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Leitzins-Limbo: Die Nationalbank kann noch viel tiefer

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"How low can you go?" Die einzige Frage, die beim Limbo zählt. Ivy Pete and His Limbomaniacs /Montage: Swissinfo

Weltweit läuten die Notenbanken eine weitere Runde von geldpolitischen Lockerungen ein. Wie tief können die Zinsen noch gehen? Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat vorgesorgt: Eine raffinierte Regelung erlaubt ihr, die Zinsen noch weiter ins Negative zu drücken. Weiter, als bisher gedacht.

Die US-Notenbank Fed hat es bereits getan. Sie hat im Juli die Zinsen gesenkt, um die Wirtschaft zu stützen. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist letzte Woche nachgezogen und hat ebenfalls ein Stimulierungspaket beschlossen. Nun trifft sich am Donnerstag die Schweizerische Nationalbank (SNB) zur Lagebeurteilung. Sie ist unter Zugzwang. Um eine weitere Aufwertung des Schweizer Frankens zu verhindern, wird auch sie über eine Zinssenkung nachdenken müssen.

Alle nach unten: Leitzinsen der US-Notenbank FED, der Europäischen Zentralbank und der Schweizerischen Nationalbank. swissinfo.ch

Was daran so speziell ist: Der SNB-Leitzins ist mit –0.75 Prozent bereits der tiefste der Welt. Wie weit kann die Nationalbank noch gehen? Um das zu klären, haben wir das Negativzinsreglement* der SNB genau studiert. Fazit: Die SNB kann den Leitzins noch deutlich weiter senken, als bisher gedacht. Wir erklären Ihnen, wie das geht.

Genau wie Sie und ich hat jede Bank ein Bankkonto – im Gegensatz zu uns allerdings bei der SNB. Nehmen wir an, dass eine Geschäftsbank («Beispielbank») auf diesem Konto 45 Milliarden Franken besitzt. Neben dem elektronischen Geld hält sie Bargeld – sagen wir: 1 Milliarde Franken.

Auf dem elektronischen Guthaben belastet die Nationalbank den Geschäftsbanken einen Negativzins von –0.75 Prozent. Allerdings nur auf einem Teilbetrag. Bei der Beispielbank nehmen wir an: auf 5 Milliarden Franken. Von den Negativzinsen ausgenommen sind die restlichen 40 Milliarden. Das ist der sogenannte Freibetrag.

Wie sind Sie als Privatperson davon betroffen? Wahrscheinlich zahlen Sie heute – wie die meisten Bankkunden in der Schweiz – noch keinen Negativzins. Es könnte aber sein, dass Ihre Geschäftsbank den Trick der SNB dereinst kopiert. Dann gäbe es Bankkonten, auf denen ein Teil der Guthaben mit einem Negativzins belastet würde. Wie gross der Freibetrag wäre, hinge von Ihrem Verhalten ab: Bezögen Sie als Reaktion auf die Negativzinsen mehr Bargeld als zuvor, würde Ihnen – dem Vorbild der SNB folgend – der Freibetrag verringert. Es lohnt sich deshalb, allfällige Änderungen in den Geschäftsbedingungen der Banken genau zu studieren.

Wenn die Zinsen zu tief sinken, verspüren auch die Banken einen normalen Reflex: Flucht in ein attraktiveres Umfeld. «Weshalb sollen wir die 5 Milliarden Franken, auf denen die SNB uns einen Negativzins belastet, nicht einfach vom Konto abziehen und in bar halten?», fragt sich die Managerin unserer Beispielbank. Auf Bargeld ist der Zinssatz schliesslich null und damit höher als –0.75 Prozent. Je tiefer der SNB-Leitzins, desto drängender wird diese Frage für die Geschäftsbanken.

Das bereitet den Notenbank-Ökonomen schlaflose Nächte. Beziehen die Banken nämlich ihr ganzes Geld in bar, kollabiert das Geldsystem, wie wir es heute kennen.

Doch für diesen Fall hat die SNB vorgesorgt. Die Regel der Nationalbank besagt nämlich: Wer mehr Bargeld halten will, als üblich, wird mit einem tieferen Freibetrag bestraft! So stellt die Nationalbank sicher, dass die Geschäftsbanken weiterhin elektronisches Geld halten – eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Negativzinsen überhaupt wirken.

Bezieht eine Geschäftsbank also überdurchschnittlich viel Bargeld, führt das eben nicht dazu, dass sie weniger Negativzinsen bezahlen muss. Hebt unsere Beispielbank 5 Milliarden Franken ab, bekommt sie nämlich 5 Milliarden aus dem negativzinsbefreiten Freibetrag (siehe Rechnungsbeispiel). Das führt dazu, dass unsere Beispielbank weiterhin auf 5 Milliarden Franken einen Negativzins zahlen muss – trotz des scheinbar ausgefuchsten Bargeldbezugs.

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Effektiv wird so sichergestellt, dass die Banken ihre Negativzinsen auch bezahlen. Das ermöglicht der Nationalbank, die Zinsen noch weiter zu senken.

Das ausgeklügelte Negativzinsregime der SNB hat Bargeld als Nullzinsalternative für Banken bereits eliminiert. Kopieren die Geschäftsbanken die Regelungen der SNB gar, steht weit tieferen Zinsen nur noch wenig im Weg.

Autor Fabio CanetgExterner Link ist Makroökonom an der Universität Bern. Mit Unterstützung von Andrea M. Gambon, Michèle Nagel und Raphael Wewita.

* «Der Freibetrag entspricht aktuell dem 20-fachen des Mindestreserve-Solls der Unterlegungsperiode (UP) 20. Oktober 2014 bis 19. November 2014 (statische Komponente), abzüglich einer Zunahme bzw. zuzüglich einer Abnahme der Bargeldhaltung (dynamische Komponente).» [Hervorhebung durch swissinfo.ch]

Weiterführende Literatur: Boutros, M. und J. Witmer (forthcoming) «Monetary Policy Implementation in a Negative Rate Environment,» Journal of Money, Credit, and Banking.

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