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Im Zweifelsfall für die Forschung

Von der Forschung gefragt: Proben mit embryonalen Stammzellen. Keystone

Die Forschung an embryonalen Stammzellen soll in der Schweiz künftig erlaubt sein.

Die rund 1000 eingefrorenen Embryonen werden vorerst nicht vernichtet. So entschied die grosse Parlamentskammer.

Sie sind keine Personen, aber auch keine Sachen: Rund 1000 überzählige Embryonen lagern zur Zeit bei minus 196 Grad in den Gefriertanks der Schweizer Fortpflanzungs-Kliniken.

Diese so genannten «überzähligen» Embryonen sind Föten, die nach einer Befruchtung im Glas (In-vitro-Befruchtung) nicht eingepflanzt wurden. Sei es wegen Krankheit der Mutter oder aus anderen Gründen.

Die Lagerung neuer Embryonen ist seit 2001 nicht mehr erlaubt. Heute dürfen laut Fortpflanzungsmedizin-Gesetz (FMedG) nur noch befruchtete Eizellen eingefroren werden, die zudem höchstens 18 Stunden alt sind.

Doch während das geltende Gesetz fordert, diese «alt-gesetzlichen» Embryonen bis Ende 2003 zu vernichten, reklamiert die Wissenschaft eine Behinderung der Forschung. Denn sie bezeichnet die embryonalen Stammzellen als eigentliche «Alleskönner».

Hoffnung für unheilbar Kranke?

Auf der einen Seite steht die Hoffnung auf Therapie bisher unheilbarer Krankheiten. Auf der anderen Seite die ethische Frage um die Schutzwürdigkeit menschlicher Embryonen. Sollen «überzählige» Embryonen für die Stammzellen-Forschung benutzt werden dürfen oder nicht?

Der Nationalrat, die grosse Kammer, hat sich während zweier Sitzungen mit diesem brisanten Thema beschäftigt. Wie der Ständerat ist die Volkskammer der Meinung, dass die Gewinnung von Stammzellen unter restriktiven Bedingungen erlaubt sein soll.

Wann vernichten?

Uneinig ist man sich aber in der Frage der Vernichtung überzähliger Embryonen. Während die kleine Kammer gefordert hatte, diese bis Ende Jahr zu vernichten, hat der Nationalrat anscheinend die Rufe der Forschung erhört und eine Frist bis Ende 2005 gesetzt.

Zu Forschungszwecken dürfen die Embryonen mit schriftlicher Einwilligung des betroffenen Paares bis Ende 2008 aufbewahrt werden. Dazu bedarf es zusätzlich einer Bewilligung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).

Stammzellenforschungs-Gesetz verabschiedet

Wie der Ständerat machte der Nationalrat aus dem bundesrätlichen Embryonenforschungs-Gesetz ein Stammzellenforschungs-Gesetz. Die Forschung am Embryo wird später in einem anderen Gesetz geregelt.

Auch der Nationalrat legte im Gegensatz zum Bundesrat fest, dass einem Embryo Stammzellen nur bis zum 7. statt bis zum 14. Tag entnommen werden dürfen. Die Erzeugung von Embryos zu Forschungszwecken sowie der Handel mit Embryonen sollen verboten bleiben.

Subsidiaritäts-Prinzip

Das Gesetz besteht weiter auf dem Subsidiaritäts-Prinzip: So muss vor der Gewinnung embryonaler Stammzellen gewährleistet sein, dass im Inland nicht bereits geeignete Zellen vorhanden sind und dass gleichwertige Erkenntnisse nicht auf anderem Weg – etwa mittels adulter Stammzellen – erlangt werden können.

Der freisinnige Nationalrat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller hatte vor unnötigen Einschränkungen der Forschungsfreiheit und einem «Gefängnis für die Forschenden» gewarnt. Solche Barrieren dürften der Wissenschaft nicht auferlegt werden.

Konsumentenschützerin Simonetta Sommaruga von der sozialdemokratischen Partei nannte die Auflagen zumutbar und sprach von nötigen Leitlinien für die Forschenden. Dieser Meinung schloss sich – zusammen mit einer knappen Mehrheit – auch Bundespräsident Pascal Couchepin an.

Das Geschäft geht nun zum Ausräumen der Differenzen zurück in den Ständerat.

swissinfo, Christian Raaflaub

Stammzellen:

Embryonale Stammzellen (EZ) sind anders als die adulten Stammzellen von Kindern und Erwachsenen noch nicht spezialisiert.

Binnen weniger Wochen gehen aus den Stammzellen eines Embryos alle rund 200 verschiedenen Zelltypen des Menschen hervor.

Die Forschung möchte daher die EZ gerne zur Heilung schwerer Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer nutzen.

Entsprechende Versuche an Mäusen haben viel versprechende Resultate gezeigt.

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