Die Schweiz verliert zwei Schutzmachtmandate
Die Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien schmälert die bisherige Rolle der Schweiz in der Region. Dass China die Vermittlung gelungen ist, überrascht viele.
Es war eine gute Nachricht aus einer Region, die an Konflikten reich ist. Im Nahen Osten nähern sich die Lokalmächte Saudi-Arabien und Iran wieder an. Ab sofort wollen Riad und Teheran noch verbleibende Differenzen beilegen. Dann, innerhalb von zwei Monaten, wollen sie ihre jeweiligen Botschaften wiedereröffnen.
Zuvor herrschte Eiszeit. Riad hatte die Kontakte mit Teheran 2016 gekappt. Ihre Rivalität trugen die beiden Staaten auch bei militärischen Konflikten in der Region aus, insbesondere im Jemenkrieg.
Um die konsularischen Dienste dennoch aufrechtzuerhalten, betrauten beide Staaten 2017 die Schweiz mit einem Schutzmachtmandat. 2018 traten diese in Kraft.
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Die Schweiz blieb aussen vor
Die Rolle des Vermittlers beim jetzigen Durchbruch hatte aber China, wo auch die Dokumente unterzeichnet wurden. Involviert waren zudem Oman und der Irak. So fanden in Bagdad mehrere Gesprächsrunden statt.
Ausgerechnet die Schweiz blieb aussen vor. Das neutrale Land, das sich auf internationalem Parkett gerne als Maklerin des Friedens anbietet, war auch in diesem Fall aktiv – aber nicht gefragt. «Im Rahmen der Guten Dienste hat die Schweiz die Aufnahme des Dialogs zwischen Saudi-Arabien und Iran unterstützt», schreibt das Schweizer Aussenministerium auf Anfrage dazu.
«Das wäre doch unsere Aufgabe»
Überrascht ob des Erfolgs der chinesischen Diplomatie ist der parteilose Ständerat Thomas Minder. Als Mitglied der aussenpolitischen Kommission hat er die Region 2020 bereist und schon damals eine proaktivere Rolle der Schweiz als Vermittlerin in der Region gefordert.
Ihm stellt sich jetzt die Frage, warum es nicht die Schweiz war, die diese Mediation zustande gebracht habe. «Genau so etwas wäre doch unsere Aufgabe», sagt er.
Mit den Schutzmachtmandaten sei man prädestiniert dafür gewesen, sagt Minder weiter. Man habe ja bereits gute Kontakte gehabt und werde auch von beiden Ländern als Drittpartei geschätzt. «Das ist eine verpasste Chance», bedauert er, auch wenn er natürlich froh über das Ergebnis sei. Für ihn ist klar: «Wir brauchen eine mutigere Aussenpolitik. Wir sollten solche Aufgaben aktiver suchen.»
«China hat mehr Gewicht»
Auch Aussenpolitiker Fabian Molina (SP) ist überrascht, dass China den Knoten lösen konnte. Er spricht von einem grossen diplomatischen Erfolg für das Land, das bisher kaum als wichtiger diplomatischer Akteur aufgefallen sei. Dass China dies erreicht hat und nicht die Schweiz, ist für Molina aber erklärbar: «China hat mehr Gewicht, da muss man sich keinen Illusionen hingeben.»
Tatsächlich hat insbesondere der Iran angesichts seiner politischen Isolation und internationaler Kritik in den vergangenen Jahren in Asien nach neuen Partnern gesucht.
Molina verweist zudem auf aktuelle Veränderungen in der Region: Das Verhältnis der arabischen Staaten zu Israel, die schrittweise Rückkehr des syrischen Assad-Regimes auf dem diplomatischen Parkett: «Das Gleichgewicht sortiert sich neu, und China will sich positionieren.»
Die Schweiz hat den Ländern «zu diesem wichtigen Schritt gratuliert», schreibt das Aussendepartement auf Anfrage. Das Abkommen sei ein «wichtiger Schritt, um die Stabilität der Region zu stärken».
Gute Dienste als Argument
Zuletzt hatte Aussenminister Ignazio Cassis Diskussionen um die Schweizer Neutralität stets mit dem Argument angereichert, dass die Schweiz international eine besondere Rolle spielen müsse: «Die Rolle der Diplomatie, des Brückenbauers. Da können wir einen Mehrwert für alle anderen Ländern anbieten», sagte Cassis etwa dem Schweizer Fernsehen SRFExterner Link.
Mit Verweis auf diese besondere Schweizer Rolle und ihre Guten Dienste kämpfte der AussenministerExterner Link erst gerade gegen eine Forderung des Nationalrats, die Schweiz müsse dem iranischen Regime stärker entgegen treten, etwa durch Übernahme der EU-Sanktionen.
Serie von Absagen an die Schweiz
Zuletzt erhielt die Schweiz jedoch wiederholt Absagen, als sie ihre Guten Dienste anbot.
- Im März 2022 wollte sie Gespräche zwischen der Ukraine und Russland organisieren. Die Ukraine zeigte sich wenig interessiert. Russland gab der Türkei den Vorzug, wo die Gespräche schliesslich stattfanden.
- Als sie sich anbot, die jeweiligen Schutzmachtmandate zwischen der Ukraine und Russland zu übernehmen, antwortete Russland ebenfalls abschlägig.
- Ebenso erfolglos waren intensive Bemühungen der Schweiz ab 2019, zwischen den USA und Venezuela als jeweilige Schutzmacht zu agieren. Venezuela ignorierte das Angebot.
- Laut der Financial Times ist es Katar, das heute die heiklen Verhandlungen über die Freilassung iranisch-amerikanischer Geiseln führt. Dies obwohl es die Schweiz ist, die für die beiden Länder als jeweilige Schutzmacht fungiert.
In Riad und Teheran will die Schweiz nun eine reibungslose Übergabe gewährleisten. Konkret werde in einem solchen Fall die Abschlussphase sowie der genaue Zeitpunkt gemeinsam besprochen und dann durch den Mandatsgeber schriftlich mitgeteilt, informiert das Aussenministerium dazu.
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Schwindende Schutzmachtmandate
Wenn es soweit ist, hält die Schweiz noch fünf ihrer heute sieben Schutzmachtmandate. Und wenn Russland seinen Einfluss in Georgien weiter ausbauen kann, können mittelfristig auch die jeweiligen Schutzmachtmandate für diese Länder wegfallen.
Aussenpolitiker Fabian Molina sagt: «Schutzmachmandate haben ihre Funktion und Berechtigung, aber wenn sie nicht mehr gebraucht werden, ist es eigentlich ein gutes Zeichen.»
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