Satanic Panic im Berner Oberland
Eine Verschwörungserzählung um satanistische Täter breitet sich in religiösen Kreisen aus, berichtet SRF.
Dunkle Mächte, satanistische Täter und Teufelsbräute: Die Verschwörungserzählung «Satanic Panic» hat sich in der Schweiz ausgebreitet.
Sie hat sich auch in tief religiösen Kreisen festgesetzt, wie Recherchen von SRF zeigen. Vor allem evangelikale Christen glauben in der Schweiz an solche geheime Zirkel. Diese sollen, so der Glaube, Frauen sexuell missbrauchen, um deren Gedanken zu programmieren und sie fernzusteuern.
Ein Pfarrer gibt Auskunft
Ein Hotspot scheint das Berner Oberland zu sein. Hier arbeiten und leben mehrere Seelsorger, Therapeutinnen und Politiker, die an die Verschwörungserzählung glauben und sie weiterverbreiten.
Ein Pfarrer war bereit, Auskunft zu geben. Paul Veraguth war 30 Jahre lang Pfarrer an der reformierten Kirche Wattenwil, einem Dorf im Berner Oberland. Seit einigen Jahren arbeitet er als Seelsorger und betreut auch angebliche Opfer von satanistischen Tätern. «Ich arbeite mit Gebeten und Gott», sagt er.
Sonja Mühlemann und Raphaël Günter von Radio SRF haben zum Thema einen Podcast gemacht, den Sie hier Externer Linkhören oder lesen können.
Er verstehe sich als eine Art Sozialarbeiter, der die angeblichen Opfer im Alltag begleite und ihnen dabei helfe, von den Tätern loszukommen. Der Pfarrer erzählt, er habe bisher ein Dutzend Frauen in Obhut genommen.
Psychiatrie-Fachleute, die an Satan glauben
Unter dem Begriff «Satanic Panic» tauchte der Glaube an satanistische Gewaltrituale bereits in den 1980er-Jahren in den USA auf. Beweise für solche Zirkel und Rituale konnten bislang nicht erbracht werden. SRF deckte bereits im Dezember 2021 auf, dass sich die Verschwörungserzählung in der Schweiz verbreitet hatte.
Unter anderem wurden Patientinnen in mehreren psychiatrischen Kliniken wegen angeblicher Gedankenkontrolle behandelt – auch Psychiater und Psychologinnen waren der Verschwörungserzählung aufgesessen.
Menschen, die so gläubig sind wie Paul Veraguth, sind davon überzeugt, dass die Welt in Gut und Böse aufgeteilt ist. Veraguth glaubt daran, dass Menschen Satan dienen, indem sie Frauen in Ritualen missbrauchen und ihre Gedanken programmieren, sie zu «Teufelsbräuten» machen.
Beim Pfarrer treffen sich regelmässig angebliche Opfer in einer Selbsthilfegruppe. Seine Beziehungen reichen bis nach Winterthur im Kanton Zürich. Dort arbeitet er mit dem Verein «Cara» zusammen. Dieser schult unter anderem Fachpersonen zum Thema rituelle Gewalt. Auf Anfrage von SRF heisst es bei diesem Verein, man beantworte derzeit keine Medienanfragen.
Sogar Namensänderung
Die Seelsorge von Paul Veraguth hat konkrete Folgen: So hat er einer Frau dabei geholfen, ihren Namen zu ändern – weil sie angeblich von satanistischen Tätern verfolgt wurde. Möglich machte dies ein psychiatrisches Gutachten, auf dessen Grundlage die Behörden die Namensänderung bewilligten.
Religiöse Überzeugungen vermischen sich mit Einschätzungen von medizinischen Fachpersonen und der Arbeit von Behörden.
Fachleute sehen das kritisch: Laut dem forensischen Psychiater Thomas Knecht hilft diese Art der Betreuung wenig. «Es kann wohltuend sein, wenn man sich aus der Eigenverantwortung ein Stück weit entlassen fühlt. Aber es ist nicht das Gleiche wie eine Problemlösung», sagt Knecht.
Die Verschwörungserzählung diene als eine Art Denkschablone, die bei der Erklärung helfe, warum jemand psychisch leide.
«Gedanken programmieren»
Die meisten angeblichen Opfer hätten wohl tatsächlich sexuelle Gewalt erlebt – aber nicht durch Täter, die mit Spezialwissen ihre Gedanken programmieren könnten. «Dafür gibt es keine Beweise. Mir ist in 40 Jahren Tätigkeit niemand begegnet, der über solche Fähigkeiten verfügt», so Knecht.
Deshalb habe die Verschwörungserzählung bei der Betreuung von psychisch kranken Menschen nichts verloren: «Eine Therapie sollte Patientinnen zu Selbstbestimmung hinführen.»
Paul Veraguth weist den Vorwurf zurück, den Frauen durch die Seelsorge zu schaden. Der Frage, ob er ein Verschwörungsanhänger sei, weicht er aus. Für ihn sei es eine Frage der Weltanschauung, ob man an «finstere Mächte» und deren Wirken glaube oder nicht.
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