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Rettet Kunstschnee Olympia und die Skiregionen?

Kunstschneepiste auf einem ansonsten schneefreien Berg
Die Abfahrtspiste für die Alpinen bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking. Fabrice Coffrini / AFP

Der Kunstschnee, der für die Olympischen Winterspiele in Peking verwendet wird, sorgt wegen seiner Auswirkungen auf die Umwelt für Diskussionen. Er ist jedoch unentbehrlich, um viele Skigebiete weltweit am Leben zu erhalten – auch in der Schweiz. Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Die diesjährigen Olympischen Winterspiele werden die ersten in der Geschichte sein, die «grün» sind und eine Netto-Null-Emissionsbilanz aufweisen: So lautet das Versprechen des Organisationskomitees für Peking 2022. Demzufolge sollen die olympischen Einrichtungen zu 100% mit erneuerbaren Energien betrieben werden.

Einige Umweltverbände und wahrscheinlich auch die Zuschauerinnen und Zuschauer der alpinen Skiwettbewerbe stellten jedoch die effektive Nachhaltigkeit der Spiele in China in Frage.

Denn Corinne Suter, Lara Gut-Behrami, Beat Feuz und Marco Odermatt konnten nur deshalb eine Goldmedaille für die Schweiz gewinnen, weil im Skigebiet Yanqing, rund 80 Kilometer von Peking entfernt, rund 200 Schneekanonen im Einsatz standen. Ohne Kunstschnee keine Olympischen Winterspiele.

Wie wird Kunstschnee hergestellt?

Um Kunstschnee zu erhalten, wird Wasser mit Druckluft vermischt und in Form von Tröpfchen versprüht. Bei Kontakt mit der Luft verwandeln sich diese Tröpfchen in Eiskristalle, noch bevor sie den Boden erreichen.

Moderne Schneekanonen funktionieren auch bei Temperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt. Bei höheren Temperaturen müssen chemische Zusätze eingesetzt werden, um die Kristallisation des Wassers zu erleichtern.

Kunstschnee auf einer Skipiste
Kunstschnee im Titlis-Skigebiet in Engelberg (Obwalden). © Keystone / Alexandra Wey

Was ist der Unterschied zwischen Kunstschnee und Naturschnee?

Sowohl natürlicher wie auch Kunstschnee bestehen ausschliesslich aus Luft und Wasser, und das Entstehungsprinzip ist dasselbe. Aufgrund der geringeren Fallhöhe hat der Kunstschnee jedoch eine andere Kristallstruktur.

Es fallen «Körner» statt sechseckiger Sterne zu Boden, und die Flocken sind dichter als normale Schneeflocken. Kunstschnee schmilzt langsamer und macht damit die Gleitflächen härter und eisiger – und somit auch schneller.

Wann wurde Kunstschnee erstmals an Olympischen Spielen eingesetzt?

Der erste Kunstschnee kam 1980 während den Olympischen Winterspielen im amerikanischen Lake Placid, USA, zum Einsatz. 2014 waren in Sotschi, Russland, bereits rund 80% des verwendeten Schnees für die Pisten künstlich.

Im Jahr 2018 in Pyeongchang, Südkorea, lag der Anteil bei über 90%. Und die diesjährigen Olympischen Winterspiele sind die ersten, die vollständig auf Kunstschnee ausgetragen werden.

Wie viel Kunstschnee wird in den Alpen verwendet?

Aufgrund der Klimaerwärmung und des Rückgangs der Schneefälle sei Kunstschnee für die meisten Schweizer Skigebiete unverzichtbar geworden, sagt Fabian Wolfsperger vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung. In der Schweiz wird seit 1978 Kunstschnee verwendet. Savognin in Graubünden war eines der ersten Skigebiete, welche dies in der Praxis umsetzten.

Im Winter 2020-2021 waren gemäss Daten des Verbands Seilbahnen Schweiz 53% der Skipisten in den Schweizer Alpen künstlich beschneit. In Italien (Südtirol) und Österreich ist der Anteil höher, während in Deutschland (Bayern) und Frankreich auf einer relativ kleinen Fläche künstlich beschneit wird.

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Wie viel Wasser benötigt die Herstellung von Kunstschnee?

Für die Herstellung von zwei Kubikmetern Kunstschnee benötigt man etwa einen Kubikmeter Wasser, also tausend Liter. Carmen de Jong, Professorin für Hydrologie an der Universität Strassburg, schätzt, dass für die diesjährigen Olympischen Spiele in Peking 2,5 Milliarden Liter Wasser benötigt werden.

Die Organisation von Wettbewerben in einer Region, die für ihre Trockenheit bekannt sei und in der es praktisch keinen natürlichen Schnee gebe, sei «unverantwortlich», sagte sie gegenüber der britischen Zeitung «The Guardian»Externer Link.

Nach Angaben der Nichtregierungs-Organisation «China Water Risk» ist die Region Zhangjiakou, die Schauplatz der meisten Ski- und Snowboard-Veranstaltungen ist, mit schwerem Wasserstress konfrontiert.

In den letzten 40 Jahren fielen in dieser Region im Winter durchschnittlich 7,9 Millimeter Niederschlag – das ist neunmal weniger als in Davos, einem Schweizer Ferienort auf rund 1500 Metern Höhe.

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Die verbrauchte Wassermenge sei nicht der einzige relevante Faktor, sagt Martine Rebetez, Klimatologin an der Universität Neuenburg und an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.

Berücksichtigt werden müssten auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Nutzenden und die Auswirkungen auf natürliche, landwirtschaftliche und menschliche Systeme.

In der Schweiz hätten wir mit wenigen Ausnahmen das Glück, dass es das ganze Jahr über regnet und wir keine Streitigkeiten über die Wassernutzung austragen müssen, sagte Rebetez gegenüber der Online-Seite «Heidi.news»Externer Link. «In einer trockeneren Region ist die Situation jedoch anders.»

Welche anderen Auswirkungen hat Kunstschnee auf die Umwelt?

Auch die Wasserleitungen für die Schneekanonen, die im Boden verlegt sind, würden ein Problem darstellen, sagt Rebetez. Die Aushubarbeiten tragen zur Bodenerosion bei und beeinträchtigen die Wasserläufe und Wasserquellen flussabwärts.

Chemische Zusätze, die zur Förderung der Schneebildung bei höheren Temperaturen eingesetzt werden, haben auch schädliche Auswirkungen auf Fauna und Flora. Einige Länder, darunter Österreich und Frankreich, verbieten deshalb deren Einsatz. In der Schweiz sind solche zwar in einigen Kantonen unter strengen Auflagen erlaubt, werden aber praktisch nicht mehr verwendet, so Seilbahnen Schweiz.

Schliesslich ist da noch die Frage des Stromverbrauchs. Für die Herstellung eines Kubikmeters Kunstschnee werden 1-3 kWh Energie benötigt. Zum Vergleich: 1 kWh entspricht ungefähr dem Verbrauch eines Fernsehers, der sieben Stunden lang eingeschaltet ist.

Die Internationale Alpenkommission hat errechnetExterner Link, dass der Energieverbrauch für die Beschneiung des gesamten Alpenraums 600 GWh betragen würde, was dem jährlichen Strombedarf von 130’000 Vier-Personen-Haushalten entspricht.

Immerhin: Dank der technischen Entwicklung verbraucht eine Beschneiungsanlage heute rund 30% weniger Strom als noch vor 15 Jahren. Einige Systeme funktionieren sogar gänzlich ohne Strom.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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