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Jo Siffert – der Mann, der Porsche in den USA auf Touren brachte

Mission in Rot: Jo Siffert begeisterte die US-Fans mit seinem Fahrkönnen im unterlegenen Porsche.
Mission in Rot: Jo Siffert begeisterte die US-Fans in der Rolle des Underdogs im unterlegenen Porsche, der das Handicap mit seinem bravourösen Fahrkönnen wettmachte. Und mit seiner absoluten Coolness. motorsportfriends.ch

Mit dem vor 50 Jahren verunglückten Rennfahrer Jo Siffert verlor der Rennsport einen seiner Top-Piloten und die Schweiz ihren ersten Sport-Weltbotschafter. Reiche Ernte hinterliess Siffert seinem Arbeitsgeber Porsche: Die Weltmarke verdankt dem Freiburger die Eroberung des US-Marktes.

Bis in die 1970er-Jahre war der Rennsport ein Roulette um Preisgeld, Ruhm, Verkaufszahlen. Der Einsatz: das Leben der Fahrer.

In diesem Big Game war Jo Siffert ein absoluter Key Player. Er war zwar nie Weltmeister der Formel 1. Aber für Porsche war der charismatisch-coole Fahrer aus dem Freiburger Armenquartier so etwas wie der Most Valuable Player.

1968 gewann Siffert einen Grand Prix der Formel-1-Weltmeisterschaft und errang Heldenstatus – auch, weil ihm dies als erster Schweizer Pilot gelang. In der zweiten Saisonhälfte 1971 zählte Siffert nach endlosen Serien von Pleiten und Pannen wegen unterlegenem Material endlich zu den absolut schnellsten Formel-1-Piloten der Welt.

Gewaltige Hinterlassenschaft

Doch am 24. Oktober 1971 verunglückte «Seppi», wie ihn seine Fans bis heute nennen, auf der Rennstrecke von Brands Hatch. Ursache war ein Materialdefekt. 50’000 Menschen säumten die Strassen seiner Heimatstadt Freiburg, um sich vom Idol zu verabschieden. Die zweisprachige Stadt zählte damals knapp 38’000 Einwohner:innen. Es war eine der grössten Trauerfeiern, welche die Schweiz je erlebt hat.

Für Porsche begann die Erfolgsstory nach Sifferts Tod erst richtig. Denn mit seinen pionierhaften Kampagnen in der nordamerikanischen Can-Am-Serie 1969 und 1971 hatte Siffert den Stuttgartern in den USA einen entscheidenden Boost gegeben: Er legte den Grundstein dafür, dass Porsche in den frühen 1970er-Jahren eine massive Absatzsteigerung einfahren konnte.

Nicht nur das: Der US-Markt sollte für die Deutschen – mit Ups and Downs – zur wahren Goldgrube werden.

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Poker um seine teuren Autos

«Seppi war ein Selfmade Man, der es vom Lumpensammler zum Star gebracht hatte und er besass einen Wahnsinns-Charme,» beschreibt ihn Edi Wyss. Der Zürcher sorgte 1971 als Mechaniker dafür, dass Sifferts knallroter Can-Am-Bolide nicht nur schnell, sondern auch zuverlässig wie eine Schweizer Uhr war.

«Nebst seinen Qualitäten als Top-Fahrer hat mich an ihm vor allem eines beeindruckt: Er war Unternehmer durch und durch, der neben seiner Karriere zwei Garagen betrieb, mit den Banken verhandelte und in Freiburg Geschäftshäuser baute.»

Siffert habe auch als Geschäftsmann viele Risiken genommen, aber meist sei es für ihn gut ausgegangen, so Wyss. Seppi habe ihm einmal von einem grossen Deal erzählt, bei dem er einem Kunden aus einem Walliser Nobelort mehrere teure Wagen verkauft hatte.

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Dieser habe auf einmal nicht mehr bezahlen können. Seppi habe ihm deshalb vorgeschlagen, um die Autos zu pokern.

Wyss erzählt: «Jedes Mal, wenn Seppi gewann, schnappte sich sein Berater und Manager einen der Schlüssel, die vor ihnen auf dem Tisch lagen, und fuhr Wagen um Wagen aus der Tiefgarage. Siffert hatte alles verloren, aber mit Pokern am Schluss alles wieder gewonnen.»

PS-Spektakel in der Prärie

Ein Pokerspiel spielte Siffert auch mit Porsche, um 1969 an einen Honigtopf mit besonders fetten Preisgeldern zu gelangen: die nordamerikanische Can-Am-Serie. Es sollte ein Poker werden, bei dem beide gewannen.

Jo Siffert, Edi Wyss, Hugo Schibler und der 917/10
Pionierhafte Schweizer Mission in der US-Prärie: Jo Siffert, Edi Wyss, Hugo Schibler und der 917/10 (von links). motorsportfriends.ch

Der Canadian-American Challenge Cup, so der volle Name der Sportwagen-Serie, war eine ur-amerikanische Erfindung, die von 1966 bis 1974 ausgetragen wurde. Wenig Regeln, viel Preisgeld, lautete die Devise. Zwei der wichtigsten Regeln: Die Räder mussten von einer Karosserie abgedeckt sein und das Cockpit musste über zwei Sitze verfügen.

Das Mantra des US-Rennsports war damals: «Win on Sunday, sell on Monday». Nach den Rennen sollten sich die auf der Strecke erzielten Erfolge in den Showrooms der Autohändler in Verkäufe ummünzen. Im harten Konkurrenzkampf insbesondere der Motorenhersteller Chevrolet und Ford waren Siege pures Werbegold.

«Go West, Fast Man»

Kraftstrotzende Autos, dröhnende Motoren, Glamour durch eine Handvoll Starpiloten aus der Formel 1, der Rest Amateure mit Mini-Budgets – das war der Mix, der die Serie zu einem Mythos machte. Tausende von Fans pilgerten an die Strecken und folgten dem wilden Tross durchs Land.

Edi Wyss und Jo Siffert
Sie bildeten Can-Am-Mission 1971 (von rechts): Jo Siffert, Edi Wyss, Joe Hoppen, Boss von Hauptsponsor «Porsche + Audi» und Hugo Schibler (angeschnitten). motorsportfriends.ch

Doch Arbeitgeber Porsche war anfänglich von Sifferts Pionier-Projekt alles andere als begeistert. Nur mit viel Überzeugungskraft und dank der Fürsprache von Porsche-Rennleiter Rico Steinemann, auch er Schweizer, konnte Seppi die Stuttgarter 1969 zum Einstieg ins Abenteuer Can-Am bewegen.

Siffert nahm in dieser Monster-PS-Show eine Sonderrolle ein: Einerseits war er der coole Star aus der Formel 1, andererseits stand er nur mit einem Mini-Team am Start.

Der Link zum Erfolg

Sein Porsche 917 PA, eine offene Version des damals brandneuen 917, war noch zu wenig ausgereift und dazu untermotorisiert, um die Platzhirsche McLaren echt herausfordern zu können.

Die Bezeichnung PA steht für das entscheidende Puzzleteil in dieser von Seppi initiierten Erfolgsgeschichte: «Porsche + Audi», die neue Vertriebsgesellschaft der VW-Händler für die zwei Marken in den USA. PA war Sponsor von Sifferts Kampagne.

Der weisse Renner trug die Startnummer 0. Heute wirkt die ebenso auffällige wie ungewöhnliche Startnummer wie ein Symbol für eine Stunde Null der Automobilgeschichte, die den Start der Eroberung des US-Marktes durch Porsche markiert.

Porsche 917 PA bei Tests auf einer Rennstrecke in Texas
Testfahrt im heissen Texas: Sifferts Mechaniker bereiten 1969 seinen Porsche 917 PA für das Rennen vor, wo er Rang vier belegt. Der Mann links spendet Fahrer und Technikern mit der Boxentafel Schatten. (Photo by Bernard Cahier/Getty Images) Getty/Bernard Cahier

Trotz Nachteilen setzte Siffert sich und sein blitzblankes Gefährt auf dem neuen Kontinent bestens in Szene: Er beendete die Gesamtwertung als hervorragender Vierter.

Der Traum ist nicht gratis

1971 dann standen die Vorzeichen insofern besser, als der 917 inzwischen zum Dominator der Sportwagen-Weltmeisterschaft gereift war. Doch auch diesmal sagte Porsche nicht einfach Ja, sondern stellte Siffert klare Bedingungen: Eine war, dass er sich selbst finanziell beteiligen sollte.

Der Pokerspieler Siffert zuckte nicht mit der Wimper: Er – mit 13 Siegen in der Sportwagen-WM der erfolgreichste und auch der treuste Porsche-Werksfahrer seiner Ära – zahlte seinem Arbeitgeber 60’000 Dollar, um seinen Can-Am-Traum mit einer Sonderversion wahrmachen zu können.

Dazu reiste Mechaniker Edi Wyss nach Stuttgart, wo er mithalf, den Rahmen des 917/10 zu schweissen und beim Zusammenbau Hand anzulegen. In Seppis Can-Am-Porsche steckte also auch ein Stück Schweizer Präzisionsarbeit.

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Materialmässig blieb es bei der «Mission Impossible». Sifferts knallroter Bolide war den McLaren mit Chevrolet-Antrieb auch 1971 haushoch unterlegen: 5-Liter- vs. 8,1-Liter-Motor, 630 PS vs. 740 PS, 743 Kg Gewicht vs. 646 Kg.

Doch Siffert brillierte auch diesmal und machte das Handicap mit seiner fahrerischen Sonderklasse und der Zuverlässigkeit des Materials praktisch wett.

Erneut firmierten Sifferts Gastspiele unter dem Banner von «Porsche + Audi». Zusätzlich brachte Seppi die Sponsoren STP, Marlboro und Goodyear mit ein. Dennoch: Die Ressourcen waren nur minimal.

«Jede Kollision, jeder Ausritt, bei dem der Rahmen des Autos beschädigt worden wäre, hätte das Ende der Mission bedeutet», sagt Edi Wyss.

Schnell hatte Siffert die Herzen der Fans erobert. Denn er brachte sämtliche Ingredienzen mit, die es für jede Heldengeschichte Made in USA braucht: smarter, cooler Underdog, Pioniergeist, stahlharter Wille, herausragendes Können, Aufstieg und Erfolg, trotzdem Bodenhaftung, Bescheidenheit und Nahbarkeit.

Schweizer Mission

Das Team an den Rennstrecken bestand lediglich aus einem Schweizer Trio, dem neben Siffert und Wyss mit Hugo Schibler ein zweiter Mechaniker angehörte.

Zwei US-Rennteams leisteten logistischen Support: Art Bunker Racing an den Rennen im Osten, Ritchie Ginther an jenen im Westen.

Edi Wyss
Erinnerung an das Can-Am-Abenteuer 1971: Edi Wyss mit dem damaligen Reserve-Rennoverall von Jo Siffert. swissinfo.ch/Renat Kuenzi

Wie zwei Jahre zuvor holte Siffert das Maximum heraus: Obwohl er vier der total zehn Läufe verpasste – die ersten drei sowie das letzte Rennen aufgrund seines Unfalls –, beendete er das Championat als hervorragender postumer Vierter.

Boost für Porsche

Siffert konnte die Früchte seiner Mission nicht mehr selbst ernten. Porsche dagegen schon. Nach Sifferts Tod, 1972 und 1973, fuhren die Porsche-Weiterentwicklungen seines 1971er-Renners, nun mit Turbomotoren mit 1000 PS bestückt, die Can-Am-Konkurrenz in Grund und Boden: 1972 siegte Porsche in sechs von neun Rennen, 1973 gewannen sie gar sämtliche acht Läufe.

Und 1976, fünf Jahre nach Seppis Tod, gewann Porsche mit dem 936, der über viel DNA von Sifferts 917/10 verfügte, die Sportwagen-WM. Dazu siegte der 936 drei Mal bei den 24 Stunden von Le Mans.

Vom Small zum Big Business

Der Poker ging voll auf – und die Dollars begannen für Porsche in ungeahntem Ausmass zu sprudeln.

Zwar waren 1969 die Verkäufe von Porsche in den USA noch um über 20% auf mickrige 5893 Exemplare abgesackt. Dies obwohl der Brite Tony Dean mit einem Porsche 908 im Can-Am-Feld mitfuhr und gar einmal gewann. Siffert seinerseits griff erst Mitte August ins Geschehen ein, also knapp vor Saisonmitte.

Vor allem aber startete die neue Vertriebsplattform erst Ende Jahr – mit der Eröffnung von 100 Verkaufspunkten «Porsche + Audi» am 1. November 1969.

Doch schon 1970 gingen die Porsche-Verkäufe durch die Decke – mit einem historischen Plus von über 135%. Das neue Mittelmotor-Coupé 914 entpuppte sich als Renner, der den 911 als Porsche-Bestseller ablöste. Auf Werbeplakaten wurde der Neue zusammen mit Sifferts weissen Vorjahresboliden in Szene gesetzt.

1971 – im Jahr von Sifferts glanzvollen Can-Am-Auftritten – performte der US-Absatz der Sportwagen Made in Germany um weitere plus 24% auf 17’239 Autos.

1972 und 1973 schliesslich, als die 917/10, nun von den Amerikanern ehrfürchtig oder verächtlich «Turbopanzer» genannt, 14 von 17 Rennen gewannen, legten die Porsche-Verkäufe zwar noch weiter zu, wenn auch mit angezogener Handbremse. Das war aber auch der Ölkrise von 1973 geschuldet.

Die Gesamtbilanz der Porsche-Kampagnen in der Can-Am fällt bestechend aus: Von 1969 bis 1973 hatte sich der Absatz bei den Händlern von 5893 auf 23’771 Sportwagen mehr als vervierfacht.

Klar gab es in den USA noch andere Rennserien, in denen Porsches am Start waren. Doch keine kam auch nur annähernd an die Can-Am heran mit ihrem Image von Glamour sowie Wild- und Verrücktheit.

Dreieinigkeit als Goldgrube

Grundlage des Erfolgs war die Kombination von Seppis Eigeninitiative mit «Porsche + Audi»: Mit seinen Topleistungen im 917/10 stellte Siffert gewissermassen die Checks aus, welche die Händler darauf in ihren Showrooms einlösen konnten.

Es war eine kongeniale, für alle Seiten lukrative Partnerschaft, die Siffert anstiess und in der er als Bindeglied zwischen dem Lärm und Glamour der Rennstrecke, dem Verkauf und der Industrie fungierte.

Jo Siffert hat wesentlich dazu beigetragen, dass die USA für Porsche – über das letzte halbe Jahrhundert gesehen – zum wichtigsten Absatzmarkt der Welt wurden.

Und ohne die USA als Hauptmotor für das brummende weltweite Geschäft wäre Porsche wohl nicht grösster Sportwagenhersteller geworden. Und einer der bekanntesten Brands der Welt dazu.

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