Deutschland – Schweiz: Ständiger Wettkampf
Gütermärkte würden in Deutschland flexibler gehandhabt als in der Schweiz. Umgekehrt sei der Arbeitsmarkt in der Schweiz beweglicher, sagte Wirtschaftsministerin Doris Leuthard am Europa Forum in Luzern.
Der Wettbewerb der beiden Nachbarn im europäischen Bezug stand im Mittelpunkt der Debatten.
«Deutschland und die Schweiz als Nachbarn im Licht der Integration Europas» – zu diesem Thema diskutierten am 11. Europa Forum im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) Persönlichkeiten aus der deutschen und schweizerischen Politik und Wirtschaft.
An der Veranstaltung, die von rund tausend Personen besucht wurde, nahm auch die Schweizer Wirtschaftsministerin Doris Leuthard teil.
Sie erklärte am Montag, dass sie die hohen Preise in der Schweiz senken und die wieder fit gewordene Wirtschaft weiter verbessern will.
Die Bundesrätin stellte das Verhältnis zum EU-Land Deutschland in das Gesamtbild der Schweizer Doppelstrategie in Sachen Aussenwirtschaft. Diese zielt einerseits in Richtung Europa, und andererseits zur Weltwirtschaft.
Osthilfe-Milliarde im grösseren Zusammenhang
«Rund 200 Mrd. Franken haben Schweizer Unternehmen bereits in der EU investiert», sagte Leuthard, die noch einmal für das bilaterale Vertragssystem, sprich Osthilfegesetz, warb, über das am 26. November abgestimmt wird.
«Die Schweizer Exporte allein in die Ostländer wuchsen in den letzten zehn Jahren um jährlich 10%», so die Bundesrätin, «womit wir 2005 einen Handelsbilanzüberschuss von 1,4 Mrd. Franken erreichten».
Im Zusammenhang mit diesen Grössen- und Wachstumsordnungen müsse auch die so genannte Kohäsions-Milliarde gesehen werden, um die beim Osthilfegesetz gestritten wird.
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Bilaterale Abkommen
Deutschland – Schweiz: Ähnliche Binnenprobleme
Auf der Veranstaltung ging es auch um die Effizienz-Vergleiche zwischen den deutschen und schweizerischen Märkten.
Thomas Straubhaar, ein in Deutschland lebender Schweizer Volkswirtschaftler, hob die in beiden Ländern ähnlichen Unterschiede zwischen ihrer jeweiligen Export- und Binnenwirtschaft hervor.
«In beiden Ländern sind die Binnenwirtschaften weniger fit als die Exportsektoren», sagte der Professor.
Den Grund dieses Gefälles sieht Straubhaar in der stärkeren Kartellisierung der Binnenmärkte. So kennen beide Länder in ihren Binnenwirtschaften so genannte heilige Kühe, die preistreibend wirken.
Versteckte Steuern am Beispiel Schweizer Post
In der Schweiz sei dies zum Beispiel der Service public, wie man am aktuellen Beispiel der Ausgestaltung der Post-Dienste sehe – «sein Lieblingsbeispiel», meinte Straubhaar provokativ.
Er zielte bewusst auf dieses mometan aktuelle Thema. «Die starke Deregulierung der deutschen Post hat zur Folge, dass sie mittlerweile weltweit der grösste Logistikplayer geworden ist.» Mit Ambitionen für den Eintritt in den Schweizer Markt.
Damit nehme sie beschäftigungsmässige Chancen wahr, während sich die Schweiz mit ihrer spezifischen Service-public-Sichtweise solchen Möglichkeiten verschliesse.
«Wir in der Schweiz zahlen an vielen versteckten Orten Steuern und merken es gar nicht», behauptete der Professor.
Hohe Preise oder hohe Kosten?
Straubhaar stellte die Schweizer Post als Beispiel dar für die stark kartellisierten, unflexiblen Gütermärkte im Binnenbereich der Schweiz. In Deutschland mangle es dagegen im Arbeitsmarkt an Beweglichkeit, ging er mit der Bundesrätin einig.
«Jedoch frisst in der Schweiz der nicht deregulierte Binnenmarkt die Vorteile des flexiblen Arbeitsmarkts wieder weg, indem er die Preise hoch hält», so Staubhaar. Die Folge: Hohe Löhne, doch damit verglichen tiefe Kaufkraft.
Post als politische Entscheidung
In dieser Debatte mit Wirtschaftsexperten brachte sich auch Doris Leuthard aus dem Publikum per Mikrofon ein. Sie verwahrte sich gegen Straubhaars Service-public-Kritik: Das töne ja so, als ob die Post ein hoch subventioniertes, reines Beschäftigungsprogramm sei.
Dabei «vermochte die Post Millionengewinne zu machen in den letzten Jahren», stellte Leuthard fest. Die Dichte des Poststellennetzes jedoch sei eine politische Entscheidung, nicht eine wirtschaftliche.
«Mein Ziel als Wirtschaftsministerin ist es, für die Beschäftigung möglichst vieler Leute zu sorgen.» Wenn Menschen nicht beschäftigt seien, würden sie krank.
«Den sozialen Frieden – sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland – haben wir nur, wenn das System auf einem Geben und einem Nehmen beruht. Sonst stimmt es nicht», sagte Leuthard.
swissinfo, Alexander Künzle, Luzern
Indikatoren Schweiz – Deutschland:
160’000 Deutsche leben und arbeiten in der Schweiz
Über 3,5 Mio. deutsche Touristen besuchten im 1. Halbjahr 2006 die Schweiz
Die Schweiz importierte im 1. Halbjahr 2006 für 26,5 Mrd. Fr. aus Deutschland,
und exportierte 17,1 Mrd. Fr. nach Deutschland.
Schweiz – EU:
Rund 900’000 EU-Bürger leben in der Schweiz, rund 400’000 Schweizer leben in EU-Ländern.
Die Schweiz hat rund 200 Mrd. Franken in den EU-Ländern investiert.
Die 11. Ausgabe des Europa Forums, das Dienstag Abend endete, stand unter dem Titel «Grenzen überwinden – Wirtschaft und Politik im Dialog: Die Schweiz und Deutschland als Nachbarn».
Das Europa Forum in Luzern sieht sich, ähnlich wie das Davoser WEF, als ein grosses regelmässiges Treffen, das Wirtschaft und Politik zusammenbringt.
Zu den Programm-Höhepunkten gehörte, bei freiem Eintritt, die öffentliche Veranstaltung im KKL-Konzertsaal mit Bundesrätin Doris Leuthard, und einem Panelgespräch zum Thema Deutschland-Schweiz.
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