AHV: Mit vollen Segeln ins Finanzloch
Dem Schweizer Rentensystem droht bereits 2011 der Kollaps. Der Grund: Die Invaliden-Versicherung (IV) gerät immer tiefer in die roten Zahlen.
Nachdem die Politik dem Sozialwerk einen Anteil aus dem Verkauf der überschüssigen Goldreserven der Nationalbank versagt hatten, kommen die Renten unter Druck.
«Wenn nichts geschieht, müssen wir spätestens im Jahr 2011 mit Liquiditäts-Problemen und Zahlungs-Schwierigkeiten im AHV-System rechnen», sagte Yves Rossier, Direktor des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) letzthin in der «SonntagsZeitung».
Das Schweizer Renten-System der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) deckt den Existenzbedarf bei Pensionierung oder dem Tod des Ehepartners, der oder die eine Familie ernährt.
Sie wird mit Beiträgen der Arbeitgeber und der Versicherten sowie von Bund und Kantonen finanziert. Derzeit beträgt der Beitragssatz 8,4% des Lohnes. Er wird je zur Hälfte vom Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden monatlich einbezahlt.
Demografische Veränderung
Immer wieder ist die AHV in letzter Zeit unter Druck gekommen. Das Problem: Mehr Alte, weniger Junge; steigende Lebenserwartung und weniger Geburten. Das heisst, dass immer weniger Beitragszahlende immer mehr Renten mitfinanzieren müssen.
Einen Ausweg aus dem Dilemma hatten sich der Bund und eine Mehrheit des Parlaments durch die 11. AHV-Revision erhofft. Sie hätte Einsparungen von rund 925 Mio. Fr. vorgesehen.
Daneben sah eine zweite Vorlage die Anhebung der Mehrwertsteuer (MWSt) zu Gunsten von AHV (+1%) und Invalidenversicherung (IV, +0,8%) vor. Mit diesen Massnahmen hätte die Finanzierung der beiden Sozialwerke mittelfristig gesichert werden sollen.
Mögliche Geldquellen verstopft
Zwar war weitgehend unbestritten, dass eine Anhebung der MWSt zu Gunsten der IV nötig ist. Weil diese jedoch in der Vorlage an das zusätzliche AHV-Prozent gekoppelt war, sagte das Stimmvolk am 16. Mai 2004 Nein zu dieser Vorlage.
Schiffbruch erlitt gleichentags auch die 11. AHV-Revision. Dies wohl hauptsächlich wegen der geplanten Angleichung des Rentenalters für Frauen auf 65. Auch die von Sozialminister Pascal Couchepin losgetretene öffentliche Debatte um ein Rentenalter 67 hatte wohl zusätzlich für Nein-Stimmen gesorgt.
Ein weiterer möglicher «Rettungsring» für das Sozialwerk AHV ist im letzten Dezember davongeschwommen. Dies, nachdem sich das Parlament gegen die Auszahlung eines Teils des Erlöses aus den überschüssigen Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank (SNB) an die AHV entschieden hat.
Linke und rechte Parteien hatten gehofft, dass bis zu zwei Drittel der Erträge aus dem Verkauf des Goldes in die AHV fliessen könnten. Im März wird dieser Verkauf abgeschlossen sein, was rund 21 Mrd. Franken Einnahmen ergeben wird, sagte Werner Abegg von der SNB auf Anfrage.
Massnahmen bei IV gefordert
Der Hauptgrund für die Finanzprobleme der AHV ist neben der zunehmenden Überalterung der Schweiz die Überschuldung der Invalidenversicherung (IV), die aus dem gleichen Topf wie die AHV gespeist wird.
Gegenwärtig beläuft sich der IV-Fehlbetrag auf rund 6 Mrd. Franken. Ohne Massnahmen werden es bis 2010 um die 20 Mrd. sein. Die Zahl der Invaliden hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. 1990 waren es drei von 100 Personen, heute sind es bereits deren fünf.
Die Hoffnungen liegen nun auf der 5. IV-Revision, die vorschlägt, wo die Sparschraube bei der IV angesetzt werden soll. Das Motto heisst «Arbeit statt Rente» und sieht strengere Kriterien für eine Aufnahme in die IV und eine bessere Eingliederung von Invaliden in die Arbeitswelt vor.
Die Vorschläge des Bundesrats sind in der Vernehmlassung (Konsultations-Verfahren) auf breite Zustimmung gestossen. Laut Couchepin müssen aber die Sparmassnahmen von zusätzlichen Einnahmen begleitet werden. Damit stehen die zusätzlichen 0,8% MWSt wieder zur Debatte.
IV-Sanierung reicht nicht
Doch diese Massnahmen allein genügen nicht, die Zukunft der AHV zu sichern. Laut Rossier muss eine neue AHV-Revision bis spätestens 2010 in Kraft sein. Wie diese allerdings aussehen wird, müsse die Politik entscheiden.
Für Kontroversen ist damit in den nächsten Jahren weiterhin gesorgt, werden sich doch links und rechts wohl hauptsächlich um das Rentenalter streiten. Und auch das Gold könnte möglicherweise wieder ins Spiel kommen.
swissinfo, Christian Raaflaub
IV-Bezüger 1990: 3%
IV-Bezüger 2003: 5%
Schulden IV: 6 Mrd. Fr.
Das Schweizer Renten-System (AHV) kommt spätestens 2011 in einen finanziellen Engpass. Der Hauptgrund: Zunehmende Überschuldung der Invaliden-Versicherung (IV).
Die 5. Revision der IV könnte hier aufschiebende Wirkung haben. Sie setzt auf «Arbeit statt Rente», mit strengeren Kriterien für eine Aufnahme in die IV und besserer Eingliederung in die Arbeitswelt.
Doch dies genügt nicht: Auch die AHV muss mit zusätzlichen Massnahmen auf gesunde Beine gestellt werden. Zur Diskussion steht erneut das Rentenalter.
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