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Im Weltraum gehört die kleine Schweiz zu den Grossen

Kleine Schweiz omnipräsent in den Endlosschlaufen des Alls

Lancement de CHEOPS
Start 2019 einer Sojus-Trägerrakete in Guyana, die mit dem Teleskop Cheops ein Stück Schweizer Forscherinnen- und Forschergeist in die Weiten des Weltalls bringt. ESA / Julio Aprea

Auf dem Mars mit den Europäern, den Amerikanern und den Chinesen, auf dem Mond mit den Russen. Aber auch auf den Monden des Jupiter, auf Kometen sowie in den Galaxien zur Ergründung der Unendlichkeit: Schweizer Technologie ist überall im Universum. Dass die Schweiz eine kleine, aber feine Weltraumnation ist, belegt die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz mit Zahlen.

60 Instrumente auf 50 verschiedenen Raumfahrtmissionen: Dies ist die Kürzest-Bilanz der Berichts «Weltraumforschung in der Schweiz 2018-2020»Externer Link. Es ist dies eine Bestandesaufnahme der Höchstleistungen der Schweizer Forschung im Orbit.

Die Akademie der Naturwissenschaften hat den Bericht im Hinblick auf eine internationale Fachtagung von nächstem Winter vorgelegt: Es geht um die 43. Jahreskonferenz von CosparExterner Link, den internationalen Ausschuss für Weltraumforschung, die Ende Januar 2021 im australischen Sydney stattfinden wird.

Blättert man die 100 Seiten durch, fallen vor allem die Flaggschiff-Missionen mit Schweizer Hightech an Bord auf. Zu den üblichen Verdächtigen zählen hier natürlich das Weltraumteleskop Cheops, der Kometenjäger Rosetta und das Sonnenobservatorium Solar Orbiter.

«No-Name-Missionen»

Die meisten der Missionen aber sind wenig oder gänzlich unbekannt. Beispielsweise das europäische Theseus-Projekt, die japanische Xrism-Mission oder eXTP aus China: Auch sie sind mit Schweizer Technologie bestückt.

Theseus untersucht Ausbrüche von Gammastrahlen, welche die hellsten Phänomene im Universum hervorrufen. Das japanische Projekt erforscht, was Gruppen von Galaxien zusammenhält, derweil die Chinesen die Bedingungen von supermassiven Schwarzen Löchern untersuchen. Im Fokus steht hier das Zusammenspiel von Materie von extremer Dichte, Schwerkraft und magnetischen Kräften.

Raum und Zeit

Die Schweizer Präsenz im Orbit ist eindrücklich. Aber Vorsicht, der Zeitausschnitt 2018 bis 2020, den der Titel suggeriert, ist etwas irreführend. Denn von der ersten Idee eines Forschungsexperiments im Orbit über die technologischen Entwicklungen der Instrumente bis zur Analyse der gesammelten Daten kann eine Weltraummission gut und gerne 20 oder sogar 30 Jahre dauern. Das entspricht praktisch einer Forscher-Karriere.

Von den aufgelisteten 50 Missionen mit Schweizer Beteiligung fand oder findet gut ein Drittel unter dem Dach der Europäischen Weltraumorganisation statt.

Die Schweiz zählt zu den ESA-GründungsmitgliedernExterner Link und trägt jährlich rund 170 Millionen Franken zum Gesamtbudget von rund fünf Milliarden Franken bei.

Neun Projekte sind in NASA-Missionen eingebettet, drei in jene der russischen Roscosmos-Agentur, fünf in die chinesische sowie zwei in die japanische Weltraumagentur.

Konkurrenz und Kooperation

Trotz strategischer Interessen und Agenden, insbesondere jene der Grossmächte, bleibt der Weltraum ein Ort der Zusammenarbeit. Zwar möchte jede der Grossmächte ihre Flagge auf dem Mond hissen oder als erste auf dem Mars sein. Aber die Physik der Sonne, der Krater des Merkur, der Vulkane von Io, der Ozeane des Titan und die weiter entfernten Neutronensterne oder Gravitationswellen interessieren nach wie vor kaum.

Wie aber schaffen die Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese permanente Präsenz in den internationalen Weltraum-Missionen? Wie können sie ihre Kolleginnen und Kollegen in Washington, Moskau und Peking davon überzeugen, dass ihr Instrument unbedingt mit an Bord muss?

«Dies geschieht in der Regel durch persönliche Kontakte», sagt Nicolas Thomas, Physiker und Planetologe an der Universität Bern und Präsident der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz. «Sie zeigen einem Kollegen, was sie machen, und dessen Organisation sagt: ‹Hey, so ist es richtig! Wir könnten zusammenarbeiten.'»

Fundamental sind also viele Reisen zu Tagungen und Kongressen, wo die Community das neuste Wissen austauscht.

«Für die NASA muss man sehr wettbewerbsfähig sein, aber man kann es schaffen,» so Thomas weiter. «Und was China betrifft, so werden wir vom Bund unterstützt. Aber ich persönlich habe zu viele Kollaborationen mit Taiwan, deshalb ist es nicht wirklich mein Terrain.» Geopolitik spielt also auch bis in die hintersten Winkel der Galaxien eine Rolle.

Champions League

Kann man von der zahlenmässig starken Vertretung darauf schliessen, dass die Weltraumforschung Made in Switzerland Weltklasse ist? Nicolas Thomas bleibt bescheiden und verweist auf Fabio Favata. Der Koordinator der Missionen für Astronomie und Grundlagenphysik bei der ESA habe einmal den Ausspruch geprägt, dass die Schweiz betreffend Weltraumforschung über der eigenen Gewichtsklasse boxe.

Zwar bemesse die Schweiz ihren ESA-Beitrag am BIP. «Aber wir machen mehr Lärm als andere. Wir versuchen stets, das sichtbarste Instrument auf einer Sonde oder einem Satelliten zu haben.»

Im Bericht ragen neben den beiden Eidgenössischen Technischen Hochschulen Zürich und Lausanne und einer Vielzahl von Universitäts-Instituten und Fachhochschulen zwei Hotspots heraus: das Astronomie-Departement der Universität Genf, das die Nobelpreisträger Michel Mayor und Didier Quéloz und die vielen Exoplanetenjäger hervorbrachte. Und das Physikalische Institut der Universität Bern, das auf zahlreichen Planetensonden zu Mars, Merkur, den Eismonden von Jupiter oder dem Kometen Tschuri. Bern ist gar Geburtsort von Cheops, der ersten Schweizer Mission bei der ESA.

«Genf ist auf Hochenergiephysik und Datenverarbeitung spezialisiert. In Bern sind wir stark bei den Planeten», sagt der Berner Professor. Eine Spezialisierung ist sinnvoll, aber auch wirtschaftlich notwendig.

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Vor den ersten Sternen

Welche Mission hat ihn am meisten beeindruckt? «Das ist eine zu schwierige Frage. Ich neige dazu, in die Zukunft zu blicken, und ich war an der Entwicklung der Lisa-Mission für die ESA beteiligt. Ziel ist die Messung von Gravitationswellen, und wir können mit beeindruckenden Ergebnissen rechnen. Wenn ich noch Student wäre, würde ich das gerne in meinem Lebenslauf drin haben», so Thomas.

Bis dahin muss er sich aber noch gedulden, ist der Lisa-Start doch erst für 2034 vorgesehen.

Rückgrat der eigenen, starken Weltraumforschung ist die Schweizer Raumfahrtindustrie. Sie umfasst rund 80 Unternehmen, die meisten sind KMU, mit rund 1000 Beschäftigten. Typischerweise sind sie in Nischensegmenten positioniert – als Zulieferer.

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