Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Zürcher Kunsthaus: Ein «kontaminiertes Museum»?

Kunsthaus Zürich
Besucher baustaunen die Raeumlichkeiten und die Ausstellungen anlaesslich der Eroeffnung des Neubaus Kunsthaus Zürich. Keystone / Ennio Leanza

Am Mittwoch wurde der neue Trakt des Kunsthauses Zürich eröffnet. Ein neues Buch kritisiert den Umgang mit der gezeigten Sammlung Bührle scharf: Standortmarketing stehe vor historischer Genauigkeit.

Im Zusammenhang mit Emil Bührle fallen Begriffe wie «historisch belastet» oder «dunkle Vergangenheit». Denn der Schweizer Waffenfabrikant erwirtschaftete seine Gewinne ab den 1930er-Jahren unter anderem aus Geschäften mit Nazi-Deutschland, er profitierte von Zwangsarbeit und sammelte in grossem Stil Kunst, darunter Bilder, die er nach dem Krieg als NS-Raubkunst zurückgeben musste.

Mehr

Mehr

Emil Bührle: Die Kunst des Krieges

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Seine Kunstsammlung wird 2021 ihren Platz im Kunsthaus Zürich einnehmen. Aber seine Geschichte wird weiter debattiert. Wer war Emil Bührle?

Mehr Emil Bührle: Die Kunst des Krieges

Trotzdem sollen die impressionistischen Meisterwerke aus der Sammlung des Waffenfabrikanten Zürich zu einem touristischen Anziehungspunkt machen. Zunächst lief alles glatt: Die rotgrüne Zürcher Regierung plante, die Bilder der Bührle-Stiftung als Leihgaben ins Kunsthaus Zürich zu transferieren.

2012 bewilligte das Stimmvolk die Vorlage über die Erweiterung des Kunsthauses. 2017 wurde bei der Universität Zürich eine historische Studie in Auftrag gegeben, welche die letzten blinden Flecken erfassen und den Wissensstand zu Emil Bührles Geschäfts- und Sammeltätigkeit zusammenfassen sollte.

Diese Studie aber stehe im Verdacht, reichlich zahnlos gewesen zu sein, sagt der Historiker Erich Keller. Denn dass die Bilder als Leihgaben ans Kunsthaus gehen, war beschlossene Sache, «egal was da von wissenschaftlicher Seite noch hätte kommen können». Erich Keller wirkte selber an der historischen Studie mit, bis er publik machte, dass ein Beirat beschönigende Eingriffe vornahm.

Mehr

Sein neues Buch «Das kontaminierte Museum» (Rotpunkt Verlag) dürfte für Aufregung sorgen. Denn Keller zweifelt darin auch die Provenienzforschung der Bührle-Bilder an und stellt die These auf, dass sich darunter NS-Raubkunst befinde.

Die Stadt Zürich und die Bührle Stiftung äussern sich auf Anfrage von SRF vor dem Erscheinen des Buches und ohne Kenntnis dessen Inhalts nicht. Esther Tisa Francini, Provenienzforscherin am Museum Rietberg, stellt der Forschung der Stiftung Bührle aber ein gutes Zeugnis aus. Sie entspreche den wissenschaftlichen Standards, sei online publiziert, öffentlich einsehbar und enthalte alle notwendigen Nachweise.

Und trotzdem verstummt die Kritik nicht. Denn es geht im Kern um die Bewertung von Forschungsergebnissen Und um eine schweizerische Eigenheit: den Begriff «Fluchtgut».

Mehr
Pintura de Constable exposta com o verso de frente

Mehr

Museen durchsuchen vermehrt Bestände nach Raubkunst

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Nazi-Raubkunst landete auch in Schweizer Museen. Diese tun sich schwer, die Gemälde zu identifizieren und an die Besitzer zurückzugeben.

Mehr Museen durchsuchen vermehrt Bestände nach Raubkunst

Sollen auch Bilder, die jüdische Sammlerinnen und Sammler nach ihrer Flucht vor dem NS-Regime verkauft haben, wie Raubkunst behandelt werden? Konnten die Eigentümer frei entscheiden und hätten sie auch ohne Verfolgung verkauft? Antworten darauf sind schwierig. Und sie fehlen für einzelne Bilder der Bührle-Stiftung, etwa eine Landschaft von Cézanne oder das Mohnblumenfeld von Monet.

Mehr

Mehr

Monets «Mohnfeld» mit Erblast

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Es war 1941 von Emil Bührle gekauft worden. Die Erben von Max Emden lassen abklären, ob es sich um Raubkunst handelt. Die Bührle-Sammlung spricht von einer «korrekten Abwicklung». Stolz präsentierte die Zürcher Stadtpolizei am 19. Februar zwei Bilder, die nach dem spektakulären Kunstraub aus der Sammlung Bührle wieder aufgetaucht waren. Neben van Goghs «Kastanienzweige» hat…

Mehr Monets «Mohnfeld» mit Erblast

Und so stellte sich vor der glanzvollen Eröffnung des neu erweiterten Kunsthauses nicht nur die Frage, ob die Geschichte von Emil Bührle und seiner Sammlung kritisch genug aufgearbeitet wurde und im Zürcher Kunsthaus kritisch genug vermittelt wird.

Es geht auch darum, wie sich die Schweiz und ihre Museen einer historischen Verantwortung stellen im Umgang mit Bildern, die sie ohne das NS-Regime vermutlich nie an die Wände hätten hängen können.  

Erich Keller: Das kontaminierte Museum. Rotpunktverlag 2021.

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft