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Nach Aufholjagd verlangsamter Aufschwung

So rasant, wie 2010 die Wirtschaft die Treppen hochgestiegen ist, wird sie es 2011 wohl nicht mehr tun. Reuters

Die Mehrheit der Unternehmensbilanzen zeigt es: 2010 war ein unerwartet gutes Wirtschaftsjahr. Der Aufholeffekt nach der Krise habe die Effekte des teuren Frankens gemildert, schätzen Ökonomen. Doch für 2011 erwarten sie Normalisierung – und mehr Auswirkungen des Frankens.

Wer noch diesen Winter die Wirtschaftslage skeptisch beurteilt hatte, wurde durch die kürzlich publizierten guten Ergebnisse der Grossbanken UBS und Credit Suisse eines Besseren belehrt.

Es folgten und folgen die guten Abschlüsse der grossen multinationalen Schweizer Unternehmen. Allein Nestlé erreichte 2010 einen Umsatz von fast 110 Milliarden und einen Gewinn von über 34 Milliarden Franken.

Hat die Schweiz die negativen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise endgültig hinter sich gebracht? «Obschon wir die Finanzkrise besser überstanden haben als andere Länder, gibt es noch indirekte Elemente, die das Wachstum künftig gefährden können», sagt José Corpataux, Zentralsekretär und Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, gegenüber swissinfo.ch.

Schweiz – «Opfer des eigenen Erfolgs»

«Die weiter bestehende und unmittelbare Folge der Finanzkrise ist der harte Franken, der sich aus der Schwäche des Euro, der ungelösten Frage der EU-Staatsschulden und der Devisenspekulation ergibt», fügt Corpataux an. Er verweist auf die Krisen in Irland, Griechenland, Portugal – das drücke nicht nur den Franken nach oben, sondern ziehe auch die Schweizer Exportindustrie oder den Tourismus nach unten.

Den Schweizer Tourismus treffe der harte Franken doppelt. Nicht nur dass weniger Ausländer kämen. Vielen Schweizern würden Inlandferien ebenfalls zu teuer, wenn ihre Kaufkraft im Ausland vergleichsweise derart viel stärker sei.

Auch Rudolf Minsch, Chefökonom beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse, sagt, der Franken sei «wegen der verschuldeten EU-Staatshaushalte die Safe-Haven-Funktion der Schweizer Währung wieder stärker geworden“.

Doch er betont insbesondere den Aspekt, dass die Schweiz ihre Hausaufgaben grösstenteils gemacht habe. «Die Schweiz ist ein Opfer ihres eigenen Erfolgs.» Er wolle nicht sagen, dass die Schweizer Wirtschaftspolitik fehlerlos gewesen sei, aber «wir haben deutlich weniger Fehler gemacht als andere Länder».

Die Industrie sei relativ fit. Sie orientiere sich seit Jahren verstärkt auf wertschöpfungsintensive Produkte und habe die Restrukturierungen bereits hinter sich gebracht und die geografische Diversifikation der Exportmärkte ausgebaut: «Die relativ grosse Produktivität der Exportindustrie schlägt direkt auf den starken Franken.» Denn der grosse Überschuss der Schweizer Handelsbilanz stärke den Franken ebenfalls.

Auch 2011 harter Franken

Sowohl Minsch als auch Corpataux sprechen von einem «Aufholeffekt», der die gute Konjunktur 2010 geprägt habe. Aber 2011 wirtschafte man wieder im Bereich des Courant normal, und deshalb seien wieder bescheidene Wachstumsraten angesagt, so Minsch.

Die Lage präsentiert sich je nach Unternehmen und insbesondere je nach Branche heute unterschiedlich. Vor allem in den traditionellen Exportsektoren befürchtet Corpataux im laufenden Jahr Auswirkungen des starken Frankens. Dies könnte dort auch negative Beschäftigungseffekte zur Folge haben – trotz einem generellen Wirtschaftswachstum.

Sektoren wie die Bekleidungsindustrie oder kleinere Industrien ganz allgemein könnten 2011 stark vom Franken geschwächt werden, so Corpataux. Das könne bis zur Schliessung von Fabriken gehen. Das Szenario für 2011 zeigt sich also durchzogen, im Durchschnitt zwar ein Wachstum, aber mit Einschritten in einzelnen Sektoren.

«Ob eine Schweizer Uhr einen asiatischen Millionär nun 30’000 oder 33’000 Franken kostet, spielt für die Nachfrage im Luxussektor nicht die gleiche Rolle wie zum Beispiel für die Nachfrage nach Gütern im internationalen Wettbewerb, die in den Euro-Raum exportiert werden, und wo Austeritäts-Massnahmen die Konsumfreude beschneiden», so Corpataux. Bis zu 100’000 Arbeitsplätze stünden dabei auf dem Spiel.

Für den inländischen Bankensektor aber sieht Corpataux wenig Probleme. Da sich die Schweizer Binnenwirtschaft gut entwickle, hätten die Banken in ihren entsprechenden Geschäftsbereichen Unternehmenskredite, Bau und Hypokredite sowie Zahlungsverkehr weiterhin wenig Schwierigkeiten.

Teilweise stimmt Minsch mit dieser Einschätzung überein. «Die unspektakulären Geschäftsfelder der Banken geben auch die unspektakuläre aber stetige Erträge.» In diesem traditionellen Geschäft verdienten die Banken weiterhin Geld. Nur, so wendet Minsch ein, spürten die Banken in diesen Bereichen langsam die für sie unangenehmen Effekte der tiefen Zinsen auf die Ertragsstärke.

Politische Unsicherheiten 2011

Das schlimmste Szenario für die Schweiz sei immer ein starker Franken in Kombination mit einem Einbruch der Weltmärkte gewesen, so Minsch: Träte dies 2011 ein, «dann würde es bei etlichen Exportunternehmen ums Lebendige gehen». Doch auf den Weltmärkten brumme der Motor immer noch deutlich hörbar. Wie dramatisch allerdings sich die Situation im Nahen Osten entwickle, wisse man noch nicht.

Bekannt ist, dass die Schweiz in diese Weltregion gleich viel exportiert wie nach China, das sich weiterhin im Aufschwung befindet. Ein politisch bedingter Rückgang der Nachfrage der arabischen Länder wäre in der Schweiz bestimmt spürbar, schliesst Minsch.

Im laufenden Jahr werde die Schweizer Wirtschaft (Bruttoinlandprodukt, BIP) um über 2% wachsen, schätzt die UBS. Die Binnenkonjunktur werde anziehen und damit die negativen Folgen der Frankenschwäche auf die Exporte mildern. Die UBS sieht 2011 vom Aussenhandel kaum noch Wachstumsimpulse.

Wie die UBS sieht die Credit Suisse (CS) die Binnenkonjunktur zunehmen, auch weil die starke Zuwanderung in die Schweiz das Konsumwachstum ankurble.

Im Gegensatz zur UBS glaubt die CS, dass das Exportvolumen trotz starkem Schweizer Franken wachsen wird. Denn die hohe Nachfrage nach Schweizer Produkten kompensiere den teuren Franken. Die CS hat kürzlich ihre Prognosen für 2011 von 1,2 auf 1,9% erhöht.

Die Wirtschaftsleistung 2010 im Euro-Raum hat sich laut Eurostat um 2,0% verbessert. Im letzten Quartal 2010 stieg das BIP um 0,3% (im Vergleich zum 3. Quartal).

Die Konjunkturlokomotive Deutschland konnte 2010 ein Wirtschaftswachstum von 3,6% verbuchen. Deutschland hat sich damit im Rekordtempo aus der Krise herausgewirtschaftet (Prognose 2011: 2,5%).

In Frankreich betrug das Wachstum 2010 schätzungsweise 1,5%. Für 2011 rechnet die Regierung mit 2%.

Auch im hochverschuldeten Portugal ist die Wirtschaft 2010 trotz Sparmassnahmen um schätzungsweise 1,4% gewachsen.

Weltweit ist die Stimmung der Weltwirtschaft ist so gut wie seit Jahren nicht mehr.

Sie gewinnt nach einem leichten Dämpfer zum Ende des vergangenen Jahres wieder an Fahrt.

Der Weltwirtschafts-Indikator des Münchner Wirtschaftsforschungs-Instituts ifo ist auf den höchsten Wert seit Ende 2007 geklettert – vor Ausbruch der Wirtschaftskrise.

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