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Solar Impulse zündet nächste Hightech-Stufe

Die Solar Impulse über der Golden Gate Bridge in San Francisco. solarimpulse / Revillard

Das Leichtbau-Flugzeug Solar Impulse von Pionier Bertrand Piccard ist zur Überquerung der USA gestartet. In der Schweiz bauen die Techniker schon die nächste Version des reinen Solarfliegers. Diese ist noch leichter und noch verwindungssteifer.

Bertrand Piccard und André Borschberg geht es mit Solar Impulse nicht nur darum, Rekorde aufzustellen, sondern sie wollen auch demonstrieren, dass Technologie mit erneuerbarer Energie im härtesten Einsatz in der Luft bestehen kann.

Im bisherigen Verlauf des Projekts, an dem rund 80 Partnerfirmen beteiligt sind, darunter viele aus der Schweiz, konnte das Team einen riesengrossen Schatz an Erkenntnissen gewinnen, der die ursprünglichen Hoffnungen weit übertrifft.

In der Westschweiz, verborgen vor Kameras, schreitet derweil die Konstruktion der HB-SIB voran, der nächsten Evolutionsstufe der Solar Impulse. Für die beteiligten Firmen und die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) als wissenschaftliche Beraterin stellt das ultraleichte Solarflugzeug einen Berg von technologischen Herausforderungen dar. Eine davon ist die Jagd nach den richtigen, sprich, den besten Materialien.

Am ganzen Flugzeug findet sich keine einzige Niete – sämtliche Verbindungen der Teile sind geklebt. Damit der Traum vom Nonstop-Flug um die Erde mit reiner Sonnenenergie wahr werden kann, mussten die Ingenieure und Wissenschaftler die Entwicklung von Verbundwerkstoffen in neue Dimensionen treiben.Die neuen Materialien müssen zwei Hauptkriterien erfüllen: Sie müssen noch leichter sein und noch verwindungssteifer sein als alle bisherigen Entwicklungen.

Angepackt haben diese Aufgabe Spezialisten der Firmen Décision SA und North TPT, beide aus der Boom-Region Lausanne und aus dem Bootsbau stammend. Dabei arbeiten sie eng mit Technikern der EPFL zusammen.

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Der Vogelfeder immer näher

Der ultraleichte Rumpf in Skelettbauweise, das Cockpit und die Flügel von HB-SIA, der ersten Version, die aktuell über die Staaten fliegt, entstanden bei Décision in Zusammenarbeit mit der EPFL.

Die Tüftler brauchten ein Jahr, um das beste Sandwich von Karbonfasern herauszudestillieren und zu backen. Die verwendeten Karbon-Matten wogen die Winzigkeit von 93 Gramm pro Quadratmeter.

«Es ist High-tech, aber gleichzeitig sehr handwerklich», sagt Décision-Chef Bertrand Cardis auf einem Rundgang durch die Werkstätten, in denen mehrere Alighi-Yachten und ein Flügel für Yves Rossy entstanden sind. Der «Jetman» aus der Schweiz war der erste Mensch, der mit Düsen am Rücken und getragen von Stummelflügeln den Ärmelkanal überflogen hat.

Die Flüge zur Überquerung der USA begannen am 3. Mai.

Der Plan sieht fünf Zwischenlandungen vor. Die Etappen: San Francisco (Kalifornien) – Phoenix (Arizona), Dallas (Texas) – St. Louis (Missouri) oder Atlanta (Georgia), Ziel in Washington D.C. und New York City.

Das erste Leichtbauflugzeug Solar Impulse HB-SIA wurde im Juni 2009 vorgestellt. Die ersten Testflüge erfolgten ein Jahr später. Höhepunkt war der erste Nachtflug eines Solarfliegers im Juli 2010, der insgesamt 26 Stunden dauerte.

Im September 2010 überflog die Solar Impulse die Schweiz und landete in Genf und Zürich. 2011 folgte der erste Flug über die Landesgrenzen, zuerst nach Brüssel, dann nach Paris.

Im letzten Jahr flog das Leichtbau-Flugzeug von Payerne in sieben Etappen nach Rabat in Marokko (Nordafrika) und zurück.

2013 steht im Zeichen der Konstruktion der neuen Solar Impulse HB-SIB.

Die Umrundung der Erde ohne Zwischenlandung ist auf 2015 angesagt.

Unvorstellbarer Aufwand 

Aktuell sind die Techniker daran, Platten für den Rumpf der neuen Solar Impulse zu backen und zu montieren. «Wir sprechen von einem Aufwand von bis zu 6000 Stunden – pro Stück», sagt Cardis.

Mit einer Spannweite von 72 Metern soll HB-SIB noch grösser und dabei leichter werden als die aktuelle erste Stufe. Das bedeutet vor allem mehr Platz für Solarpanels, welche die Energie für die Elektromotoren liefern. Die Karbon-Puzzleteile sind weniger Platten als vielmehr Folien, denn mit gerade noch 25 Gramm pro Quadratmeter wiegen sie sogar dreimal weniger als Papier!

«Für die Entwicklung von extremen Projekten muss man die Komfortzone verlassen», streicht Cardis heraus. «Man dringt in Regionen vor, in denen man Risiken eingeht, die man minimieren muss. Dabei war die Forschung der EPFL sehr hilfreich.»

Die örtliche Nähe der beteiligten Partner war laut Pascal Vuilliomenet von der Technischen Hochschule ein grosser Vorteil. «Wir haben hier einen Cluster von Expertise, der unschätzbar ist.»

Lieferant North TPT liegt nur wenige Minuten entfernt. In einer ehemaligen Kabelfabrik entwickelte die kleine Firma für Alinghi neue Segel, die beim America’s Cup 2007 zum Einsatz kamen. Sie bestanden aus einem neuen, in einer Gussform gepressten Karbon-Mix, der im Bau von Automobilen, Booten und Zügen zum Einsatz kommt.

Karbon-Kompositwerkstoffe bestehen aus mehreren Schichten von «vorimprägnierten» Fasermatten, die mit Harzen verstärkt sind. Das ganze wird in einem Ofen, dem Autoklaven, gebacken.

North TPT hat zusammen mit EPFL-Experten neue Komposit-Matten entwickelt, die viel dünner und biegsamer sind. Sie bestehen aus viel mehr Faserschichten, die, in verschiedene Richtungen und in verschiedenen Stärken verlegt, ein viel leichteres und trotzdem viel stärkeres Geflecht ergeben als alle bisherigen Verbundwerkstoffe. «Es ist, wie wenn man in einer Kamera mehr Pixel hat», illustriert François Mordasini, Leiter von North TPT.

Das Material ist so dünn, dass ein spezieller, computergesteuerter Roboter nötig ist, um die einzelnen Schichten in den optimalen Ausrichtungen zu platzieren, damit die Eigenschaften voll zum Tragen kommen. Daraus entstehen unter anderem Angelruten und Bestandteile für Uhren oder Formel-1-Boliden.

Überall die optimale Materialstärke

North TPT musste auch neue Computer-Programme schreiben, um die Stärken dieser revolutionären Komposit-Strukturen zu berechnen. «Wir verfügen somit über einen neuen Werkzeugkasten, der uns erlaubt, die Materialien auf die jeweilige, spezifische Verwendung hin zu optimieren», so Mordasini stolz.

Im Vergleich zu bisherigen Verbundwerkstoffen verfügen die Materialien über andere Eigenschaften. Getestet werden diese von Robin Amacher und Kollegen im Labor für angewandte Mechanik und Zuverlässigkeits-Analyse der EPFL.

«Es ist bemerkenswert, dass es viel grössere Kräfte braucht, bis der neue Werkstoff bricht. Auch ist der Bruch viel glatter. Dazu ermüdet das Material viel weniger. Das erlaubt es dem Konstrukteur, die volle Leistungsfähigkeit des Materials zu nützen», schwärmt Amacher gegenüber swissinfo.ch.

«Wir machen nicht nur Messungen, sondern lernen auch, wie die Materialien brechen», schiebt er nach. Mit diesem Wissen liessen sich Vorschläge für Verbesserungen machen.

Übergang Mensch-Maschine 

Die EPFL stieg 2003 mit einer Machbarkeitsstudie in das Projekt Solar Impulse ein. Seither kamen mehrere Forschungsaufträge dazu, etwa die Entwicklung von Sensoren für eine Schnittstelle Mensch-Maschine. Solche sollen die Piloten der Solar Impulse bei ihren sehr langen Einsatz-Schichten unterstützen. Erste Tests des Systems im Simulator sind für Dezember geplant.

«Projekte wie Solar Impulse sind für uns wichtig, weil wir unsere technologische Kompetenz demonstrieren können. Aber auch, weil Studenten hochqualitative, innovative Forschung betreiben können, deren Resultate umgehend von der Praxis genutzt werden. Davon profitieren alle Seiten», ist Vuilliomenet überzeugt.

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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