Die Schweiz hat durch die UNO an Profil gewonnen
Am 10. September 2002 wurde vor dem UNO-Hauptsitz in New York die Schweizer Fahne gehisst. Dieser Akt symbolisierte den Beitritt der Schweiz zur Weltorganisation.
Er war ein historischer Schritt aus der selbstgewählten Isolation. Was hat sich in den fünf Jahren seither getan? Eine Bilanz.
Hat sich der Abschied vom Sonderfall gelohnt? Wer sich am Hauptsitz der UNO umhört, kommt zu diesem Schluss. Der Schweiz sei es gelungen, sich Respekt zu verschaffen, sie habe innovative Ideen und arbeite hartnäckig. So lassen sich viele Kommentare zusammenfassen.
Die aussenpolitische Öffnung des Landes hat sich gelohnt, die Schweiz wird auf dem internationalen Parkett vermehrt wahrgenommen. Diese Ansicht teilen der Schweizer UNO-Botschafter in New York, Peter Maurer, und der Schweizer Strategie-Experte Albert Stahel. In Details treten Unterschiede zu Tage.
Nationale Identität gestärkt
«Unser Profil ist gewachsen. Durch unser UNO-Engagement können wir Schweizer Kultur, Tradition und Politik auf internationaler Ebene einbringen; die nationale Identität wird dadurch gestärkt», sagt Peter Maurer gegenüber swissinfo. Und weist damit auch Vorwürfe zurück, die Mitgliedschaft trage zum Verlust dieser Identität bei.
«Wir werden aussenpolitisch stärker wahrgenommen. Unsere militärische Neutralitätspolitik wird durch die Mitgliedschaft nicht bedroht, auch wenn sie nicht immer verstanden wird», so der Botschafter.
Der Beitritt öffnete der Schweiz neue Perspektiven, den Zugang zu neuen Netzwerken und Allianzen. «Der Beitritt hat sich sicher gelohnt. Das Land kommt an viel mehr Informationen, und das ist wichtig», erklärt Albert Stahel, der Leiter des Instituts für Strategische Studien der Universität Zürich.
Die Schweiz sei heute besser situiert als zuvor, ihre Stärken einzubringen. «Allerdings blieb die Einflussnahme meiner Ansicht nach insgesamt eher bescheiden,» sagt Stahel.
Konzentration auf wenige Schwerpunkte
Er würde der Regierung ans Herz legen, die bisher verfolgte Strategie etwas zu straffen. «Ich vermisse manchmal etwas die Konsequenz, hart an einem Thema zu bleiben.»
Von Fragen wie dem Nahen Osten, meint Stahel, sollte man lieber die Finger lassen.
«Konzentrieren wir uns auf Themen, bei denen wir aufgrund unserer Traditionen – Suche nach Konsens oder Kompromiss, Neutralität – etwas zu sagen haben: Menschenrechte, Völkerrecht, humanitäre Fragen in erster Linie.»
«Ich finde, die Schweiz muss verschiedene Themen aufgreifen, zu unterschiedlichen Fragen Stellung beziehen», sagt Peter Maurer. Auch wenn er den Ruf nach Prioritätensetzung verstehe.
Die Schweiz sei ein vielfältiges Land, in dem unterschiedlichste Interessen artikuliert würden. Das gleiche Bild zeige sich nun auch auf internationaler Ebene.
Handlungsbedarf
«Ich denke, unser Leistungsausweis sieht ganz vernünftig aus: Wir werden heute vermehrt wahrgenommen, nicht nur klischeehaft, wir haben politische Prozesse mitlanciert, Expertenberichte erstellt, Ideen neue für Instrumente entwickeln oder anstossen können.»
Peter Maurer sieht durchaus auch noch Handlungsbedarf für die Schweiz selber: «So liegen wir etwa beim Engagement für Entwicklung nach wie vor nur im Mittelfeld.»
«Den Sicherheitsrat zu reformieren, hier Einfluss ausüben zu können, ist systemimmanent schwierig», legt Stahel den Finger auf einen wunden Punkt. Was die Initiativen der Schweiz, etwa zu den Arbeitsmethoden des Sicherheitsrates angeht, sei er «einfach etwas skeptisch».
Die Schweiz müsse sich neben Themen wie Menschenrechten oder nachhaltiger Entwicklung auch mit Fragen wie der Reform der Institution befassen, sagt Peter Maurer.
Demokratiedefizite, mangelnde Transparenz oder schwerfällige Bürokratie sorgten in der Schweizer Öffentlichkeit für Unbehagen. «Wir müssen dies ernst nehmen und versuchen, konstruktive Lösungsansätze einzubringen.»
Für eine umfassende Reform des Sicherheitsrates fehlte allerdings bisher der politische Wille; das Projekt stockt.
swissinfo, Rita Emch in New York
1945: Gründungsakt der Vereinten Nationen in San Francisco.
1946: Völkerbund wird aufgelöst; Völkerbunds-Palast in Genf wird Europasitz der UNO.
1986: Das Stimmvolk verwirft den UNO-Beitritt mit grosser Mehrheit (75%). Auch alle Kantone sagen Nein.
1998: Neue Beitritts-Initiative lanciert.
2002, 3. März: Volk und Stände sagen (knapp) ja zum UNO-Beitritt.
10. September: Die Schweiz wird als 190. Mitglied aufgenommen; seither weht am Hauptsitz am East River in New York auch die Schweizer Fahne.
Entwicklungen, zu denen die Schweiz beigetragen hat:
Menschenrechts- und Völkerrechts-Fragen, zivile Friedens-Bemühungen (Kommission für Friedens-Konsolidierung), Sport für Frieden und Entwicklung, Kleinwaffen, Fragen zur Management-Reform, Mediations-Einheit und Einheit für Rechtsstaatlichkeit, Nutzung von «Groups of Friends» (Konflikt-Prävention), Katastrophen-Prävention, Klima- und andere Umwelt-Fragen, UNO als Partnerschaft verschiedener Interessengruppen statt nur als intergouvernementales Forum.
Handlungsbedarf:
Engagement für Entwicklung (Schweiz nur im Mittelfeld), Einsatz neuer Finanzierungs-Instrumente, Formationen für Friedensmissionen, Handels-Politik (Fragen wie Protektionismus, Patentschutz, Technologie-Transfer), Finanzplatz Schweiz
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