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Russland-Sanktionen: Hoher Druck auf die Schweiz

Demonstrationsschild, auf dem Stop Putin, Stop War steht.
© Keystone / Martial Trezzini

Der Druck auf die Schweiz wächst, sich bei den Russland-Sanktionen stärker zu engagieren. Insbesondere sollen die Aufspürung und Sperrung russischer Vermögen zweifelhafter Herkunft intensiviert werden. Könnte die Schweiz mehr tun? swissinfo.ch beleuchtet die wichtigsten Streitpunkte.

Sind 6,3 Milliarden Franken genug? Die Schweiz als weltweit grösster Finanzplatz für die private Vermögensverwaltung und als globale Drehscheibe für den Rohstoffhandel hat bisher 6,3 Milliarden Franken eingefroren und elf Liegenschaften russischer Oligarchen beschlagnahmt. Ist das viel oder wenig? Einige Kritiker:innen im In- und Ausland haben jedenfalls mehr erwartet.

Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) schätzt, dass die Schweizer Banken bis zu 200 Milliarden Franken an Vermögenswerten russischer Kundinnen und Kunden verwalten. Der überwiegende Teil dieser Kundschaft unterliegt keinen Sanktionen. Diese Tatsache erklärt laut der Branchenvereinigung, warum «nur» 6,3 Milliarden Franken gesperrt sind.

Im Inland verlangen linke politische Parteien, dass die Schweiz mehr tun sollte, um weitere Vermögenswerte aufzuspüren und zu sperren. Die Sozialdemokraten forderten die Bildung einer speziellen Taskforce des Bundes, um Oligarchengelder aufzuspüren. Die Forderung hatte bisher keinen Erfolg.

Sowohl der ukrainische als auch der US-amerikanische Botschafter in Bern haben die Schweiz aufgefordert, aktiver nach russischen Vermögen zu suchen. Denn diese könnten auch in Briefkastenfirmen verborgen sein – oder deren wahre wirtschaftlichen Eigentümer wurden verschleiert.

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Die schärfste Kritik kam von der US-Helsinki-KommissionExterner Link, eine unabhängige Behörde der US-Regierung, welche die Aussenpolitik der USA mitbestimmt. Die Kommission führte am 5. Mai 2022 ein öffentliches Hearing durch, in dem sie die Schweiz beschuldigte, ein sicherer Hafen für Gelder des russischen Regimes und damit eine Gehilfin Putins zu sein.

Die Schweizer Behörden und der Finanzplatz haben sich umgehend verteidigt und darauf hingewiesen, dass die EU-Sanktionen erfolgreich umgesetzt werden. «Die Schweiz hat im internationalen Vergleich keinen Grund, sich für die Art und Weise zu schämen, wie sie die Sanktionen anwendet», sagte der Schweizer Regierungssprecher André Simonazzi als Reaktion auf die Vorwürfe der Helsinki-Kommission.

War die Schweiz ausreichend vorbereitet?

Nachdem der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar den Einmarsch in die Ukraine angeordnet hatte, zögerte die Schweiz zunächst, Finanzsanktionen gegen russische Personen und Einrichtungen zu verhängen. Die Regierung argumentierte, ein solcher Schritt könnte die historische Neutralität der Schweiz verletzen.

Diese Haltung löste öffentliche Proteste aus, stiess auf Kritik von Seiten politischer Parteien und hatte negative Schlagzeilen sowie politischen Druck durch die USA und die EU zur Folge. Die Reaktionen verfehlten ihr Ziel nicht: Vier Tage nach der Invasion kündigte die Schweiz eine Kehrtwende an und begann am 4. März mit der vollständigen Übernahme der EU-Sanktionen gegen RusslandExterner Link.

Laut Kritiker:innen wie der Sozialdemokratischen Partei (SP) zeigte sich, dass die Schweiz schlecht darauf vorbereitet war, zügig russische Vermögen zu sperren. Einige Kantone bemängelten, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Aufforderung zur Meldung von Liegenschaften und anderer Vermögenswerte von Oligarchen schlecht koordinierte. Der Bundesrat hatte dieses Amt mit der Umsetzung der Sanktionen beauftragt.

Die Anti-Korruptions-NGO Public EyeExterner Link weist darauf hin, dass die Schweiz seit der Jahrtausendwende eine Erfolgsbilanz bei der Durchsetzung von EU-Sanktionen aufweisen kann. Doch der Umfang, das Ausmass und die Geschwindigkeit der Sanktionen, die seit dem Einmarsch in der Ukraine gegen Russland verhängt wurden, seien bisher beispiellos.

Der Finanzplatz Schweiz hat sich seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 mit Sanktionen gegen Russen befasst. Ein Vermögen von 1,5 Milliarden Franken von Viktor Vekselberg, dem bekanntesten in der Schweiz ansässigen Oligarchen, wurde 2018 eingefroren. Ausserdem wurde sein persönliches Konto geschlossen.

Wo wird das Geld versteckt?

Die Banken hatten mehrere Jahre Zeit, sich an die Sanktionen gegen russische Staatsbürger:innen zu gewöhnen. Umgekehrt galt dies aber auch für Oligarchen mit Verbindungen zum Kreml: Sie hatten reichlich Zeit, ihre Finanzen mit Hilfe von Berater:innen und Rechtsanwält:innen ins Trockene zu bringen. Die Panama Papers und spätere Enthüllungen werfen ein Schlaglicht auf die Verschleierungstaktik dank der Nutzung von Briefkastenfirmen und Treuhandfonds. Einige Oligarchen haben Vermögenswerte auf Verwandte oder Freund:innen übertragen.

Zum Beispiel Oligarch Alisher Usmanov: Sowohl die EU als auch die Schweiz hat ihn mit Sanktionen belegt. Doch er hat sein Vermögen bereits in Treuhandfonds übertragen, die das Vermögen wiederum an Familienmitglieder verschenken, wie er gegenüber den Medien erklärte.

«Solche Strukturen erschweren es Banken und Behörden, die wahren Eigentümer von Vermögenswerten zu ermitteln. Sie sind eine echte Gefahr für den Erfolg des Sanktionsregimes gegen Russland», sagte der Schweizer Anti-Korruptionsexperte Mark PiethExterner Link vor der Helsinki-Kommission.

Nach dem Schweizer Geldwäschereigesetz müssen Banken verdächtige Kund:innen und verdächtige Transaktionen den Behörden melden. Anwält:innen und Berater:innen haben keine solche Verpflichtung, wenn sie Trusts und andere Konstrukte gründen und nicht selbst mit den Vermögenswerten manövrieren.

Selbst die Schweizer Banken fordern, die Gesetzeslücke zu schliessen und die Vorschriften zu verschärfen. «Eine Ausdehnung der Sorgfaltspflichten auf Anwält:innen, Steuerberater:innen und Treuhänder:innen würde das Schweizer System zur Bekämpfung der Geldwäscherei weiter stärken und sollte für eine künftige Verankerung im Schweizer Recht in Betracht gezogen werden», sagt Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg).

Im März 2021 hat das Schweizer Nationalrat einen Vorschlag zur Schliessung dieses Schlupflochs abgelehntExterner Link. Eine Erweiterung der Sorgfaltspflicht für Anwält:innen, Notar:innen und Berater:innen setzte sich nicht durch. Die Mehrheit des Parlaments war der Ansicht, dass eine solche Ausweitung das Berufsgeheimnis verletzen würde. Im Übrigen stelle die Möglichkeit von Anzeigen durch Anwaltskanzleien einen ausreichenden Schutz gegen Geldwäscherei darstelle.

Die Schweizer Behörden haben auch der langjährigen Forderungen von Transparency InternationalExterner Link eine Absage erteilt, ein öffentliches Register zu führen, in dem die wirtschaftlichen Berechtigten von Firmen aufgeführt sind. Ein solches Register würde gemäss der NGO die Bekämpfung der Geldwäscherei markant verbessern.

Ist die Schweiz Opfer ihrer früheren Reputation?

Die Schweizer Regierung hat vehement bestritten, nach dem Einmarsch in die Ukraine gegenüber russischen Oligarchen nachgiebig gewesen zu sein. Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis rief seinen US-Kollegen Antony Blinken an, um gegen die Behauptungen der Helsinki-Kommission nach dem Hearing Anfang Mai zu protestieren.

Das Seco steht nach eigenen Angaben in regelmässigem Kontakt mit internationalen Behörden, unter anderem mit der Taskforce «Freeze and Seize» der EU-KommissionExterner Link. «Die EU-Kommission hat ausdrücklich erklärt, dass sie die Arbeit der Schweiz sehr positiv sieht», erklärt das Seco gegenüber swissinfo.ch. Die Schweizer Regierung prüft im Weiteren auch eine Koordination mit der G7-Taskforce «Russian Elites, Proxies, and Oligarchs» (REPO).

Aber die Schweiz muss noch einige Zweifler:innen davon überzeugen, dass es mit ihrem dubiosen Ruf aus der Vergangenheit wirklich vorbei ist. Im Jahr 2020 trat Daniel Thelesklaf als Leiter der Meldestelle für Geldwäscherei  (MROS) zurück und bezeichnete seine Position als «unhaltbar». Damals sagte er: «Die Schweiz setzt bei der Geldwäschereibekämpfung auf Druck des Auslands immer nur die absoluten Mindeststandards um. Die effiziente Bekämpfung der Geldwäscherei hat keine oberste Priorität.»

Etwa zur gleichen Zeit war der ehemalige Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber dem Vorwurf ausgesetzt, er fahre gegenüber Russland einen Kuschelkurs. Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny gehörte in dieser Hinsicht zu den schärfsten Kritikern. Im Jahr 2020 gab die Bundesanwaltschaft (BA) bekannt, eine Untersuchung über angebliche russische Korruption im Zusammenhang mit dem Tod des Kronzeugen Sergej Magnitski einzustellen.

Lauber musste schliesslich 2020 wegen der groben Ermittlungsfehler im FIFA-Verfahren zurücktreten, aber die Bilanz seiner Russland-Ermittlungen hinterlässt bis heute einen bitteren Nachgeschmack. Die BA würde nur dann Sanktionen verhängen, wenn eine Strafuntersuchung wegen Geldwäsche oder Sanktionsverstössen vorliegt. Bundesanwalt Stefan Blättler als Nachfolger von Lauber ist sich bewusst, dass er etwas gegen das schwindende Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bundesanwaltschaft tun muss. «Es liegt in meiner Verantwortung, unseren ausgezeichneten Ruf wiederherzustellen», sagte er kürzlich gegenüber swissinfo.ch.

Schweiz lehnt Verbot von Rohstoffimporten ab

Die Schweiz ist eine wichtige Drehscheibe für den weltweiten Handel mit Rohstoffen. Zu diesen gehört auch russisches Öl. Die ukrainische Regierung fordert die Staaten weiter auf, die Einfuhr von russischem Öl und Gas zu stoppen, da dieser Handel zur Finanzierung von Putins Kriegsmaschinerie beitrage.

Die Schweiz kann zu Recht darauf verweisen, dass die EU bisher gezögert hat, Sanktionen gegen russische Rohstoffe zu verhängen. Dies liegt daran, dass so viele europäische Länder auf russisches Öl und Gas angewiesen sind, um ihren Energiebedarf zu decken.

Im April kündigte die EU indes Sanktionen an, wonach der Import von russischer Kohle ab dem 10. August verboten wird. Das Einfuhrverbot gilt auch für andere Rohstoffe wie Holz, Gummi, Zement und Düngemittel. Die EU-Mitgliedstaaten müssen sich jedoch noch auf Vorschläge zum Ausstieg aus dem russischen Öl und Gas verständigen.

Der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin warnt vor pauschalen Verboten für die Einfuhr russischer Rohstoffe. «Ich bin dagegen, das wir Massnahmen ergreifen, die andernorts zu neuen Problemen führen und die globale Krise noch weiter verschärfen», sagte er in einem Interview mit der Zeitung Schweiz am WochenendeExterner Link. Und weiter: «Beim Rohstoffhandel rate ich zu Vorsicht, es geht nicht nur um Öl und Gas, es geht auch um Nahrungsmittel.»

Länder wie Jordanien, Tunesien und Ägypten beziehen zwischen 50% und 90% ihres Getreidebedarfs aus der Ukraine oder Russland.

Die Schweiz sagt, sie werde von Fall zu Fall entscheiden, ob sie die Käufe von Händlern bei den staatlich kontrollierten Unternehmen Russlands einschränkt. Public Eye lehnt diesen Ansatz ab und hat wiederholt eine separate Aufsichtsbehörde zur Überwachung dieser Branche gefordert.

Nach Ansicht von Public Eye sollte diese Behörde sicherstellen, dass Rohstoffe aus sanktionierten Ländern nicht über die Schweiz gehandelt werden. Ausserdem sollte die Behörde herausfinden, wer die einzelnen Unternehmen besitzt und kontrolliert, und dass die Händler:innen eine Sorgfaltsprüfung durchführen, um unliebsame Kund:innen auszumustern.

(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Matthew Allen

Was könnte die Schweiz anders machen, um russische Vermögenswerte einzufrieren?

Braucht die weltgrösste Offshore-Vermögensverwalterin rechtliche Reformen, um internationale Sanktionen besser durchzusetzen?

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