo rund 4500 Schweizerinnen und Schweizer leben.

swissinfo.ch: Die Corona-Pandemie hat die Flugbranche zwischenzeitlich zum Stillstand gebracht. In Zürich-Kloten sank die Passagierzahl 2020 um fast drei Viertel auf 8,3 Millionen. Wie ist es Hamburg ergangen?

Michael Eggenschwiler: Ähnlich wie Zürich, wir hatten statt 17,3 Millionen noch 4,6 Millionen Fluggäste. Im Sommer gab es mal einen kleinen Aufschwung von Juli bis Oktober. Aber von November bis April lagen wird dann 90 Prozent unter dem Vergleichsjahr 2019. Das war fast die schwierigste Zeit, da hat sich gar nichts bewegt.

Michael Eggenschwiler
Flughafenchef und Honorarkonsul: Der gebürtige Basler Michael Eggenschwiler. Michael Penner

Läuft es nun wieder besser? 

Ja, auch wenn wir uns gewünscht hätten, dass die Erholung schneller einsetzt.  Aber die Richtung stimmt. Für den Juli rechnen wir mit 60 bis 70 Prozent der Flugbewegungen von Vor-Corona-Zeiten und sind damit immer noch weit entfernt von der Normalität. Es ist nach wie vor eine ganz schwierige Zeit.

Wie aufwändig ist es, einen Flughafen wieder zum Laufen zu bringen?

Wir hatten ja die gesamte Zeit über auf niedrigem Niveau geöffnet und die Infrastruktur lässt sich relativ leicht wieder in Betrieb nehmen. Für die Koordinierung haben wir ein bereichsübergreifendes Team eingerichtet: Abläufe und Verfahren, aber auch körperliche Arbeit müssen wieder trainiert werden. Für die Bodenverkehrsdienste, die auch die Gepäckverladung übernehmen, bieten wir zum Beispiel ein jobspezifisches Trainingsprogramm an, damit sie ihre Muskeln wieder aufbauen und ihren Rücken stärken können.

Wie haben Sie persönlich die vergangenen 15 Monate erlebt? Leere Terminals müssen für einen Flughafenchef deprimierend sein.

Man ist in der Verantwortung, das Unternehmen zu führen und hat gar nicht so viel Zeit darüber nachzudenken. Aber es stimmt: Ein leerer Flughafen ist ein unglaublich trauriges Bild. Noch immer sind rund 80 Prozent unserer Mitarbeiter in Kurzarbeit und arbeiten durchschnittlich nur 40 Prozent ihrer regulären Arbeitszeit. Wir sind sehr dankbar für dieses Instrument und werden es auch weiter brauchen. Niemand hat gedacht, dass sich die Krise so lange hinzieht. Zum Glück stehen unsere Gesellschafter zu ihrem Unternehmen.

Wann wird es in den Terminals wieder so voll sein wie 2019?

Wir haben dafür keine Referenzpunkte. Es kann Ihnen niemand genau sagen, wie die Erholung genau verlaufen wird. Daher haben wir ein Szenario erarbeitet, das unterstellt, dass wir bis 2024 auf 80 Prozent der Flugbewegungen von 2019 kommen und 2025 auf 85 Prozent. Wir passen unseren Personalbedarf darauf auf: Bis 2023 werden wir 200 unserer 2000 Stellen abbauen. Wir planen das ohne betriebsbedingte Kündigungen und setzen auf Altersteilzeitprogramme und Fluktuation.

Das heisst, Sie rechnen selbst langfristig nicht damit, dass der Flugbetrieb an seine alten Zahlen anknüpfen kann?

Wir rechnen damit, dass die Luftfahrtbranche eine Wachstumsbranche bleibt. Aber unsere Planungen sind derzeit mit so vielen Unsicherheiten behaftet, dass unser Szenario lieber auf der vorsichtigen Seite ansetzt. Aber natürlich würden wir uns freuen, wenn der Verkehr deutlich schneller wieder anspringt.

Die Tendenz scheint ja derzeit gegen ein „Zurück zum Alten“ zu sprechen. Viele haben sich an ein Leben ohne Kurz-Shoppingtrips und Städtereisen gewöhnt und wünschen sich die alte Welt gar nicht zurück. Digitale Meetings könnten Geschäftsreisen ersetzen.

Im Moment sieht man in der Tat eine Zurückhaltung bei Städtereisen, aber die haben nie den beherrschenden Teil der Flugbewegungen ausgemacht. Der klassische Urlaub ist da wichtiger, ebenso der Besuch von Familien und Freunden oder der Flug ins Heimatland. Dieses Segment ist gewachsen und das sehe ich weiterhin als sehr stabil an. Das Geschäftsreisesegment wird durch die Etablierung virtueller Meetings sicher eine Veränderung erfahren. Aber in der Mischung von allen Elementen sehe ich perspektivisch weiterhin Wachstum. Das muss man ja auch in einem weltweiten Kontext betrachten. Der Wunsch nach Mobilität bleibt und wird weiter wachsen.

Zugleich wächst aber auch die Kritik an den klimaschädlichen Emissionen des Fliegens. Die Klimaschutzbewegung und Fridays for Future haben den schnellen Flug in den Urlaub oder zum Meeting für so manchen zu einer ethischen Frage gemacht.

Die Debatte ist da und es wäre falsch sie wegzudrücken. Aber die Luftfahrtbranche tut ja sehr viel in diesem Bereich, mehr als in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wir selbst werden als Flughafen bis Ende des Jahres CO2-neutral wirtschaften. Weniger Energieverbrauch, innovative Technologien, Naturschutzprojekte und hochwertige Ausgleichszertifikate – das sind die Bausteine für unseren CO2-neutralen Flughafenbetrieb. Nahezu 100 Prozent der Fahrzeuge auf dem Vorfeld fahren bereits mit alternativen Antrieben oder synthetischem Diesel.

Aber das Fliegen selber bleibt der Knackpunkt.

Das stimmt, aber es tut sich etwas, mehr als die Öffentlichkeit wahrnimmt. Die Branche arbeitet an klimafreundlichen Triebwerkstechnologien und der Entwicklung synthetischen Kerosins. Airbus entwickelt wasserstoffbetriebene Flugzeuge. Solche Technologien werden nicht über Nacht verfügbar sein. Aber die Lösung wäre ja nicht, dass man solange nicht mehr fliegt.

In Deutschland gibt es gefühlt alle 50 Kilometer einen Regionalflughafen, auch die Schweiz hat einige. Wie viele braucht ein kleines Land?

Die Schweiz hat mit Zürich, Genf und Basel drei Flughäfen, die in ihrer wirtschaftlichen Wertschöpfung nicht unterschätzt werden sollten. Zudem muss die Erreichbarkeit eines Landes sichergestellt sein. Die Schweiz ist ja sehr exportorientiert. Kleinere Flughäfen erfüllen wiederum eine wichtige Funktion als Zubringer zu den grossen Drehkreuzen.

Für diese Kurzflüge gibt es Alternativen: In der Schweiz bietet die Swiss in Kooperation mit der SBB schnelle Zubringerzüge ab Basel, Genf und Lugano nach Zürich statt Zubringerflüge an. In Deutschland kooperiert die Lufthansa mit der Deutschen Bahn. Ist das ein Modell der Zukunft?

Es ist grundsätzlich wichtig, dass man die Kombination und Vernetzung der Verkehrsträger voranbringt. Wenn das funktioniert, wird der Markt sich ganz von selber einspielen. Zwischen Hamburg und Berlin ist die Zugverbindung so gut, dass kein Mensch nach Flugverbindungen ruft. Die Entwicklung muss sein, die verschiedenen Verkehrsträger in einem Zusammenspiel in ihren Stärken zu nutzen, statt den einen gegen den anderen auszugrenzen. Dann werden sich gewisse Dinge von selbst regeln. Die Reisenden werden die beste Option auswählen.

Das Schweizer Volk hat soeben mit knapper Mehrheit einen Vorschlag abgelehnt, für eine Senkung des CO2-Ausstosses unter anderem das Fliegen zu verteuern. Wie sehen sie die Wirkung nationaler Bestrebungen wie dieser?

Die Luftfahrt ist international. Also sollte man verbindliche Klima-Abgaben für Flüge auf internationaler Ebene regeln. Wenn sie sich von Land zu Land unterscheiden, schwächt es die Industrie jener Länder, die voran gehen. Das kann ja auch nicht im Sinne einer Wirtschaftspolitik sein.

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