Kein Vertrauen in die Steuer-Reform der «Elite»
Nach der deutlichen Ablehnung der Unternehmenssteuerreform III diagnostizieren die Schweizer Medien ein "grösseres Malaise", "Vertrauensverlust" und einen "helvetischen Trump-Effekt" gegenüber der Elite. Gewonnen sei mit dem Nein allerdings noch gar nichts.
Die Stimmbevölkerung hat die Unternehmenssteuerreform (USR III) am Wochenende klar abgelehnt. Die Vorlage wollte den international kritisierten Steuerprivilegien für ausländische Unternehmen mit Sitz in der Schweiz ein Ende setzen. Weil die Reform gleichzeitig die Steuern für alle Unternehmen gesenkt hätte, hatten die Sozialdemokraten das Referendum ergriffen – mit Erfolg.
Zauber allein genüge eben nicht, wenn die Stimmenden wissen wollten, wer die Verlierer und Gewinner einer solchen Reform seien, kommentiert die Westschweizer Tageszeitung Le Temps. Die Interessen der Unternehmen über jene der Arbeitenden zu stellen, hätten Letztere dazu gebracht, an ihre Vorrangstellung im direktdemokratischen System zu erinnern.
«Sechs von zehn Stimmenden, die eine von der Regierung gekrönte Steuervorlage ablehnen, ist eine Pleite erster Güte, die in der Schweizer Politik nur selten vorkommt», schreibt die Westschweizer Tageszeitung 24 heures unter dem Titel «Eine Lektion, die sehr teuer werden kann». Die USR III habe Werkzeuge vorgesehen, die ihrem Geist widersprächen. «Fiktive Zinsen, Patentboxen und andere technische Kunstgriffe kamen bei einem Laienpublikum wie neue Kombinationen zur Umgehung des Fiskus an.» Damit sei es leicht gewesen, die Vorlage als «Geschenk für die Reichen» abzutun, so das Fazit von 24 heures.
«Unbehagen zielt auf falsches Objekt»
«Offensichtlich bröckelt der Glaube, dass alle Menschen von einer unternehmensfreundlichen Standortpolitik profitieren», stellt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) fest. «Wenn es den Firmen gutgeht, dann geht es auch dem Durchschnittsbürger gut, lautete früher die Überzeugung.» Anders als die Menschen anderswo hätten die Schweizer nur beschränkt Grund zur Klage. Die Schere zwischen den Gesellschaftsschichten öffne sich kaum, und die sprudelnden Firmensteuereinnahmen der letzten rund zwanzig Jahre hätten staatliche Leistungen finanziert, die tatsächlich allen zugutekämen, so die NZZ. «Und doch sorgen sich Angehörige des Mittelstands auch hierzulande mehr und mehr: Lohnen sich meine Anstrengungen überhaupt? Werde ich mit meiner Abgabenlast je nach oben aufschliessen können? Ist meine Existenz in einer immer stärker globalen und digitalen Wirtschaft sicher?»
Laut NZZ haben sich die Stimmenden ein wenig geeignetes Objekt gewählt, um ihr Unbehagen auszudrücken. «Doch das Unbehagen gilt es ernst zu nehmen, sonst werden noch grössere Schäden folgen.»
Der Zürcher Tages-Anzeiger und der Berner Bund erklären sich das Nein zum Teil mit einem «helvetischen Trump-Effekt: ein diffuses Votum gegen die Globalisierung und ihre Auswirkungen.» Es räche sich jetzt, dass die Schweizerische Volkspartei (SVP) seit Jahrzehnten die Institutionen madig mache. Man könne nicht ständig die Eliten verunglimpfen und dann den Stimmbürgern auf einmal sagen: «Bei dieser komplizierten Reform müsst ihr einfach den Eliten vertrauen.»
Dass die Schweiz vorerst nicht in der Lage ist, ihre Unternehmensbesteuerung zu reformieren, sei aber nicht gut für das Land. «Für die Firmen, die uns Wohlstand bringen, wird die Phase der Rechtsunsicherheit verlängert», so das Fazit des Kommentars, der in diesen beiden Zeitungen erscheint.
Ausländische Pressestimmen
«Die Schweizer haben die von der Regierung geplante Unternehmenssteuerreform versenkt. Das ist bitter, denn die Stossrichtung der Reform war gut. (…), kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. «Die Welt wartet nicht auf die Schweiz. In den Vereinigten Staaten und in Grossbritannien stehen Steuersenkungen für Unternehmen an. Dagegen hätten die Schweizer ein Zeichen setzen können. Stattdessen haben die Eidgenossen mit der Ablehnung der Reform ihrem Land einen Bärendienst erwiesen.»
Laut Financial Times hat eine «globale Anti-Establishment-Stimmung» die Schweiz erreicht. «Die Niederlage ist ein Schlag für die Unternehmenslobby in der Schweiz, die Schaden durch die Unsicherheit über zukünftige Steuern fürchtet. (…)»
«Breites Misstrauen»
«Obwohl auf der Seite der Befürworter drei von vier Bundesratsparteien, 25 von 26 Kantonsregierungen und die mächtigen Wirtschaftsdachverbände standen, gelang es den Befürwortern nicht ansatzweise, die Stimmbürger mit ihren Argumenten zu überzeugen», schreibt die Berner Zeitung (BZ).
«Die Abschaffung der nach internationalen Regeln verpönt gewordenen Steuerprivilegien für Statusgesellschaften war zwar unbestritten. Doch dass man diese alten flugs durch fantasievoll konstruierte neue Privilegien ersetzen wollte, weckte breites Misstrauen.»
Der Steuerwettbewerb habe seine Grenzen, so die BZ.
Das Stimmvolk habe sich nicht durch Drohungen einschüchtern lassen wollen. «Vor allem gegen Ende der Kampagne hätte man meinen können, internationale Unternehmen würden ausschliesslich der tiefen Steuerbelastung wegen in der Schweiz Geschäfte treiben.
Haben wir denn nicht mehr zu bieten? Eine perfekte Infrastruktur zum Beispiel, einen effizienten Arbeitsmarkt, Innovation, politische Stabilität?», fragt die BZ rhetorisch und meint: «All diese Faktoren sind der Grund dafür, dass die Schweiz vom World Economic Forum zuletzt achtmal in Folge als wettbewerbsfähigstes Land der Welt bezeichnet wurde.»
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