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«Es sind ganz normale Jugendliche»

Der Schwarze Block im Anmarsch: "Die Aufstachelung der Jugendlichen kommt der SVP zu Gute", so Imhof. Keystone

Die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen habe nicht zugenommen, sagt der Soziologe Kurt Imhof. Randalieren sei ein Übergangssphänomen.

Feindbild des so genannten Schwarzen Blocks seien die Rechtsradikalen und die SVP, die die Jugendlichen in einem ideologischen Verbund mit nationalsozialistischen Gruppierungen sehen.

Nachdem letzten Samstag die friedliche SVP-Gegenkundkebung in der Berner Altstadt – an der mehrere tausend Personen teilnahmen – mit Ausschreitungen endete, ist einmal mehr vom so genannten Schwarzen Block die Rede.

Wer sind die vermummten Jugendlichen, die alles kurz und klein schlagen, was ihnen in die Quere kommt?

swissinfo: Verfolgen die gewaltbereiten Demonstranten eine bestimmte Ideologie?

Kurt Imhof: Die ideologische Basis ist sehr dünn. Sie gründet auf einem spezifischen Verständnis fundamentaler Kritik, die ihre Spuren in einem kaum verstandenen Marxismus hat. Dieser stellt ein Sinnstiftungssystem für die Jugendlichen dar: Bei Randalen können sie diese Gesinnung des radikal-marxistischen Denkens in konkrete Aktionen umsetzen. Die Jugendlichen haben dabei das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.

Jugendliche zwischen 17 und 25 sind besonders anfällig für religiöse oder politische Sinnstiftung. Dieses Phänomen ist so alt wie die Moderne.

swissinfo: Wer sind diese Jugendlichen?

K.I.: Wir haben es hier mit einer ziemlich gemischten Gruppe zu tun. Mit Lehrlingen, Gymnasiasten, Studierenden und Secondos.

Es sind ganz normale Jugendliche. Junge Männer, die ihrer Mutter auch mal eine Blume nach Hause bringen. Sie führen ein Doppelleben – so wie dies in diesem Alter die meisten tun.

swissinfo: Sollten Studierende nicht eine bessere politische Kenntnis vorweisen?

K.I.: Das politische Verständnis ist generell – auch bei den Jugendlichen, die sich als sehr politsich empfinden – sehr klein. Das hat massgeblich auch mit einem Qualitätsverlust der Staatsbürgerkunde und des Geschichtsunterrichts in den Schulen zu tun.

Seit der zweiten Hälfte der 90er-Jahre befinden wir uns in einer Phase, in der die Jugendlichen kaum politisiert sind. Sie lassen sich nur durch sehr radikale Polarisierungen überhaupt für Politik interessieren. Insbesondere dann, wenn diese noch mit einem Hauch von Abenteuer einer Randale verbunden ist.

swissinfo: Welchen Einfluss hat die Schweizerische Volkspartei (SVP), die ja sehr stark polarisiert, auf die gewaltbereiten Jugendlichen?

K.I.: Die extreme Polarisierung und die Zuspitzung des Wahlkampfs der SVP auf die Problematisierung des Fremden entspricht exakt dem Weltbild dieser Jugendlichen.

In diesem Weltbild ist das, was die politische Elite in der Schweiz zurzeit spielt, ein Beweis dafür, dass sich die Schweiz in ein fremdenfeindliches, unterdrückendes Land verwandelt.

Es bestätigt ihr Bild von der Schweiz als Finanzplatz, die Flucht- und Potentatengelder, aber keine Flüchtlinge aufnimmt.

swissinfo: Die SVP erntet also, was sie gesät hat.

K.I.: Ja, aber nicht im negativen Sinn. Denn die SVP will das ernten, was sie gesät hat. Die Aufstachelung der Jugendlichen bei der Manifestation in Bern kommt der SVP zu Gute.

Weil die Jugendlichen sehr berechenbar sind, kann man mit ihnen Politik machen. Und das hat wunderbar geklappt. Nun kämpfen alle für die Meinungsfreiheit der SVP. Und die SVP steht einmal mehr im Zentrum des Geschehens.

swissinfo: Hat die SVP die linksradikalen Jugendlichen instrumentalisiert?

K.I.: Instrumentalisiert ist ein hartes Wort. Doch die SVP hat damit gerechnet, dass diese Randale passiert und die SVP-Manifestation behindert wird. Sie hat damit gerechnet, dass dabei eine grosse Medienaufmerksamkeit entsteht und die Partei in Hinblick auf die Wahlen davon profitieren kann.

swissinfo: Waren die Gewalttätigkeiten in Bern auch ein Wutausbruch darüber, dass die anderen Parteien bislang hilflos auf die Kampagnen von Bundesrat Blocher und seiner SVP reagierten?

K.I.: Das ist klar, diese Jugendlichen nehmen die anderen Parteien kaum noch ernst. Sie fühlen sich durch sie vielmehr in ihrem Selbstwertgefühl bestärkt.

Ihr Feindbild ist die SVP und die rechtsradikalen Gruppierungen. Sie sehen die SVP in einem ideologischen Verbund mit den rechtsradikalen nationalsozialistischen Gruppierungen. Und diese haben sich in den Umzug der SVP gemischt.

swissinfo: Man hört immer wieder, die Jugendlichen seien heute gewaltbereiter als früher.

K.I.: Da wird jetzt übertrieben. Das ist auch verständlich, denn insbesondere die Polizei steht selbst unter Beschuss.

Wir haben es heute mit einer hohen ritualisierten Gewaltbereitschaft rechts- und linksradikaler Jugendlicher zu tun. Doch wenn man die jugendliche Gewaltbereitschaft historisch vergleicht, ist keine prinzipielle Steigerung der Gewalt festzustellen.

In den 30-Jahren ist eine hohe Gewaltbereitschaft rechtsradikaler Jugendlicher auszumachen. Auch die 68er-Jugend sowie die 80er-Jahre-Jugendbewegung gingen mit öffentlichen Einrichtungen alles andere als umsichtig um.

swissinfo-Interview: Corinne Buchser

Kurt Imhof (1956) ist Ordinarius für Soziologie und Publizistikwissenschaft und Leiter des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich.

Imhof studierte Geschichte, Soziologie und Philosophie an der Universität Zürich. Seine Habilitation im Fach Soziologie trägt den Titel «Medienereignisse als Indikatoren sozialen Wandels. Ein Beitrag zu einer Phänomenologie der ‚öffentlichen Meinung'».

Der Schwarze Block ist ein internationales Phänomen. In Europa tritt er vor allem bei globalisierungskritischen Gegen-Demonstrationen (gegen G8-Gipfel, WEF) in Aktion.

Für Schlagzeilen sorgt immer wieder der Schwarze Block in Deutschland mit besonders gewalttätigen Aktionen und grossem Sachschaden.

Die Schweizer Bundespolizei geht von einem Mobilisierungspotenzial der linksextremen Szene in der Schweiz von rund 2000 Personen aus.

Dazu zählen auch die Mitglieder des Schwarzen Blocks, die anarchistisch-autonom und antifaschistisch ausgerichtet sind.

Der Schwarze Block ist keine Organisation, sondern eine anlassbezogene Aktionsplattform diverser Gruppierungen.

Die Mitglieder grenzen sich mit schwarzer Kleidung und Vermummung gegenüber anderen Kundgebungs-Teilnehmern ab.

Sie treten gegenüber Polizei und politischen Gegnern (Rechte) gewaltbereit auf.

Die Bundespolizei teilt den Schwarzen Block in vier Mitgliederkreise auf.

Erster Kreis: Steuerung durch rund 50 Exponenten («Harter Kern»).

Zweiter Kreis: lokale Kerngruppen mit ca. 100 Aktivisten.

Dritter Kreis: Das «Fussvolk»; rund 700 Militante mit nur noch teilweiser politischer Motivation.

Vierter Kreis: Die Mitläufer; mehrere hundert Personen, die primär ereignisorientiert, gewaltbereit, aber apolitisch sind.

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