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Die Schweiz pokert hoch mit der EU

Warum die Schweiz nicht in die EU will

Höhenfeuer
Die Schweizerische Volkspartei feierte das Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU im Juni 2021 mit einem Höhenfeuer. Keystone / Urs Flueeler

Nur weil die EU davon ausging, die Schweiz würde früher oder später dem Club beitreten, liess sie sich auf einen Sonderweg ein. Doch das Land im Herzen Europas denkt nicht im Traum daran, sondern entfernt sich immer weiter von der EU. Was sind die Gründe?

Aus Sicht der EU ist die Schweiz ein mühsamer Gesell. 1992 sagte sie Nein zum EWR, 2021 brach sie die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU einseitig ab. Zu wirtschaftlicher Kooperation sagt die Schweiz stets «Ja, gerne!», zu mehr politischer Integration oder gar einer Mitgliedschaft «Nein, danke!» Dies hat ihr in Brüssel den Ruf einer Rosinenpickerin eingebracht.

Viele Schweizer:innen sehen das anders. Sie gefallen sich in der Rolle des freiheitsliebenden und selbstbestimmten Volkes, das fremden Herren (und Kommissions-Präsidentinnen) in Wilhelm Tell-Manier den Mittelfinger zeigt. «Die Schweiz ist zu reich und zu stabil, um in die EU zu wollen», sagt hingegen Fabio Wasserfallen, Professor für Europäische Politik an der Universität Bern. Dieses Motiv sei wichtiger als eine angebliche Freiheitsliebe.

Mentalität oder Mammon: Warum fährt die Schweiz mit angezogener Handbremse? Wir haben die wichtigsten Motive zusammengetragen.

Die Rechnung geht nicht auf

So speziell ist die Schweiz eigentlich gar nicht, findet Wasserfallen. Es sei einfach so, dass viele Faktoren, die für andere Länder einen EU-Beitritt attraktiv machten, für die Schweiz nicht wichtig seien: «Die Schweiz ist einerseits nicht exponiert gegenüber Russland, der Sicherheitsaspekt fällt also weg. Im Unterschied zu Spanien oder Griechenland, die noch im 20. Jahrhundert unter Diktaturen litten, spricht andererseits kein Wunsch nach politischer Stabilität für einen Beitritt.» Kaum ein Land ist politisch so stabil wie die Schweiz.

Auch wirtschaftlich ist ein Beitritt nicht mehr so verlockend wie auch schon. Seit der Osterweiterung sei ein Beitritt für ein wohlhabendes Land wie die Schweiz weniger attraktiv, meint Wasserfallen. Das gelte eigentlich auch für Länder wie Dänemark oder Schweden. Deshalb meint er: «Das eine oder andere EU-Land würde vielleicht heute nicht mehr beitreten.»

Der Sonderweg hat sich bewährt

Kommt dazu: Die Schweiz ist mit ihrem Extrazug bisher gut gefahren. Stefanie Walter, Professorin für Internationale Beziehungen und Politische Ökonomie an der Universität Zürich, sagt es so: «Das Arrangement mit den bilateralen Verträgen erlaubte der Schweiz bis anhin eine enge, aber direkt auf Schweizer Bedürfnisse zugeschnittene Beziehung zur EU.» Es überrasche daher nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung, wie auch eine Mehrheit in Politik und Wirtschaft den Status Quo beibehalten wolle.

Die Schweiz ist zu reich

Eines der grössten Probleme aus Schweizer Sicht liegt im Wohlstandsgefälle. Nicht nur würde die Schweiz in der EU zu den Nettozahlerinnen gehören, also zu jenen Ländern, die mehr in die EU einzahlen als sie zurückbekommen. Auch sind die Löhne in der Schweiz deutlich höher als in der EU. Die Schweiz fürchtet daher Lohndumping und Einwanderung in die Sozialwerke.

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«Aus meiner Sicht ist die Personenfreizügigkeit nicht nur in Grossbritannien, sondern auch in der Schweiz ein wichtiger Grund, warum viele Schweizer:innen nicht in die EU möchten», sagt Walter. Genau wie in Grossbritannien gebe es auch in der Schweiz viele EU-Migrant:innen.

Diese Einschätzung teilt Wasserfallen: «Die Personenfreizügigkeit führt in Bezug auf die Löhne bereits heute zu einem sichtbaren Problem.» Die Schweiz ist aus geografischen und sprachlichen Gründen besonders exponiert: Für eine Französin ist es einfacher, in der Westschweiz zu arbeiten, als eine skandinavische Sprache zu lernen.

Direkte Demokratie

Die Schweizer Stimmbevölkerung darf mehrmals im Jahr über Sachthemen abstimmen – auch auf nationaler Ebene. Die direkte Demokratie ist so etwas wie ein Nationalheiligtum. Viele Schweizer:innen haben Angst, dass eine EU-Mitgliedschaft ihre politischen Mitspracherechte beschneiden könnte, weil irgendein EU-Gremium Volksentscheide bodigen würde.

Einer der bekanntesten Politikanalysten der Schweiz, Claude Longchamp, sieht die direkte Demokratie als den offenkundigsten Hinderungsgrund für eine EU-Mitgliedschaft. Schlicht deshalb, weil eine Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung sowie die Mehrheit der Kantone einem EU-Beitritt zustimmen müssten. Gerade Letzteres sei schwer zu erreichen.

Auch Wasserfallen sieht – zumindest historisch – die direkte Demokratie als Grund, warum die Schweiz nicht in der EU ist: «Der EWR-Beitritt wurde in einer Volksabstimmung 1992 knapp abgelehnt. Wäre er angenommen worden, hätte es anders ausgehen können.» Anders gesagt: Die direkte Demokratie stellte die Weichen vor 30 Jahren weg von der EU.

Angst vor Souveränitätsverlust

Oft ist von der Souveränität die Rede, wenn Argumente gegen einen EU-Beitritt aufgezählt werden. «Fremde Richter» ist zu einem politischen Schlagwort geworden. Für manche Branchen – Teile der Hochfinanz etwa – ist die im Vergleich zur EU-Bürokratie schlanke Regulierung in der Schweiz gar ein Standortvorteil. Die Souveränität über die eigene Gesetzgebung will man nicht aus der Hand geben.

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Laut Politanalyst Longchamp ist es eine Frage der Mentalität: «Eigentlich will die Schweiz möglichst eigenständig sein.» Diese Haltung werde von einer klaren Mehrheit der Bevölkerung getragen.

Protektionistische Landwirtschaft

Nicht die Fischerei wie in Island und auch keine Ölindustrie wie im Falle Norwegens hindern die Schweiz an einem EU-Beitritt, aber eine hochsubventionierte sowie durch Importzölle und Einfuhrkontingente geschützte Landwirtschaft. «Das schweizerische Subventionsregime mit dem europäischen System kompatibel zu machen, wäre ein Problem», sagt Wasserfallen.

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Markenzeichen Neutralität

Weil die Schweiz kein EU-Mitglied ist, wird sie als neutraler wahrgenommen als Länder wie Österreich, Irland oder Schweden. Ein EU-Beitritt würde die Schweizer Neutralität verwässern. Das Markenzeichen Neutralität dient der Schweiz dazu, ihre «Guten Dienste» anzupreisen und Genf als Gastgeber-Stadt zu positionieren. Gegenüber der Konkurrenz Wien, Oslo und Helsinki ist die Schweiz besser aufgestellt, wenn sie nicht in der EU ist.

Laut Wasserfallen sind die Guten Dienste für Länder wie die Schweiz und Österreich wichtiger als das international stärkere Gewicht durch eine EU-Mitgliedschaft. «Frankreich will in der EU sein, weil es dadurch global mehr Einfluss nehmen kann», führt Wasserfallen aus. «Im Unterschied zu Frankreich war es nie eine Ambition der Schweiz, ein Player auf der Weltbühne zu sein.»

Und jetzt?

Es gibt also eine Reihe von Gründen, warum die Schweiz nicht in die EU will und auch ein Rahmenabkommen mit ihr ablehnte. Aber was will die Schweiz stattdessen? Eine Frage, die der EU zunehmend Kopfzerbrechen bereitet. Dabei ist es ganz einfach: Die Schweiz will, dass alles so bleibt, wie es ist. Deswegen spielt sie auf Zeit.

Das Problem ist laut Walter, dass sich auch die EU bewusst ist, dass der Status Quo für die Schweiz Vorteile bringt, die selbst viele EU-Mitgliedsländer nicht haben. «Dies ist für die EU problematisch, weil es Begehrlichkeiten weckt.» Auch Politanalyst Longchamp meint, die EU habe sich abgewendet vom Konzept der Teilmitgliedschaft.

«Wir Schweizer:innen haben die Hoffnung, dass die EU untergeht, bevor die Schweiz untergeht», sagt Longchamp und prognostiziert: «In der nächsten Schweizer Legislatur knallt es! Das Thema wird nicht länger ignoriert werden können.» Selbst dieser Eklat werde aber nicht zu einem EU-Beitritt führen. Sondern zu einer zweiten EWR-Debatte. Nach 30 Jahren also zurück auf Feld eins im europäisch-schweizerischen Eile mit Weile.

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Eile mit Weile

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Freundin oder Kolonistin? Die Debatten um das geplante Rahmenabkommen zeigen, wie unterschiedlich das Verhältnis zur EU eingestuft wird.

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