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Russland und Iran – zwei sanktionierte Staaten spannen zusammen

Frachtschiff mit Helikoptern
Russland ist jetzt der wichtigste Getreidelieferant des Iran. Alamy Stock Photo

Russland und Iran, die beide mit internationalen Sanktionen belegt sind, intensivieren ihre Beziehungen. So auch im Weizenhandel, der hauptsächlich über die Schweiz abgewickelt wird. Obwohl der Handel aus humanitären Gründen erlaubt ist, bleibt er ein heikles Thema.

«Nur weil ein Land sanktioniert ist, bedeutet das nicht, dass der Handel verschwindet», sagte Sharif Nezam-Mafi, Präsident der iranisch-schweizerischen Handelskammer, kürzlich an einer Getreidekonferenz in Genf. «Was wir sehen, ist die Entstehung eines sanktionierten Blocks mit parallelen Systemen.»

Er sprach vor einer Gruppe von Führungskräften aus der Wirtschaft, die sich über die Herausforderungen und Chancen auf dem iranischen Getreidemarkt informierten.

Nach Angaben der Schweizerischen Handels- und Schifffahrtvereinigung werden 80% des weltweiten Getreidehandels in der Region um Genf abgewickeltExterner Link, von den fünf grössten Rohstoffunternehmen: Archer Daniel Midlands (ADM), Bunge, Cargill, Cofco und Louis Dreyfus.

Die Sanktionen des Westens gegen Russland nach dessen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 fielen mit einer schweren Weizenknappheit im Iran zusammen.

Das trieb die Importe des weltgrössten Getreideexporteurs in die Höhe. Die Anmeldungen russischer Unternehmen für die jährliche Getreidekonferenz im Iran seien in diesem Jahr sprunghaft angestiegen, sagte Nezam-Mafi.

Auch der Iran wurde seit 1979 wiederholt mit internationalen Sanktionen belegt. Die letzte Sanktionsrunde wurde 2006 verhängt, nachdem sich das Land geweigert hatte, sein Programm zur Urananreicherung einzustellen.

Der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten ist aus humanitären Gründen von den internationalen Sanktionen ausgenommen (siehe Infobox). In Genf bestätigten Handelsleute, dass alle grossen Agrarhandels- und Inspektionsfirmen über Lizenzen verfügen würden, die es ihnen erlauben, den Weizenhandel zwischen Russland und Iran zu erleichtern und in Teheran präsent zu sein.

Im Juli 2022 erweiterte das US-Finanzministerium seine allgemeinen Genehmigungen für landwirtschaftliche Transaktionen und bestätigte, dass Getreide nicht von den Sanktionen gegen Russland betroffen sei.

In einem Informationsblatt zur Lebensmittelsicherheit heisst es, die USA seien bestrebt, lebenswichtige Güter wie Weizen auf die Weltmärkte zu bringen, um «die Auswirkungen von Russlands ungerechtfertigtem Krieg gegen die Ukraine auf die weltweite Lebensmittelversorgung und die Preise zu verringern».

In einer früheren Mitteilung vom April 2022, als die Weizenpreise weltweit explodierten, wurde klargestellt, dass die USA nicht die Absicht hätten, Agrarexporte zu behindern.

Im August 2022 folgte die Schweiz mit neuen Regeln, die Geschäfte mit russischen Unternehmen erlauben, wenn dies für den humanitären Handel notwendig ist.

Der Bundesrat hat auch die Möglichkeit eingeführt, Vermögenswerte von sanktionierten Unternehmen freizugeben, wenn dies für den humanitären Handel notwendig ist.

Eine humanitäre Lizenz für den Handel

Im Jahr 2021 wurde die einheimische Getreideproduktion des Iran durch eine Dürre zerstörtExterner Link. Das Land sah sich deshalb gezwungen, die fehlenden Mengen durch Importe auszugleichen.

In den Monaten nach der Invasion in der UkraineExterner Link wurde der Iran zum grössten Einzelabnehmer von russischem WeizenExterner Link, als die russischen Exporte vorübergehend einbrachenExterner Link, weil Banken und Reedereien nicht wussten, wie sie auf die internationalen Sanktionen reagieren sollten.

Die Lieferungen haben sich teilweise erholt, da Moskau an der Diversifizierung seiner Exportmärkte arbeitet. Der Iran bleibt jedoch eines der drei wichtigsten Bestimmungsländer mit einem Anteil von 15% der Überseeverkäufe von Getreide im Kalenderjahr 2021 und 13% im Jahr 2022. Das geht aus Daten von KPLER hervor, einem Programm zur Überwachung von Rohstoffen.

In der Vergangenheit importierte der Iran bei Engpässen Weizen aus verschiedenen QuellenExterner Link, darunter auch aus DeutschlandExterner Link. In den letzten zwei Jahren ist die Abhängigkeit von Russland jedoch stark gestiegen. Nach Daten von KPLER kamen im Jahr 2021 83% und im Jahr 2022 72% der Weizenimporte aus Russland.

Das Unternehmen Louis Dreyfus gab in seinem Finanzbericht für 2022 an, es habe die Aktivitäten in Russland nach der Invasion in der Ukraine ausgesetzt, obwohl es diese später wieder aufnahm, «soweit dies möglich war, um die Verpflichtungen gegenüber und die Nachfrage der Kundschaft zu erfüllen und gleichzeitig alle anwendbaren Sanktionen, Gesetze und Vorschriften einzuhalten».

Im April berichtete ReutersExterner Link, dass das Unternehmen plane, den Export von russischem Getreide ab Juli 2023 einzustellen. Ein Sprecher lehnte es aber ab, weitere Einzelheiten zu nennen oder sich zum Iran zu äussern, als SWI ihn kontaktierte.

Bunge, Cargill und Cosco antworteten nicht auf wiederholte Anfragen von SWI, ob sie aufgrund von humanitären Ausnahmen von den Sanktionen Weizengeschäfte zwischen Russland und dem Iran erleichtern könnten.

Zahlungsschwierigkeiten erschweren Zugang zu Nahrungsmitteln

Selbst mit humanitären Lizenzen ist der Getreidehandel mit dem Iran alles andere als einfach. «Die meisten Menschen haben keine Vorstellung davon, wie schwierig es ist, in einem der am stärksten sanktionierten Länder der Welt Geschäfte zu machen», sagte Merzad Jamshidi, Mitglied des Führungsrats für die Region Naher Osten und Afrika der International Association of Operative Millers, auf der Genfer Getreidekonferenz gegenüber SWI.

Bäckerei in Iran
Brot, wie es hier gebacken wird, ist im Iran ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Peter Menzel/Keystone/Science Photo Library

Ein zentrales Problem ist der Zahlungsverkehr, da der Iran aufgrund der langjährigen Finanzsanktionen keinen Zugang zum internationalen Bankensystem hat. «Es gibt zwei Probleme bei Bankgeschäften mit dem Iran», sagt Wirtschaftswissenschaftler Esfandyar Batmanghelidj.

«Erstens unterhalten nur sehr wenige iranische Banken Korrespondenzbankbeziehungen zu europäischen Banken oder überhaupt zu Banken», sagt der Gründer der Bourse & Bazaar Foundation, einer Denkfabrik mit Sitz in London, die sich auf den Nahen Osten und Zentralasien spezialisiert hat.

Die meisten internationalen Banken würden zögern, mit sanktionierten Ländern zusammenzuarbeiten, selbst wenn es um humanitäre Güter gehe. Dies mache es für iranische Weizenimporteure schwierig, einen Bankkanal für die Zahlungen an die Exporteure zu finden, so der Experte.

Zweitens ist der Zugang zu harter Währung begrenzt. «Die Herausforderung besteht darin, dass die iranische Zentralbank (CBI) einen Grossteil ihrer Devisenreserven eingefroren hat und das Ölgeld, mit dem der Iran seinen Handel finanzierte, nicht mehr leicht zugänglich ist», sagt Batmanghelidj. Die USA haben die Rolle der CBI im humanitären Handel eingeschränktExterner Link, um Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu bekämpfen.

Die CBI steht auch im Zentrum eines dysfunktionalen iranischen Subventionssystems für lebenswichtige Güter wie WeizenExterner Link. Es räumt den Händlern einen Vorzugskurs ein, der es ihnen ermöglicht, zu niedrigeren Kosten zu importieren.

Die Zentralbank hat es jedoch versäumt, die Nachfrage nach harter Währung rechtzeitig zu befriedigen. Mit der Folge, dass Getreidetransporteure monatelang vor iranischen Häfen festsitzenExterner Link und auf die Bezahlung ihrer Ladung warten.


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In den letzten Jahren sind die Lebensmittelpreise im Iran in die Höhe geschnelltExterner Link, da die iranische Währung zusammengebrochen ist und die Regierung Subventionen gekürzt hat.

Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätztExterner Link, dass die Zahl der Iranerinnen und Iraner, die sich keine gesunde Ernährung leisten können, von 9,6 Millionen im Jahr 2017 auf 17,1 Millionen im Jahr 2020 angestiegen ist.

«Der Iran ist ein Land, in dem es keine akute Hungerkrise gibt. Aber die Sanktionen haben ein Umfeld geschaffen, in dem die Erschwinglichkeit und Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln nicht mehr gewährleistet ist», sagt Batmanghelidj.

Neue Handelskorridore

Der Weizenhandel ist nicht das einzige Zeichen für die wachsenden Beziehungen zwischen Russland und dem Iran. Moskau hat sein Interesse an der Entwicklung neuer HandelsroutenExterner Link bekräftigt. Die Diplomatie läuft auf Hochtouren: Allein 2022 fanden mehrere Treffen auf Präsidialebene statt.

Nur einen Monat nach dem Einmarsch in die Ukraine versprach der russische Aussenminister, mit dem Iran zusammenzuarbeiten, um die internationalen Sanktionen zu umgehen.

Diese Annäherung hat die USA alarmiert. Sie hat es zu ihrer obersten Priorität erklärt, Waffenlieferungen zwischen den beiden Kontrahenten zu unterbinden.

Ein wichtiges Projekt ist der Internationale Nord-Süd-Transportkorridor (INSTC), der Russland über Zentralasien und den Iran mit Indien verbinden soll.

Das Eisenbahn-, Autobahn- und Schifffahrtnetz über und um das Kaspische Meer soll direkter sein als der Umweg über die Nordsee, das Mittelmeer und den Suezkanal und die Transportzeiten und -kosten für Güter erheblich reduzierenExterner Link.

Das Projekt ist bereits seit mehr als 20 Jahren im Gespräch. Die westlichen Sanktionen haben das Interesse Russlands nun wieder gewecktExterner Link. Im Juni 2022 wurde eine Testladung von St. Petersburg über das Kaspische Meer nach Mumbai verschifft. Inzwischen hat sich der Iran der Eurasischen Wirtschaftsunion angenähertExterner Link, einem Freihandelsblock mehrerer ehemaliger Sowjetstaaten.

Moskau und Teheran haben Berichten zufolge an der Einrichtung direkter Finanzkanäle gearbeitetExterner Link, die das vom Westen dominierte internationale System umgehen, und Russland ist zum grössten Investor im Iran gewordenExterner Link: 2,76 Mrd. US-Dollar, zwei Drittel der ausländischen Direktinvestitionen des Landes im Jahr bis März 2023, stammten nach Angaben des iranischen Finanzministers aus Russland.

Die russisch-iranische Freundschaft hat jedoch auch ihre Grenzen. Die Eisenbahnverbindungen des INSTC sind unvollständig und die Schifffahrtrouten funktionieren zwar, aber die Frachtkapazitäten auf dem Kaspischen Meer sind begrenzt.

Wirtschaftswissenschaftler Batmanghelidj bezweifelt, dass die Intensivierung der Beziehungen zu Russland eine Wende für den Iran bringen wird. «Sie haben immer noch die Beschränkungen des Bankensektors», sagt er.

«Es wird für Russland und den Iran sehr schwierig sein, eine Lieferkette aufzubauen, welche die Einschränkungen kompensiert, wichtige Rohstoffe auf dem Weltmarkt zu kaufen.»

Dennoch sahen die Führungskräfte aus der Wirtschaft auf der Genfer Getreidekonferenz viele Möglichkeiten für mehr regionalen Handel. Aus iranischer Sicht lockert sich der Griff westlicher Märkte und Ansätze.

Editiert von Nerys Avery, Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub

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