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Sind Frauenbäder in einer non-binären Gesellschaft noch zeitgemäss?

Die Frauenbadi in Zürich
Die Zürcher "Frauenbadi" am Stadthausquai ist bekannt für ihre entspannte Atmosphäre – abseits der Blicke der Männer. Sie ist auch bei jüdischen und muslimischen Frauen beliebt. Keystone / Alessandro Della Bella

In der Schweiz ist es seit Anfang Jahr unbürokratisch möglich, administrativ das Geschlecht zu ändern. Dies haben bereits mehrere hundert Personen gemacht. Gleichzeitig identifizieren sich einige Menschen weder als Mann noch als Frau. Das wirft in geschlechtergetrennten Einrichtungen schwierige Fragen auf.

Mitten in der Stadt Bern, kurz bevor die Aare die Altstadt umschlingt, befindet sich im Freibad Marzili hinter einer unscheinbaren Tür ein Paradies – oder zumindest das sogenannte «Paradiesli».

Hinter Holzwänden verborgen liegen Frauen hier nackt an der Sonne. Ein Schild weist darauf hin: «Frauenabteil – Eintritt nur für Frauen.» Auch in Begleitung von Erwachsenen haben Kinder keinen Zutritt.

Eine 66-jährige Bernerin, die jeden Tag ins Paradiesli geht, ist froh um diesen Rückzugsort: «Ich komme hierher, um in Ruhe zu sonnen, ohne begafft zu werden», sagt sie. Eine Selbstverständlichkeit sei das nicht: «Einige Männer sind auch schon auf Bäume geklettert, um zu glotzen. Oder sie stehen im Frühling, wenn die Büsche auf der rechten Seite noch nicht so viel Laub haben, auf der Monbijoubrücke und beobachten uns durch Ferngläser. Widerlich!»

In der Regel aber sind die Frauen im Paradiesli ungestört. Dass es geschützte Orte braucht, zeigt nicht nur die hohe Zahl Personen, die an diesen Sommertagen dort ein- und ausgehen; in Bern wurden während der grossen Renovation des Marzilis 2019 eifrig Unterschriften gesammelt gegen eine allfällige Aufhebung des Frauenabteils. Dies, obwohl die Stadtregierung später betonte, eine Schliessung des Paradieslis sei gar nie geplant gewesen.

Paradiesli, Bern
Das «Paradiesli» im Berner Marzili: Eine Frauenoase. zVg. Adrian Moser (Tamedia)

Wer gilt als Frau?

Wer ins Frauenbad geht, wird in Bern nicht geprüft. Der Eingang ins Marzili ist kostenlos, es gibt auch keine Kontrolle vor dem Frauenabteil. Die 66-jährige Bernerin erinnert sich an einen Tag, als eine Frau und eine «männlich aussende Person mit Brüsten» hineinkamen.

«Anscheinend hatte die Person oben schon mit der Transition begonnen, aber untenrum noch nicht. Sie trug allerdings ein Baderöckchen – aufgefallen ist es den wenigsten, und gestört hat es niemanden», erzählt sie.

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Seit Anfang Jahr in der Schweiz das Gesetz zur vereinfachten Änderung des Geschlechtseintrags in Kraft getreten ist, sind geschlechtergetrennte Institutionen nun aber infrage gestellt. Zählt das äusserlich gelesene Geschlecht oder dasjenige, das auf dem Ausweis steht?

Die 66-Jährige gehört zu den Stammgästen im Paradiesli und sagt: «Dort drinnen haben wir auch schon darüber gesprochen.» Es gebe verschiedene Meinungen zu diesem Thema – gerade einige ältere Frauen störten sich an dieser Idee.

Probleme gibt es selten

Sie persönlich findet: «Wer sich als Frau fühlt, darf auch ins Frauenbad.» Wichtig sei das entsprechende Verhalten der Person – nicht ihr Geschlecht. Denn: «Es gibt auch Diskriminierungen zwischen Frauen, das darf man nicht vergessen. Etwa ganz Junge, die blöd kichern, wenn sie zum ersten Mal im Paradiesli sind und eine etwas üppige nackte Frau sehen.» 

Ähnlich sehen es zwei Frauen um die 20, die auf der ebenfalls für Frauen reservierten Ruhewiese ausserhalb des Paradieslis picknicken. «Wenn mich eine Frau belästigen würde, würde ich dies ja auch melden. Da spielt das Geschlecht keine Rolle.»

Klar könnte es zu Missbrauch kommen, wenn etwa ein Mann nur so tun würde, als würde er sich als Frau identifizieren, in Wahrheit aber nackte Frauen anstarren wolle.

Das dürften aber sehr wenige Einzelfälle sein, sagen die zwei. «Wenn sich trans Frauen hier entspannen können und sich geschützt fühlen, dann fänden wir das sehr begrüssenswert und schön!»

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Die Stadt Bern, die das Marzili verwaltet, hat keine Kenntnis von Missbrauch oder Beanstandungen. «Die Thematik rund um die administrative Änderung des Geschlechts und die Auswirkungen auf das Paradiesli sind für uns neu», sagt Yvonne Zimmermann, Leiterin Information und Kommunikation beim Berner Sportamt.

Bis anhin habe es keinen Anlass zu Kontrollen gegeben. «Eine Anpassung der Praxis haben wir angesichts der Akzeptanz der heutigen Lösung bis anhin nicht geprüft.»

Schwierige Eingangskontrollen

In Zürich ist die Situation anders: Schräg gegenüber der Kirche Grossmünster auf der anderen Seite der Limmat führt ein kleiner Steg zum Eingang des Frauenbads.

Hier gibt es kein Abteil für Männer, auch kein gemischtes. Zwischen Palmen und roten Sonnenschirmen befinden sich zwei Schwimmbecken, viel Liegefläche aus Holz und ein kleines Bistro.

Vor den Umkleidekabinen hängen lockere Vorhänge statt Türen. Einige Frauen lesen im Schatten, andere liegen oben ohne an der Sonne. Die Stimmung ist ruhig und gelassen. Kinder sind an diesem heissen Sommervormittag keine da – bis sechs Jahre dürften Knaben ihre Mütter aber begleiten.

Historisches Bild der Frauenbadi in Zürich
Die Frauenbadi in den Sechzigerjahren. Wurde Geschlecht damals noch binär verstanden, befasst sich heute das Gleichstellungsbüro der Stadt Zürich mit der Frage, wie mit non-binären und trans Menschen in geschlechtergetrennten Institutionen umzugehen ist. Keystone / Str

Der Eintritt kostet acht Franken, an der Eingangskasse wird somit auch kontrolliert, wer hinein geht. Zählt das Marzili auf Eigenkontrolle, so müssen hier am Stadtquai klare Regeln gelten. Allerdings wurde bislang auch hier darauf verzichtet, von allen Personen den Ausweis zu kontrollieren.

«Wenn eine Person beim Eintritt in die Frauenbadi männlich gelesen oder der Geschlechtsausdruck als männlich interpretiert wird, wird das Gespräch mit der Person gesucht. Dabei berücksichtigen wir das amtliche Geschlecht einer Person sowie die Interessen der anderen Gäste im Bad. Dies gilt es abzuwägen – es kommt übrigens sehr selten vor», heisst es beim Sportamt Zürich.

Dass Frauen explizit Frauenbadis aufsuchen, hat nicht immer mit dem persönlichen Empfinden zu tun, es gibt auch religiöse Gründe. Viele Musliminnen und Jüdinnen kommen in die Frauenbadi in Zürich, um in einem geschützten Rahmen schwimmen oder sonnen zu können. Wie würden sie reagieren, wenn männlich gelesene Frauen das Bad aufsuchen würden?

Solche Fragen sorgen für Diskussionen. Deshalb läuft derzeit eine Evaluation. «Das Thema Badeanlagen und Geschlechtergleichstellung wird von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der Fachstelle für Gleichstellung bearbeitet», schreibt das Sportamt Zürich. Noch sei es zu früh, um abschätzen zu können, ob und wie sich die Regeln allenfalls ändern könnten.

«Die Frauenbadi gehört uns!»

Zwei Damen, eine 75 Jahre, die andere 67 Jahre alt, sitzen an einem Tischchen bei einem kühlen Getränk. Sie kommen seit mehreren Jahren fast täglich ins Frauenbad. «Die Stimmung gefällt mir hier – und dass ich nicht den Bauch einziehen und hübsch aussehen muss», sagt eine.

Von der Gesetzesänderung haben beide gehört und betonen: Natürlich bräuchten auch Personen, die männlich aussehen, sich aber als Frau identifizieren, einen Rückzugsort. «Aber nicht hier», sagt die 75-Jährige. «Die Frauenbadi gehört uns! Die darf man uns nicht wegnehmen. Ich will hier nur Püppis sehen.»

Und wie sehen es die Betroffenen? Sigmond Richli, Mitglied des Co-Präsidiums des Vereins Transgender Network Switzerland (TGNS), sagt: «Es ist problematisch, wenn man Menschen nur auf ihre primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale reduziert.» 

Nicht nur für viele trans und non-binäre Menschen, sondern generell Menschen, die unabhängig ihrer Geschlechtsidentität oft weder klar männlich noch klar weiblich gelesen werden: «Man sieht dem Menschen im Bad ja dann nicht an, was im Pass steht.» Gleichzeitig wäre eine Kontrolle des Ausweises aber kaum praktikabel.

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In erster Linie sei ein respektvolles Miteinander wichtig, sagt Sigmond Richli, denn: «Warum gibt es diese Schutzräume für Frauen überhaupt? Weil sie viel Gewalt ausgesetzt sind und solche Schutzräume brauchen. Allerdings erfahren auch viele trans Menschen Gewalt und Ausgrenzung. Solche Rückzugsorte sind wichtig.» 

Dies zeigt auch eine nicht repräsentative Umfrage, die der Verein im Jahr 2020 durchgeführt hat: 75% der Teilnehmenden haben negative Erfahrungen gemacht im Zusammenhang mit geschlechtergetrennter Infrastruktur (WCs, Garderoben, Duschen) und geschlechtergetrennten Sportangeboten.

Kein Patentrezept

Dass sich die Regeln ändern müssen, davon ist Sigmond Richli überzeugt. Doch: Auch das Transgender Network Switzerland hat kein Patentrezept. Es hänge viel von der Situation und den Einzelpersonen ab. Auch für trans Menschen in der Schweiz könne das Netzwerk keine Aussagen machen.

«Einige würden eine Öffnung von Frauenbadis für trans Frauen bzw. trans Menschen begrüssen, andere hätten lieber eigene Badis nur für trans Menschen.» Das zeigt auch die Umfrage: 40% der Befragten wünschten sich Sportangebote oder Sportgruppen nur für trans Menschen, 25% allerdings nicht.

Der Verein TGNS unterstützt beratend bei der Suche nach Lösungen, damit sowohl trans Menschen als auch andere Gäste das jeweilige Angebot diskriminierungsfrei nutzen können: «Wir werden nicht nur von Badis, sondern auch von Institutionen im Bereich Wellness, Sauna, Sportanlagen immer wieder kontaktiert und in Diskussionen einbezogen. Wir versuchen jeweils, mit den Institutionen zusammen auszuarbeiten, was die Bedürfnisse sind und wie Lösungen aussehen könnten, die möglichst allen gerecht werden», so Sigmond Richli.

Private Badi setzt auf Toleranz

Auch das Sonnenbad St. Margarethen in Basellandschaft führt ein Herren- und ein Damen-Séparée, wo jeweils hüllenlos gesonnt werden kann. Das Freibad wird allerdings nicht vom Sportamt betrieben, sondern privat durch einen Verein. Wie beim Marzili in Bern erfolgt der Zutritt zu den Séparées erst nach dem Eingang.

Neue Regeln einzuführen, etwa mit einer Kontrolle des Geschlechts auf dem Ausweis, kann sich Vereinspräsident Rolando Stucki nicht vorstellen: «Man kann lang Gesetze machen, aber wenn die Leute das nicht wollen, wird es nicht funktionieren.»

Deshalb setze man auf Eigenverantwortung: «Die Menschen sollen dort hingehen, wo sie sich wohlfühlen. Wir zählen auf die Toleranz der Gäste in den jeweiligen Séparées», sagt Stucki.

Editiert von Marc Leutenegger

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