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Stroh für Schweizer Tanks

Stroh gibt es mehr als genug - hier auf einem Feld zwischen Mumpf und Möhlin im Kanton Aargau. Keystone

Die EU will in den nächsten Jahren synthetische Biotreibstoffe in den Verkehr bringen, die solche auf Basis von Nahrungs- und Futtermitteln verdrängen. Auch in der Schweiz könnten Kraftstoffe aus Stroh und Holzresten aus Klimaschutzgründen mittelfristig das Rennen machen.

«Es sieht fantastisch aus», freut sich Jeremy Luterbacher. Er meint eine Flüssigkeit mit der Farbe von Blutorangen, die in einem Reagenzglas in seinem Labor rotiert. Der Stoff, der den Chemieingenieur der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne (EPFL) so begeistert, heisst Lignin – ein zentraler Bestandteil vieler pflanzlicher Zellen und unverzichtbar für deren Stabilität und Festigkeit. Anders als andere Biomasse wie etwa Pflanzenöle, die als Basis von chemischen Produkten wie Biokraftstoffen dienen, wird Lignin trotz seiner hohen Energiedichte in der Industrie bisher nur als billiges Brennmaterial genutzt. Grund: Der Stoff ist äussert komplex.

Luterbacher will das ändern. «Wir haben einen Prozess entwickelt, der uns erlaubt, Lignin im Industriemassstab herzustellen», sagt der Leiter des Labors für katalytische und nachhaltige Prozesse. Die rötliche Flüssigkeit ist der Beweis. Normalerweise ist Lignin mit anderen Partikeln verwoben, dunkelbraun und von klebriger Konsistenz. Nun suchen die Forscher aus der Romandie nach Investoren, um daraus beispielsweise Biokraftstoffe herzustellen. Gegenüber den in Europa dafür bisher dominierenden Rohstoffen wie Rapsöl, Zuckerrüben und Mais hätte das für den Menschen ungeniessbare Pflanzensubstrat viele Vorteile.

Jeremie Lauterbacher von der EPFL epfl.ch

«Lignin ist die grösste Quelle nicht-essbarer Biomasse auf der Erde. Die potenzielle Ressourcenbasis ist damit enorm und deutlich höher als bei Ölen und Zuckern.» Dazu kommt, dass es keine Konkurrenz zu Lebens- und Futtermitteln darstellt und nicht importiert werden muss wie die Biodiesel-Rohstoffe Soja- oder Palmöl, von denen letzteres zudem für die Regenwaldzerstörung in Südostasien mitverantwortlich ist. Mit Lignin gebe «es keine Teller-Tank-Diskussion», so Luterbacher, und kein Regenwald würde mit dem Auspuff in die Luft geblasen.

Neue Generation an Bio-Kraftstoffen

Die Innovation vom Genfer See könnte zur rechten Zeit kommen. Denn Europa läutet das Zeitalter neuer Biotreibstoffe ein. So hat die EU-Kommission vor einigen Wochen vorgeschlagen, die Beimischung von Kraftstoffen, die auf Futter- und Lebensmitteln wie Raps und Rüben basieren, bis 2030 zu beenden. Stattdessen sollen Bio-Kraftstoffe der nächsten Generation übernehmen – vor allem Sprit aus Stroh und Holzresten.

Brüssel will, dass 2020 solche Biokraftstoffe an allen für Transporte auf Strasse und Schiene verbrauchten flüssigen und gasförmigen Energieträgern mindestens einen Beitrag von 0,5% leisten. Gemessen am heutigen Kraftstoffverbrauch der EU wären das rund zwei Millionen Tonnen. Bis 2030 soll der Anteil auf 3,6% ansteigen – einem Volumen von mehr als zwölf Millionen Tonnen. Heute liegt die Produktion noch nahe bei null.

In der Schweiz werden schon lange keine Lebens- und Futtermittel mehr verfahren. Hauptgrund: Solche Produkte sind nur in Ausnahmen von der Mineralölsteuer befreit – dem zentralen wirtschaftlichen Anreiz für die Mineralölindustrie zur Beimischung von Bioqualitäten. Dagegen entfällt auf Reststoffe wie etwa Altfette aus der Gastronomie keine Mineralölsteuer. Die Mineralölindustrie greift zudem zu Biokraftstoffen, um ihren Verpflichtungen nach dem nationalen CO2-Gesetz nachzukommen. Das verlangt, dass die in der Schweiz in Verkehr gebrachten Kraftstoffe immer weniger Treibhausgase freisetzen. Biokraftstoffe sind dazu eine billige Methode. Biodiesel etwa aus Frittenfett ist günstig und spart bei der Verbrennung im Motor mehr als 80% an Treibhausgasen im Vergleich zur fossilen Konkurrenz ein.

Strengere Vorschriften

2016 hat sich der Absatz von Biokraftstoffen nach Auskunft des Verbandes der Schweizer Biotreibstoffindustrie um mehr als 50% im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Etwa 2,5% des hiesigen Diesels ist biogenen Ursprungs. Beim Benzin liegt die Bio-Quote bei 1,2%. Und 2017, so der Verband aus Rünenberg, liege sogar eine Verdoppelung drin. Denn die Verpflichtungen laut CO2-Gesetz werden strenger. 2017 gilt eine Minderungsquote von 5%. Sie steigt 2020 auf 10%. Mit Altfetten alleine wird das kaum zu schaffen sein.

«Die aktuelle Situation zeigt, dass aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen – auch im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Reduktion von CO2-Emissionen – das Interesse an alternativen biogenen Treibstoffen zugenommen hat», so Walter Pavel, Sprecher der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), der auf ein Projekt des Berner Energieversorgers BKW und der Swiss Liquid Future AG verweist. Die Partner wollen in der Schweiz aus regenerativem Strom und Kohlendioxid den Kraftstoff Methanol herstellen, der Benzin beigemischt werden kann.

Auch die Clariant AG im Kanton Basel-Landschaft setzt auf synthetische Kraftstoffe. Das Spezialchemie-Unternehmen bastelt seit einigen Jahren an einem Verfahren, um Sprit aus Stroh zu erzeugen. Seit 2012 läuft eine Pilotanlage dafür im bayrischen Straubing. Das Stroh enthält Zellulose, die sich aus verschiedenen Zuckern zusammensetzt. Die sind entscheidend, um Ethanol zu gewinnen, ein Alkohol, der Benzin in vielen Staaten der Welt seit Jahren aus Ökogründen beigegeben wird.

Versuchsanlage der Basler Clariant clariant

Doch anders als die Zucker aus Nahrungs- und Futtermitteln sind die Bausteine im Stroh nicht einfach zu erschliessen. Firmen und Hochschulen mussten deshalb in den letzten Jahren Millionen in die Forschung investieren. Clariant hat  dafür spezielle Enzyme entwickelt.

Genügend Stroh ist vorhanden

Das Potenzial ist weltweit enorm. Nicht nur, dass quasi auf allen Kontinenten adäquate Agrarreste anfallen – in Asien Reisstroh, in Lateinamerika die Ernteabfälle von Zuckerrohr und in den USA die des Mais›. Auch die Volumina sind erheblich. So bleiben auf den Äckern Europas Jahr für Jahr Millionen von Tonnen an Stroh übrig, woraus sich jede Menge Sprit machen liesse. Je Tonne Bioethanol würden vier bis fünf Tonnen Stroh benötigt, rechnet Clariant vor. Damit könne ein Fahrzeug rund 15’000 Kilometer zurücklegen.

Und das bei einer erheblich besseren Treibhausgasbilanz. Laut der EU-Kommission emittiert Bio-Ethanol auf Strohbasis im Vergleich zu fossilem Benzin 90% weniger Treibhausgase. Rapsöl-Diesel komme nur auf ein Einsparpotential von 40 bis 50%.

Noch sind die neuen synthetischen Kraftstoffe Zukunftsmusik. Doch das dürfte sich sowohl in der Schweiz als auch in der EU auf absehbare Zeit ändern. Clariant prognostiziert bis zum Jahr 2020 ein Marktvolumen für die neuen Qualitäten von rund zwei Milliarden Franken.

Dass durch solche Perspektiven Interesse gerade auch in der Schweiz geweckt werden könnte, hofft Wissenschaftler Jeremy Luterbacher aus Lausanne. «Grundsätzlich ist es nicht einfach, Investoren für solche neuen Technologien zu finden», sagt er. «Aber gerade die Schweizer waren immer standhafte Unterstützer, wenn es um saubere Energien ging».

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