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Einmal Extremist, immer Extremist

Nationalfonds: Der Pädagoge Wassilis Kassis untersuchte den Ausstieg bei Rechtsextremen. Universität Basel

Mitglieder rechtsextremer Gruppen werden dieser zwar mit der Zeit überdrüssig. Von der ideologischen Überzeugung lösen sie sich meist nie ganz.

Die Gesellschaft hingegen verliert die jungen Leute aus den Augen, sobald diese nicht mehr gewalttätig sind, sagt Pädagoge und Autor Wassilis Kassis.

«Ihre Bomberjacken und Kampfstiefel schliessen sie zwar in den Schrank, aber wegwerfen tun sie diese nur sehr selten», so Wassilis Kassis.

Mit diesem Bild erläutert der Mit-Autor eines Forschungsprojekts über Rechtsextremismus der Uni Basel die beunruhigenden Erkenntnisse seiner Studie, welche die Gründe für einen Ausstieg aus rechtsextremen Gruppen untersucht hat.

swissinfo: Was bewegt Jugendliche, eine rechtsextreme Gruppe zu verlassen?

Wassilis Kassis: Meine Kollegen haben 6 Faktoren festgestellt, die eine Distanznahme begünstigen. Aber nur ein einziger Faktor kann zu einer Änderung der Einstellung gegenüber der Gesellschaft führen.

Die andern 5 haben mit Müdigkeit, Überdruss, «burn out» zu tun, oder sind eine Folge der Starrheit, Monotonie und schwachen Wirkung dieser Gruppen.

swissinfo: Diese Jugendlichen lösen sich zwar von der Gruppe, aber ihre Überzeugung ändern sie nicht?

W.K: Bei den meisten ist es so. Es ist sehr erstaunlich – erschreckend auch – zu vernehmen, dass sie dies sogar ohne Gruppendruck tun.

Die Gesellschaft fordert, dass die Jugendlichen auf Gewalt verzichten und die aufgesetzten, einschlägigen Symbole auf ihren Jacken entfernen. Aber dass sie ihren Idealen treu bleiben, scheint niemand zu stören – weder die Schule, Nachbarn, noch Angehörige.

swissinfo: Wie drücken sie ihre Ideen aus?

W.K: Sie machen rassistische, ethnozentrische Aussagen. Sie loben eine angebliche Überlegenheit der Schweiz, akzeptieren Gewalt gegen Asylsuchende. Sie tragen auch einen extremen Sexismus zur Schau.

swissinfo: Der Rechtsextreme wechselt also nur seinen «Look» aus?

W.K: Ja, das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Studie: Der klassische Rechtsextreme, mit Bomberjacke, Kampfstiefel und Glatze, ist bei weitem nicht der einzige.

Wir stellen nicht nur eine Verjüngung, sondern auch eine Differenzierung der «Szene» fest. Das Spektrum ist sehr breit geworden.

swissinfo: Ihre Studie beschränkt sich auf Rechtsextreme zwischen 14 und 34 Jahren. Gibt es keine «alten» Rechtsextremisten?

W.K: Doch, natürlich. Aber unser Auftrag beschränkte sich darauf, junge Leute zu befragen. Der Entscheid, aus rechtsextremen Gruppen auszusteigen, ist nicht ein Reifeprozess oder ans Alter gebunden. Es ist nicht wie mit dem reifem Obst, das irgendwann von selbst vom Baum fällt.

Der Ausstieg aus einer dieser Gruppen ist ein qualitativer Prozess. Es braucht einen äusseren Druck, einen inneren Willen und Unterstützung aus der Umgebung der Betroffenen. Ohne dies geht es nicht.

swissinfo: Und diesen Druck gibt es nicht? Müssen diese Leute beispielsweise nicht um ihren Job fürchten, wenn sie rassistische Sprüche machen?

W.K: Im Gegenteil, es ist erschreckend festzustellen, wie normal man mit solchen Einstellungen leben kann. Ohne Bomberjacke und Glatze sind rechtsextreme Positionen weder ein Hindernis im Alltag noch in der Berufskarriere.

Die Jugendlichen haben ausserdem den Eindruck, dass sie laut sagen, was andere nur denken. Nämlich diejenigen zu sein, die den Mut dazu haben …

swissinfo: Muss man daraus schliessen, dass die extreme Rechte eine Gesellschafts-Komponente ist?

W.K: Unbedingt. Und das Problem lässt sich nicht allein auf den Rechtsextremismus abwälzen. Es hat auch damit zu tun, wie wir alle mit den «andern» umgehen.

Unsere Gesellschaft basiert weitgehend auf der Existenz einer wohl etablierten Gruppe mit ausgeprägtem «Wir-Gefühl». «Wir» gegen die «andern». Alle Gedanken des Dominierens, die sich als Träger spezifischer Werte verstehen, sind geeignete Instrumente, um zwischen «wir» und den «andern» zu unterscheiden.

swissinfo: Das Phänomen ist nicht neu?

W.K: Rechtsextreme Strukturen halten sich seit mindestens 1927 in unserem Gesellschaftssystem. Meines Erachtens tritt hier weder eine neue noch eine verstärkte Barbarei in Erscheinung.

Andererseits muss man feststellen, dass sich gewisse Politiker dieses Gedankenreservoir zunutze machen, um daraus neue Wähler zu fischen.

swissinfo: Ein Spiel mit dem Feuer?

W.K: Sie spielen nicht nur mit dem Feuer, sie zünden es selber an und giessen noch Öl hinzu.

Interview swissinfo: Ariane Gigon Bormann, Basel
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Laut dem eidgenössischen Rechtsextremismus-Bericht von 2004 gibt es in der Schweiz rund 1000 militante und 800 sympathisierende Rechtsextreme.
Die Basler Studie wurde im Rahmen des Nationalfonds-Projekts NFP40+ über den Rechtsextremismus durchgeführt.
Die Forscher der Uni Basel haben über 3 Jahre hinweg 40 Personen zwischen 14 und 35 Jahren begleitet, die rechtsextremen Gruppen angehören, davon 5 Frauen.
Von 25 Personen, welche die Szene verlassen haben, haben sich nur 10 auch von der Philosophie verabschiedet.

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