Heizen mit Holz und Kohle produziert den schädlichsten Feinstaub
Wissenschaftler:innen beginnen erst zu verstehen, wie Aerosole das Klima und unsere Gesundheit beeinflussen. Langzeitmessstationen in der Schweiz und 13 anderen europäischen Ländern verschaffen ihnen einen Überblick über das Ausmass der Verschmutzung.
An einem heissen Sommertag steht ein weisser Wohnwagen neben dem Labyrinthplatz, einem labyrinthartigen Garten im Herzen von Zürich. Von aussen unscheinbar, beherbergt der Wohnwagen hochsensible Geräte zur Überwachung kleinster Luftpartikel.
Der Labyrinthplatz ist in Gehdistanz zum Hauptbahnhof und mehreren Bushaltestellen. Er ist umgeben von Dutzenden Restaurants, Bars, Geschäften und Wohnhäusern. Partikel, die von Bratöfen, Grills, Zigaretten, Autoabgasen oder Pollen stammen, verbleiben lange in der Luft.
«Wir als Aerosolforschende träumen von genau dieser Art Standort», sagt Gang Chen, Doktorand am Paul Scherrer Institut PSI in der Nähe von Zürich.
Durch die Auswertung von Aerosolkomponenten, die an 22 Messstationen wie dieser gesammelt wurden, konnten das PSI und 70 internationale Mitarbeiter:innen die wichtigsten menschlichen und natürlichen Verschmutzungsquellen identifizieren. Die Ergebnisse wurden im August in der Zeitschrift Environment InternationalExterner Link veröffentlicht.
Sorge um die öffentliche Gesundheit
Seit der Corona-Pandemie ist der Begriff «Aerosol» – ein Partikel mit einem Durchmesser zwischen 0,01 und 10 Mikrometern – in der Öffentlichkeit bekannt. Dieser Feinstaub kann zahlreiche chronische und akute Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen, darunter Asthma, Bronchitis und Lungenkrebs.
Mediziner:innen gingen bisher davon aus, dass solche Gesundheitsprobleme durch eine einfache Verringerung der Konzentration organischer Aerosole in der Atemluft vermieden werden könnten. Doch im Jahr 2020 beschrieben Forscher:innen des PSI, dass die Auswirkungen von Aerosolen weniger von ihrer Zahl abhängen, sondern vielmehr von der jeweiligen Quelle der Verschmutzung, deren Toxizität und davon, wie sie in den menschlichen Körper gelangen.
Ranking der europäischen Städte
«Ich fürchte, dass niemand in der Forschung sicher weiss, was genau die Quellen der organischen Aerosole sind», sagt Chen. Selbst mit 22 Überwachungsstationen in ganz Europa ist es nicht einfach, die Herkunft der organischen Aerosole zu ermitteln, weil sich ihre Konzentration und Zusammensetzung ständig ändern, so Chen.
«Wir können uns das wie ein Musikstück vorstellen», fügt er hinzu. «Wir wollen ein Modell erstellen, mit dem wir dieses Musikstück aufschlüsseln können, so dass wir wissen, welche Instrumente in jeder Sekunde verwendet wurden, um die Musik zu spielen, und wie viele Dezibel jedes Instrument ausstrahlt.» (In diesem Modell stellen die Instrumente die Quellen der organischen Aerosolverschmutzung dar, und die Dezibel entsprechen der chemischen Zusammensetzung der Aerosole und ihren jeweiligen Konzentrationen).
Um das genauer zu untersuchen, hat das PSI 46 bestehende Beobachtungsstellen in Europa um Daten gebeten und Antworten von neun nichtstädtischen und 13 städtischen Überwachungsstationen erhalten. Sie analysierten die lokalen Aerosolschadstoffdaten, die zwischen 2013 und 2019 an diesen Stationen gesammelt wurden, um herauszufinden, welche Aerosole in der Luft vorhanden waren und wie sie über Tage, Monate und Jahreszeiten hinweg variierten.
Es überrascht nicht, dass die Ergebnisse in Städten höhere Konzentrationen zeigen. Krakau, die zweitgrösste Stadt Polens, ist am stärksten verschmutzt (40,4 µg/m3), während das ländliche Birkenes in Südnorwegen am saubersten ist (1,3 µg/m3).
Schadstoffe aus Heizquellen
Die Forschenden stellten jedoch auch fest, dass die Zusammensetzung der organischen Aerosole zwar von Ort zu Ort variiert, die wichtigste Verschmutzungsquelle jedoch auffallend ähnlich ist: das Heizen von Wohnungen mit festen Brennstoffen.
Laut Chen gehören Gebiete, in denen noch immer mit Holzscheiten, Holzpellets, Kohle oder Torf geheizt wird – wie vielerorts in Rumänien – zu den am stärksten mit Aerosolen belasteten Gebieten. Im Gegensatz zu Kraftwerken, für die es strenge Vorschriften und Filtersysteme gibt, sind die Emissionen von Hausheizungen in Europa weniger gut geregelt.
In der Schweiz gibt es zwar keine Höchstmenge an festen Brennstoffen, die pro Haushalt zum Heizen verwendet werden, doch ist man sich des Problems zunehmend bewusst. Massnahmen sind ergriffen worden, um die Qualität der Brennstoffe, den Betrieb der Heizungsanlagen, die Höhe der Schornsteine usw. zu kontrollieren.
Das Bundesamt für Umwelt Bafu erklärte gegenüber swissinfo.ch, dass seit der Verabschiedung von neuen Vorschriften 2018 holzbefeuerte lokale Raumheizungen die europäischen Ökodesign-Emissionsnormen erfüllen müssen, wenn sie in Verkehr gebracht werden.
Sie dürfen zudem nur noch mit dem entsprechenden Brennstoff betrieben werden und müssen regelmässig kontrolliert werden. Kohle wird in solchen Feuerungsanlagen in der Schweiz nicht mehr verwendet, und Torf ist überhaupt nicht erlaubt.
«Die Technik entwickelt sich weiter, und es ist wahrscheinlich, dass in den nächsten Jahren eine Änderung der Vorschriften in Betracht gezogen wird», so das Bafu weiter.
Traditionelle Emissionsquellen
Die zweite wichtige Quelle der Aerosolbelastung ist der Verkehr. Obwohl die Kraftfahrzeugemissionen in Europa seit den 1990er-Jahren streng reguliert sind, hat noch kein Land Grenzwerte für die Verschmutzung durch andere Emissionen als Auspuffgase festgelegt. Dabei entstehen Emissionen auch durch Abrieb von Reifen und Bremsen, Strassenabnutzung und Strassenstaub.
Stuart Grange ist Wissenschaftler beider Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa und sammelt Proben von Nicht-Abgasemissionen. Grange sagt, dass es den Ländern schwer falle, solche Emissionen zu kontrollieren. Es gebe noch keine technischen Lösungen, um sie aufzufangen oder zu kontrollieren.
Er weist jedoch darauf hin, dass sich die Forschung zur Luftverschmutzung zunehmend von den traditionellen Emissionsquellen auf diffusere und schwieriger zu kontrollierende Quellen verlagert. So wie das Team vom PSI, das auch ein standardisiertes Protokoll zur Identifikation von Aerosolquellen entwickelt hat.
Der Experte für Aerosolmessungen Lukas Durdina von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW wiederum sagt, dass sich dieses Protokoll für andere Wissenschaftler:innen als nützlich erweisen werde, denn «je nach Kalibrierung und Messprotokoll kann ein und dasselbe Instrument eine sehr unterschiedliche Antwort geben, und ein relativer Vergleich ist sehr unsicher».
Ende 2021 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO ihre Richtlinien zur Luftqualität in Bezug auf die Aerosolverschmutzung überarbeitet. Sie besagt nun, dass die Gesamtmenge der Aerosole, die kleiner als 2,5 Mikrometer im Durchmesser sind, fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht überschreiten sollte. Die vorherigen Richtlinien hatten die Obergrenze auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter festgelegt.
Die Stimmen aus der Wissenschaft finden zwar auch, dass der WHO-Grenzwert die Verringerung der Aerosolverschmutzung fördert. Sie sind jedoch der Meinung, dass sich die WHO mehr auf die Quellen der Partikel und ihre chemische Zusammensetzung konzentrieren sollte. Chen weist darauf hin, dass «fünf Mikrogramm Aerosole hauptsächlich aus Meersalz überhaupt keine negativen Auswirkungen auf den Menschen» haben.
«Ich hoffe wirklich, dass das von uns entwickelte Protokoll eines Tages von der WHO verwendet werden kann, um genauer zu klären, welche Quellen der Partikelverschmutzung gesundheitsschädlich sind», sagt Chen.
Editiert von Sabrina Weiss. Übertragung aus dem Englischen von Benjamin von Wyl.
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