Ignazio Cassis: «Demokratien sind heute von innen und aussen bedroht»
Der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und immer mehr Autokratie: Die Welt sei mit zahlreichen Krisen konfrontiert, zu deren Lösung die Schweiz beitragen könne, sagte Bundespräsident Ignazio Cassis am 98. Auslandschweizer-Kongress.
Die Fünfte Schweiz, so betonte er, könne «eine wichtige Rolle» spielen. «Wir leben heute in einer neuen Welt», sagte Ignazio Cassis anlässlich des Auslandschweizer-Kongresses in Lugano. Vor rund 400 Zuhörer:innen aus 40 Ländern erinnerte der Bundespräsident an die vielfältigen Krisen, die die Stabilität der Welt stören, von der wachsenden Rivalität zwischen den Grossmächten bis hin zur systematischen Verletzung des Völkerrechts.
Der «brutale Angriffskrieg» eines UNO-Mitgliedslandes mit Vetorecht gegen einen souveränen Staat in Europa «hat diese folgenschwere Veränderung beschleunigt», sagte Cassis und fügte hinzu, dass der von Russland entfesselte Krieg «die Friedensordnung in Europa zerstört hat».
Das Aussendepartement EDA wird im November dieses Jahres eine neue Smartphone-App lancieren, die von den konsularischen Diensten speziell für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer entwickelt wurde. Sie wird als Kommunikationsplattform zwischen den Auslandschweizer:innen und dem EDA dienen: zwischen Schweizer:innen im Ausland und den Botschaften, zwischen der Auslandschweizer:innen und Bern.
Der Name «SwissInTouch» verdeutliche den Willen zum Dialog und zum Austausch, der hinter dieser technologischen Entwicklung stehe.
Autokratisches Denken breite sich aus, betonte Cassis: «Zwei Drittel der Menschheit leben heute in einer Autokratie. Dies hängt mit der demografischen Entwicklung zusammen, ist aber vor allem ein Spiegelbild der globalen politischen Entwicklungen.» Laut dem Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA ist die erhebliche Zunahme von Militärputschen ein weiteres «alarmierendes Signal». «Die Demokratien sind heute von aussen und von innen bedroht», sagte er.
Eine schwierige und verwirrende Situation, die auch durch den Rückzug der Globalisierung zugunsten der Regionalisierung, die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft und die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise gekennzeichnet ist. «Die Demokratie und der liberale Fortschritt sind noch lange nicht gesichert», warnte Cassis.
Die Rolle der Fünften Schweiz
Dennoch zeigt sich der Bundespräsident zuversichtlich. Langfristig wird es einen Umschwung geben und die liberale Demokratie wird ihren «Siegeszug» fortsetzen können. «Ich bin auch überzeugt, dass die liberalen Demokratien im Wettbewerb der Systeme noch einige Asse im Ärmel haben», sagte Cassis, für den eine ihrer grossen Stärken der «kritische Dialog mit den Bürgern und Bürgerinnen» ist.
Die Schweiz könne einen wertvollen Beitrag leisten, indem sie beispielsweise Staaten und Gesellschaften bei der Stärkung ihrer Demokratien unterstütze, sagte Cassis. «Um die grossen globalen Probleme zu bewältigen, müssen alle Staaten zusammenarbeiten, und dazu braucht es ein Mindestmass an Vertrauen – und Brückenbauer wie die Schweiz», betonte er.
«Wir werden auch in Zukunft einen effektiven und zielgerichteten Multilateralismus unterstützen. Unser Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gibt uns dazu ein weiteres Instrument an die Hand».
«Elixier der Demokratie»
Für Cassis sind der Dialog und die Fähigkeit, tragfähige Kompromisse zu finden, das «Lebenselixier der Schweizer Demokratie». Es sei jedoch notwendig, über Innovationen nachzudenken, die die Schweizer Demokratie weiter stärken und an künftige Herausforderungen anpassen können, betonte er. In diesem Zusammenhang spielen die Auslandschweizer eine wichtige Rolle».
«Sie beobachten unser Land von aussen, was oft zu wichtigen neuen Erkenntnissen führt», sagt Cassis. Zudem würden die über 780’000 im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer immer mehr Wissen über ihr Gastland erwerben, was dazu beitragen könne, die Debatte in der Schweiz voranzutreiben.
Mehr als 400 Mitglieder der Fünften Schweiz treffen sich jedes Jahr während drei Tagen in der Schweiz zu ihrem Jahreskongress. Die Veranstaltung beginnt traditionell mit der Sitzung des Auslandschweizerrates, dem «Parlament der Fünften Schweiz», bevor sie am Freitagabend offiziell eröffnet wird. Der Samstag ist der Plenarversammlung und dem offiziellen Kongressthema gewidmet, das dieses Jahr lautet: «Welche Herausforderungen für unsere Demokratie? Der Sonntag bietet die Gelegenheit, die Gastgeberregion zu besuchen.
ASO-Präsident Filippo Präsident hatte den Bundespräsidenten zuvor direkt angesprochen, erst mit einem Dank: «Wir spüren, dass sich das EDA in letzter Zeit viel mehr mit der Fünften Schweiz befasst. Wir finden wirklich Gehör», sagte Lombardi.
Appell an den Bundespräsidenten
Dann folgt ein Appell «Herr Bundespräsident, helfen Sie mit, dass der Bundesrat geschlossener ist in internationalen Fragen. Die Auslandschweizer möchten, dass die Personenfreizügigkeit nicht gefährdet wird von anderen Streitereien, die wir manchmal mit unseren mächtigen Nachbarn erleben. Und, Herr Bundespräsident, unterstützen Sie bitte die Ausübung unserer politischen Rechte!»
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