Auslandschweizer: Weniger Auswanderer, mehr «Expats»
Seit Anfang 70er Jahre hat sich die Anzahl der Auslandschweizer auf momentan über 600'000 verdoppelt. 15'000 davon leben in Argentinien.
Das Leben dieser «Expats» unterscheidet sich dabei immer mehr von traditionellen Bild, das man sich in der Schweiz selber von ihnen macht.
Das gängige Bild des Auslandschweizers ist immer noch das des Auswanderers, der aus wirtschaftlichem Frust die Enge seiner Alpenheimat verlässt. Dieses Bild ist «von kontroversen Vorstellungen, aber wenig Wissen» geprägt, wie es Claude Longchamp am Freitag vor dem Auslandschweizer-Rat formulierte.
Eine Online-Befragung des GfS-Forschungsinstituts diesen Juni zum Verhalten der stimmberechtigen Auslandschweizer versucht etwas mehr Klarheit in dieses Klischee-Bild des Inlands über die Fünfte Schweiz zu bringen.
Longchamp wies auch darauf hin, dass die gegenwärtige politische Vorstellung, die man sich hierzulande vom Auslandschweizer macht, nicht stimmt: «30% der im Ausland Stimmberechtigten sind gar nicht in der Heimat geboren», zitiert er aus den Resultaten der zusammen mit swissinfo erstellten Web-Umfrage.
Auch was den Wohnsitz betrifft, sei das gängige Bild zu revidieren: Viele der Stimmberechtigten leben phasenweise in der Schweiz, und dann wieder im Ausland.
Der Anteil jener, die aus wirtschaftlichem oder anderem Frust der Schweiz den Rücken kehren, ist verschwindend klein.
Neu: Vorbehalte im Inland
Der hauptsächliche Auswanderungsgrund ist privater, das heisst familiärer Natur, sagt Longchamp. Erst in zweiter Linie geht man aus beruflichen Gründen ins Ausland.
Longchamp macht auch gewisse Vorbehalte gegenüber den Auslandschweizern aus: «Die können schon für die EU sein», lauten gängige Sprüche im Inland, «die zahlen ja keine Steuern».
Dazu zählt auch das Reizthema Doppelbürgerrecht. Zwei Drittel aller 600’000 Auslandschweizer sind Doppelbürger, deren «Swissness» innenpolitisch nie gross zu Reden gab.
Im ausländerpolitischen Kontext hingegen werden nun im Inland neuerdings gerade Doppelbürgerschaften wieder hinterfragt. Ein Thema, auf das Auslandschweizer besonders gereizt reagieren.
«Sonderfall Argentinien» als Notfall
Weltweit die grösste Doppelbürger-Quote bei Auslandschweizern hält ausgerechnet Argentinien, das wirtschaftlich seit Jahren in einer Krise sondergleichen steckt.
Argentiniens 15’000 Schweizer sind zu über 90% Doppelbürger, machen weltweit die neuntgrösste und in Südamerika die grösste «Auslandschweizer-Kolonie» aus. Und ihnen geht es besonders schlecht.
Argentinien riskiere den Absturz von Industrieland-Niveau auf Naturalwirtschaft, sagt Rudolf Wyder, Direktor der Auslandschweizer-Organisation (ASO), der das Land kürzlich bereiste.
Der Anteil der über 65-jährigen liegt mit 21,5% in Argentinien deutlichen über dem weltweiten Durchschnitt von 15,5%. 2002 waren rund 3200 Personen der AHV/IV-Beitragspflicht unterstellt. Ende März 2003 waren die Hälfte der Versicherten mit ihren Zahlungen im Rückstand.
Falsche Anreize
Wyder macht auch falsche Anreize in der Auslandschweizer-Fürsorge aus: Die Sozialhilfe an die Argentinien-Schweizer sollte im Land selber und nicht in der Schweiz geleistet werden.
Denn die Schweizer Administration geht davon aus, dass bei Doppelbürgern das Erstland die Unterstützung übernimmt – was im Fall von Argentinien nicht der Fall ist.
Wyder fordert deshalb, dass die geschuldeten Sozialversicherungsbeträge gestundet und alternative Rentenversicherungen angeboten werden, der Zahlungsverkehr zu erleichtern sei und die Auslandschweizer-Fürsorge ihre Praxis ändert.
Dabei sollte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten die Federführung übernehmen.
swissinfo, Alexander Künzle aus Crans-Montana
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