Die Schweiz, die Hamas und die Terrorfrage
Jüdische Organisationen in der Schweiz wollen, dass die radikalislamische Hamas als Terrororganisation eingestuft wird. Diese alte Forderung erhält durch die jüngste Eskalation neuen Auftrieb – findet bei der Schweizer Diplomatie aber kein Gehör.
Die Waffen schweigen wieder in Israel und Palästina. Nach elf Tagen intensiver Kämpfe konnte am 21. Mai eine Waffenruhe ausgehandelt werden, die hauptsächlich unter Vermittlung von Ägypten und der UNO zustande kam und eine gegenseitige und gleichzeitige Einstellung der Kampfhandlungen vorsah.
Leidtragend war auch im jüngsten Gewaltausbruch hauptsächlich die Zivilbevölkerung: Mehr als 230 Palästinenserinnen und Palästinenser kamen ums Leben, in Israel wurden 11 Todesopfer gezählt. Die Verletzten gehen in die Tausenden, die Infrastrukturschäden sind vor allem im Gazastreifen immens.
Noch während der Kampfhandlungen verlangten jüdische Organisationen in der Schweiz die Einstufung der Hamas als Terrororganisation. In einer gemeinsamen ErklärungExterner Link beschrieben der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Plattform der Liberalen Juden der Schweiz (PLJS) die Hamas als «klar extremistisch, terroristisch und antisemitisch». Es könne nicht sein, dass «sich die Hamas in der Schweiz frei bewegen, Spenden sammeln und ihre Finanzen abwickeln kann.» Die israelische Botschaft in Bern verlangte dasselbe.
Der Bund winkt ab
Die Forderung ist nicht neu: So verlangte 2017Externer Link der SVP-Nationalrat Christian Imark vom Bundesrat, die Hamas zu verbieten oder als Terrororganisation einzustufen. Auf Anfrage erklärt Imark nach der neuesten Eskalation: «Die Hamas als Terrororganisation einzustufen wäre nach wie vor richtig. Insbesondere weil die Hamas wiederholt als Aggressor auftritt und die eigene Bevölkerung als menschliche Schutzschilder benutzt.»
In der Tat gelten in der Schweiz bislang nur al-Kaida und der Islamische Staat (IS) als terroristische Organisationen. Damit sind direkte Gespräche mit ihnen für die Schweizer Regierung nicht möglich. Und das ist auch der Grund, weshalb der Bundesrat bislang nicht auf die Forderung eingehen wollte: Im Rahmen seiner Friedenspolitik in der Region sei es wichtig, mit allen Akteuren zu sprechen und die Guten Dienste der Schweiz anbieten zu können. Sowohl zwischen Israel und den Palästinensern als auch im innerpalästinensischen Dialog zwischen der islamistischen Hamas und der säkularen Fatah.
Daran hat sich auch nach dem neuesten Gewaltausbruch nichts geändert. Auf Anfrage teilt das Aussenministerium mit: «Das EDA hat die Forderung des SIG zur Kenntnis genommen. Die […] erwähnte Position der Schweiz ist nach wie vor gültig. Die Hamas bestreitet das Existenzrecht Israels und verteidigt den bewaffneten Kampf als ein legitimes Mittel des Widerstands. Die Schweiz verurteilt diese Positionen in aller Deutlichkeit.»
Die Schweiz sei mit allen Konfliktparteien im Kontakt gewesen und habe auch die Hamas in Gaza aufgerufen, alle Gewalthandlungen einzustellen und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie der Menschenrechte zu gewährleisten.
Ein Zielkonflikt
Dass die EU bei der Vermittlung der Waffenruhe keine tragende Rolle gespielt hat, hat mehrere Gründe. Da sie die Hamas als terroristische Organisation eingestuft hat, kann sie keine direkten Gespräche mit ihr führen – dasselbe gilt für zahlreiche weitere Staaten. Manche haben nur den militärischen Arm der Hamas, die al-Quds-Brigaden, als terroristisch eingestuft, nicht jedoch die gesamte Organisation.
Der Druck, die Hamas als terroristisch einzustufen ist nach der jüngsten Eskalation in verschiedenen Ländern gestiegen. So verlangte beispielsweise der deutsche Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet (CDU), die Fahne der Hamas zu verbieten, andere sprachen sich für ein gänzliches Verbot der Organisation. In Deutschland ist die Hamas ebenfalls nicht verboten.
Es fragt sich jedoch, wie zielführend ein Verbot sein würde – gemäss Analysten gilt die Hamas mittlerweile über den Gaza-Streifen hinaus als die stärkste politische Kraft: Dort regiert sie seit 2007, im Westjordanland und unter den arabischen Israeli gewinnt sie zudem laufend an Unterstützung. Der Nahostexperte Erich Gysling fasste im Interview mit der Luzerner ZeitungExterner Link das Dilemma zusammen: «Die Hamas ist der politische Gewinner auf der palästinensischen Seite. Man muss mit ihnen im Gespräch bleiben. Sie als Terroristen zu bezeichnen, hilft niemandem.»
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