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Krise oder nicht, die Welt braucht immer Zement

Baustelle in Shanghai: China verbraucht über die Hälfte der weltweiten Zementproduktion. Reuters

In den letzten 15 Jahren hat sich die weltweite Produktion von Zement mehr als verdoppelt, besonders wegen dem Bauboom in den Schwellenländern. Zu den Marktführern gehört auch die Schweizer Holcim, die dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert.

Türmen Sie 12’000 Mal das New Yorker Empire State Building aufeinander, und Sie erhalten die Menge an Zement, die 2011 weltweit produziert wurde: 3,4 Milliarden Tonnen waren es laut Angaben des US-Geological Survey.

Nach zwei Jahren des Rückgangs wegen der Finanzkrise hat die weltweite Zementproduktion 2010 wieder um 9,2% gegenüber dem Vorjahr zugenommen.

2011 wurde ein erneuter Anstieg um 2,8% verzeichnet.

Lokale Märkte, globale Akteure

Eine der Charakteristiken der Zementindustrie ist die fast absolute lokale Produktion: 95% des weltweit konsumierten Zementes wird in den jeweiligen Produktionsländern verbaut.

Diese Besonderheit hat den Sektor aber nicht vor einer Konsolidierung bewahrt. Kontrollierten 1990 die sechs grössten Konzerne 10% der Weltproduktion, liegt dieser Anteil heute bei 25% (und erreicht ohne China sogar 45%).

Die sechs Grossen der Branche sind die französische Lafarge, die schweizerische Holcim, die irländische CRH, die deutsche Heidelberg Cement, die mexikanische Cemex und die italienische Italcementi.

In den vergangenen Jahren hat sich das Gravitationszentrum der Zementindustrie in die Schwellenländer verschoben, die heute rund 90% des produzierten Zements verbauen. Vor 20 Jahren waren es erst 65% gewesen.

«Gegenwärtig liegen 75% unserer Produktionskapazitäten in den so genannten Emerging Markets», sagt Peter Stopfer, Kommunikationsverantwortlicher bei Holcim. 2011 produzierte der Schweizer Konzern 216 Millionen Tonnen Zement, 4,5 Mio. mehr als im Vorjahr.

Riesenmarkt China…

Unter den Schwellenländern verbraucht China den Löwenanteil: Innerhalb von 10 Jahren hat sich die Gesamtproduktion im Reich der Mitte vervierfacht. Derzeit stellt China mehr als die Hälfte des weltweit produzierten Zements her.

Der chinesische Markt ist jedoch speziell: «Es gibt etwa 1500 Hersteller, und die Multinationalen können nur Minderheitsbeteiligungen bei chinesischen Firmen eingehen», erklärt Simon Pallhuber, Analyst bei der Grossbank Credit Suisse und Spezialist für den Bausektor.

Die Situation könnte sich aber auch ändern. «Die chinesische Regierung strebt eine Konsolidierung des Marktes an, was ausländischen Konzernen neue Perspektiven eröffnen könnte», so der Analyst.

Holcim ist seit den 1990er-Jahren im Land präsent. Der multinationale Konzern besitzt Anteile an Huaxin Cement, einem der zehn grössten Akteure im chinesischen Zementsektor. «Die Zusammenarbeit ist ein Erfolg», sagt Stopfer, laut dem «das Wachstum in China auch in den nächsten Jahren zunehmen wird, wenn auch in langsamerem Tempo, weil die Regierung mehr auf Qualität statt auf Quantität setzen will».

In diesem Zusammenhang könnte Holcim über gute Karten verfügen. Laut Pallhuber hat der Konzern «ein Innovationspotenzial, das nicht zu unterschätzen ist». Gegenüber der lokalen Konkurrenz, die eher mit Rabatten spielen könne, habe Holcim den Vorteil, «Produkte hoher Qualität» anbieten zu können.

«In einem Land, in dem manchmal Gebäude wegen der schlechten Qualität des Betons einstürzen, kann das ein entscheidender Faktor sein», so Pallhuber.

… und die anderen

Der andere grosse Markt in Asien ist Indien, wo sich Holcim eine führende Stellung erarbeitet hat. Man habe entschieden, in den kommenden Jahren die Produktionskapazitäten im Osten des Landes um 5 Mio. Tonnen zu erhöhen, heisst es. «Ein Markt mit grossem Potenzial», schätzt Stopfer.

Zwar habe die Zementindustrie in Indien letztes Jahr wegen der hohen Inflation, die auf die Margen drückte, einige Schwierigkeiten gehabt, erklärt Analyst Pallhuber. Diese Probleme scheinen jedoch überwunden zu sein.

«Wir sehen auch Wachstum in Australien, Indonesien und Thailand. In Lateinamerika ist natürlich Brasilien wichtig, aber auch Kolumbien und einige Länder Mittelamerikas. Im Nahen Osten sind wir vor allem Ägypten und die Golfstaaten erwähnenswert», so Pallhuber. Ein weiterer Zukunftsmarkt sei Afrika, wo die Nachfrage durch das hohe Bevölkerungswachstum und die Urbanisierung geschürt werde.

Stagnation im Westen

In den Ländern des Westens jedoch sei der Markt eher blutleer, auch wenn regionale Unterschiede feststellbar seien. «Die Zementindustrie durchlebt eine katastrophale Phase, besonders in Italien, Griechenland und Spanien», präzisiert Pallhuber von der Credit Suisse.

In Nordeuropa hingegen wird die Situation von einer gewissen Stabilität geprägt. Eine Ausnahme ist die Schweiz, wo die Bautätigkeit ungebremst fortgesetzt wird: 2010 erreichte der Zementverkauf in der Eidgenossenschaft das höchste Niveau seit 20 Jahren. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Produktion laut Cemsuisse, der Dachorganisation des Sektors, um 5,1% zu.

Anzeichen für eine Erholung kämen auch aus den Vereinigten Staaten, bestätigt Peter Stopfer, der in nächster Zeit «eine leichte Erholung in den wichtigsten Industriestaaten» erwartet.

Ökologische Herausforderung

In den letzten Jahren ist die Verminderung des CO2-Ausstosses zu einer der wichtigsten Herausforderungen für die Zementindustrie geworden. Zur Produktion von Klinker, dem wichtigsten Bestandteil von Zement, müssen die Öfen Temperaturen von über 1400 Grad erreichen. Daher gehört die Zementindustrie mit 5% des weltweiten Ausstosses zu den grössten Produzenten von Treibhausgasen.

«Holcim hat sich verpflichtet, bis 2015 die CO2-Emissionen per Tonne gegenüber den Referenzwerten von 1990 um 25% zu senken», erklärt Peter Stopfer. «Um dieses Ziel zu erreichen, konzentrieren wir uns auf drei Ebenen: Verringerung des Klinkers durch andere Mineralienkomponenten, Einsatz von alternativen Kraftstoffen und Verbesserung der Energieeffizienz.»

Die bis heute unternommenen Anstrengungen hätten sich bereits ausgezahlt und würden auch von Nichtregierungs-Organisationen anerkannt. «Seit 1990 konnten wir die Emissionen um 21,8% reduzieren», so Stopfer. 2010 hat Holcim mit jährlich 100 Mio. Franken einen speziellen Fonds angelegt, um neue Projekte zu entwickeln, besonders für die Suche nach alternativen Kraftstoffen.

«Man würde erwarten, dass diese Multis ihre Bemühungen vor allem in den Industriestaaten durchführen. Doch sie versuchen, die gleichen Regeln überall einzuführen», hat Simon Pallhuber beobachtet.

«Das ist auch zu ihrem Vorteil. Mit dem System der CO2-Emissionszertifikate haben sie ein Interesse an weniger Verschmutzung, um diese Zertifikate vielleicht einmal verkaufen zu können. Das ist eine Möglichkeit, um auch in weniger günstigen Jahren eine gewisse Stabilität zu erreichen.»

Holcim entstand 1912 in Holderbank, Kanton Aargau, unter dem Namen Aargauische Portlandcementfabrik Holderbank-Wildegg.

1914 wird der Industrielle Ernst Schmidheiny, Besitzer der Eternit, Teilhaber. Der Konzern entwickelt sich rasch, öffnet in ganz Europa Filialen und setzt 1927 den Fuss nach Ägypten.

Unter der Leitung von Ernst Schmidheiny Junior eröffnet Holderbank 1938 ein Zementwerk in der Nähe von Kapstadt, Südafrika.

Nach Ende des II. Weltkriegs erlebt der Konzern eine Phase der Konsolidierung, gefolgt von starkem Wachstum in dem 1960er-Jahren.

In den 1990er-Jahren wird Holderbank auf diversen Gebieten Weltmarktführer (Zement, Beton, mineralische Zusatzstoffe). 2001 ändert der Konzern seinen Namen auf Holcim.

Heute ist der Konzern in 70 Ländern tätig und beschäftigt über 80’000 Personen. Ende 2011 produzierte Holcim 216 Millionen Tonnen Zement, etwa 6% der weltweiten Produktion.

2011 betrug der Umsatz des Konzerns 20,7 Mrd. Fr, der Gewinn belief sich auf 682 Mio. Fr.

Holderbank/Holcim stand immer wieder in der Kritik, beispielsweise wegen der Beziehungen zum Apartheid-Regime in Südafrika, wiederholter Verstösse gegen Wettbewerbsgesetze, mangelnder Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Gewerkschaften oder wegen durch Zementfabriken verursachten Umweltproblemen.

Der Wunsch, den Konzern auf den Namen Holcim umzutaufen, entstand aus dem Willen zu einem Neubeginn heraus, weil das Image durch eine Reihe von Rechtsfällen getrübt war.

Die Nichtregierungs-Organisation Multiwatch, welche die Tätigkeiten der Schweizer Multis kritisch verfolgt, gibt an, seit der «Öffnung nach 2001» habe Holcim «seine Bemühungen verstärkt, ökologisch nachhaltig zu produzieren».

Weniger erfolgreich seien Fortschritte in anderen Bereichen. Multiwatch stellt beispielsweise an Produktionsstandorten weiterhin Verstösse gegen Arbeits- und Gewerkschaftsrecht fest.

Mitte April haben internationale Gewerkschaften, darunter auch die Schweizer Unia, beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Arbeitsbedingungen in indischen Fabriken des Konzerns angeprangert: Über 1200 Personen würden als Leiharbeitnehmer beschäftigt, deren Entlöhnung wesentlich schlechter sei als jene der Festangestellten.

Holcim hat reagiert, indem die Anzahl Leiharbeitnehmer reduziert wurde. Die Zahl der Leiharbeitnehmer werde weiter reduziert, sobald eine neue Ofenlinie fertiggestellt sein werde, hiess es.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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