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Nicht nur junge Leute schreiben Mundart-SMS

Die Kommunikation per SMS wird eingesetzt, um direkten Kontakt zu ersetzen. Keystone

Rund 24'000 SMS hat ein Forschungsteam der Universität Zürich gesammelt. Das Ziel dieser Sammelaktion sei, die SMS-Kommunikation zu untersuchen. Dabei zeigt sich bereits, dass 75% der SMS in Dialekt geschrieben werden.

«Wir wollten ein grosses Korpus erstellen, mit so vielen Daten, dass sie dann auch statistisch signifikante Aussagen zulassen. Diese SMS-Sammelaktion ist Teil eines internationalen Projekts, das gleichzeitig in mehreren Ländern durchgeführt wird», sagt Christa Dürscheid, Professorin für Deutsche Sprachwissenschaft der Uni Zürich, gegenüber swissinfo.ch.

Es sei das erste Mal, dass in so einem grossen Rahmen SMS-Kommunikation untersucht werde.

Die Auswertungen stehen zwar noch am Anfang, die Vorarbeit zu einer möglichen Auswertung wurde jedoch geleistet. «Wir haben ein Programm erstellt, mit dem wir die Daten durchsuchen und feststellen können, ob bestimmte Phänomene, von denen man allgemein annimmt, dass sie typisch sind fürs SMS-Schreiben, vorkommen, wie häufig sie vorkommen und in welchem Kontext sie vorkommen.»

SMS in Dialekt

Ohne den genaueren Untersuchungen vorzugreifen, habe sich ein Resultat schon bei der Sichtung der SMS gezeigt, sagt Dürscheid: «Ungefähr 75% der SMS in der Deutschschweiz werden in Dialekt geschrieben.»

Da alle, die ihre SMS einsandten, gebeten wurden, ein Formular auszufüllen und Angaben zum Alter, zum Beruf und zum Geschlecht zu machen, könne man nun die Frage klären, ob hauptsächlich jüngere Menschen ihre SMS in Dialekt schreiben oder ob dies unabhängig vom Alter geschieht, wie Dürscheid nach dem ersten Überblick vermutet.

«Wir haben nicht nur SMS von Jugendlichen erhalten. Es ist tatsächlich so, dass auch Angehörige der mittleren Generation und Ältere ihre SMS in Mundart schreiben. So haben wir in unserer Datensammlung auch in Dialekt verfasste SMS von einer 74-Jährigen.»

Die Sprachwissenschafterin sieht darin eine Tendenz, «dass in dieser Art der privaten Kommunikation – vielleicht wie früher einmal auf den Postkarten – die Mundart im grossen Stil eine Renaissance erlebt.»

Verschriftlichung des Dialekts

Zur Verschriftlichung des Dialekts hat Dürscheid festgestellt: «Der Dialekt wird so verschriftet, wie er gesprochen wird, und es lässt sich aus einem SMS ermitteln, aus welcher Region ein Schreiber kommt.»

Interessant sei, dass es gewisse Schreibroutinen gibt, «also dass Wörter, die man sehr oft schreibt, nicht in Dialekt verschriftet werden, sondern Hochdeutsch geschrieben werden. Wörter wie ‹Poscht›, zum Beispiel. Das wird dann doch nicht ‹Poscht› geschrieben, sondern ‹Post›.»

Die Wahl der Sprache vermische sich so, und sie hänge auch von den Schriftbildern ab, die man sich gewöhnt sei.

Die Wissenschaftlerinnen untersuchen auch, wie sich die Tatsache, dass die Schweiz ein viersprachiges Land ist, auf die SMS-Schreibung auswirkt.

«Wir vergleichen unsere SMS auch mit einsprachigen Ländern. Die Idee ist, festzustellen, ob sich die Mehrsprachigkeit des Landes in häufigeren Sprachwechseln niederschlägt oder nicht.»

Man könne bis jetzt feststellen, dass es in den SMS zwar häufig Sprachwechsel gebe, aber diese beinhalteten oft nur typische Formeln wie zum Beispiel: ‹Bye Bye› oder ’see you›. «Aufgrund dieses Befunds kann man natürlich nicht sagen, die Sprachwechsel seien ein Zeichen für Mehrsprachigkeit.»

Es seien meistens Übernahmen von Formulierungen aus dem Englischen. «Es können auch französische Brocken vorkommen, die dann aber sehr oft nur an bestimmten Stellen in der SMS, z.B. zur Verabschiedung, auftauchen», hat Christa Dürscheid festgestellt.

Der mündlichen Kommunikation nahe

Für die Sprachwissenschaftlerin orientiert sich die Kommunikation per SMS stark an der gesprochenen Sprache. «Man findet sehr vieles, das Nähe ausdrückt. Grüsse, Gute Nacht-Wünsche, Verabredungen mit Kollegen und so weiter.» Die SMS-Kommunikation werde so verwendet, dass sie Gespräche ersetze, oft «auch den persönlichen Umgang».

Deshalb verwundere es nicht, dass so viele SMS in Dialekt geschrieben sind. «Zwei Schweizer unter sich würden sich nie auf Hochdeutsch ‹Gute Nacht› wünschen», bemerkt Dürscheid. Deshalb sei es nur naheliegend, dass sie auch die SMS in Dialekt schreiben.

Über die Orthografie

In SMS in einem Schweizer Dialekt gelte nicht die Orthografie des Standarddeutschen, hat Christa Dürscheid nach Durchsicht der SMS-Sammlung festgestellt.

Dies habe auch damit zu tun, dass in Mundart verschriftete SMS meistens der Lautung folgten, meint sie. «Man schreibt so, wie man spricht. In diesem Sinn kann man sagen, dass es, was die Orthografie betrifft, ein normfreier Raum ist, der sich da auftut.»

Nicht nur in der Wortschreibung, sondern auch in der Zeichensetzung sei das so. «Zum Beispiel werden drei Ausrufezeichen gesetzt statt nur einem. Das hat auch eine Funktion auf der kommunikativen Ebene.» Wer mehrere Ausrufezeichen setze, bringe zum Ausdruck, dass etwas sehr wichtig ist.

Dies belege, so die Wissenschaftlerin, dass die SMS-Sprache eng angelehnt sei an die gesprochene Sprache. In der mündlichen Kommunikation würde man das Gleiche mit der Intonation ausdrücken, oder durch Mimik und Gestik, meint sie.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

Insgesamt nahmen in der Schweiz 2627 Personen an der Aktion teil, davon füllten rund die Hälfte einen Online-Fragebogen aus mit Angaben zu Geschlecht, Alter, Bildungsstand und Beruf.

Von den 1311 ausgefüllten Fragebogen stammen 63 Prozent von Frauen. Mehr als zwei Drittel gaben Schweizerdeutsch als ihre Muttersprache an, knapp 20 Prozent nannten Französisch als Muttersprache. 561 (43 Prozent) Personen sind zwischen 21 und 30 Jahre alt. Gut vertreten sind auch Teenager und 40- bis 50-Jährige.

Die Mehrzahl der Teilnehmenden gab an, zwischen 10 und 50 SMS pro Woche zu verschicken.

Eine kleine Gruppe von 43 Personen (3 Prozent) outete sich als Vielschreiber: In der Regel verfassen sie innert einer Woche über 100 Kurzmeldungen.

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