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Jetzt amtlich: Lehrlingsausbildung rentiert

Bildungs-Nadelöhr: Nicht alle Schulabgänger haben eine Lehrstelle. Keystone

Zwei von drei "Stiften" schaffen in ihrem Betrieb mehr Wert, als ihre Ausbildung kostet. Das zeigt eine Studie über Kosten und Nutzen der Berufsbildung in der Schweiz.

Dennoch finden tausende Schulabgänger keine Lehrstelle. Hier will die Bildungsbehörde mit einer Ausbildung ansetzen, die sich gerade an schwächere Schüler richtet.

Wer Lehrlinge ausbildet, macht vorwärts. Dies ist das Fazit der zweiten Kosten-Nutzen-Studie, welche die Forschungsstelle für Bildungsökonomie der Universität Bern im Auftrag des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie (BBT) verfasst hat.

In Zahlen ausgedrückt: Im Schnitt bringt ein Lehrling in der Ausbildung seinem Lehrbetrieb einen produktiven Ertrag von knapp 30’000 Franken. Auf der Kostenseite schlagen Investitionen des Lehrbetriebs von 27’000 zu Buche.

Auf alle Lehrbetriebe hochgerechnet ergibt dieser Positivsaldo von 3000 Franken einen Gesamtnutzen von 485 Millionen Franken.

Unmittelbarer Nutzen

Für zwei Drittel der Lehrbetriebe zahlt sich der Stift oder die Stiftin schon während der Ausbildung aus.

Beim Rest stellt sich der Nutzen kurz- oder mittelfristig ein. Dann nämlich, wenn der Betrieb die Lehrlinge übernimmt und so Rekrutierungs- und Einarbeitungskosten spart.

Obwohl Unternehmer harte Rechner sein müssen, ist die Kunde vom «positiven Lehrlingssaldo» noch nicht in allen Schweizer Betrieben angekommen.

Laut BBT fehlen dieses Jahr 5000 Lehrstellen. Am meisten betroffen sind schwächere und ausländische Schulabgänger.

Kürzere Berufsausbildung gegen sozialen Zündstoff

Ziel der Berufsbildungspolitik des BBT ist es, möglichst viele Jugendliche möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt zu führen. Das Augenmerk gilt insbesondere der Quote der nachobligatorischen Abschlüsse (Sekundarstufe II).

Diese soll von heute 89% auf 95% im Jahr 2015 steigen. Gegenwärtig steht dem aber ein Engpass auf dem Lehrstellenmarkt entgegen.

Als «desaströs» bezeichnet Ralf Margreiter, Leiter des Ressorts Jugend im Kaufmännischen Verband Schweiz (KV) die aktuelle Situation. «Das ist eine soziale Zeitbombe. Wer etwas gegen Jugendgewalt und Ausgrenzung machen will, muss genau hier ansetzen.»

Das BBT tut dies, unter anderem mit der neuen zweijährigen Berufslehre mit eidgenössischem Berufsattest. «Sie richtet sich vor allem an schulisch schwächere Jugendliche», sagt BBT-Vizedirektor Serge Imboden gegenüber swissinfo.

Praktische Fähigkeiten gefragt

Weiteres Zielpublikum sind praktisch Begabte. Die verkürzte Berufsbildung ist laut Imboden dem eidgenössischen Fähigkeitsausweis gleichwertig, dem Diplom beim Abschluss einer drei- oder vierjährigen Berufslehre.

In der zweijährigen Berufslehre, die Jugendliche bereits in 14 Branchen absolvieren können, stehen die praktischen Fächer gegenüber den schulischen im Vordergrund.

Die neue Lehre entspricht laut Imboden auch einem Bedürfnis der Wirtschaft, denn in Unternehmen gebe es oft Arbeiten, die solche Jugendliche sehr gut ausführen könnten. Im kaufmännischen Bereich seien dies etwa das Kopieren oder Verfassen von Serienbriefen, illustriert der Vizedirektor.

Problemfälle früh erkennen

Angesichts auch der Tatsache, dass heute ein Fünftel aller Auszubildenden ihre Lehre abbricht, hält die Behörde ein Angebot von flankierenden Hilfestellungen bereit.

So eine Telefon-Hotline oder eine individuelle Begleitung. Damit sollen Problemen der Auszubildenden gelöst und die Lehrbetriebe entlastet werden.

Darüber hinaus beschreitet das BBT mit einem weiteren Instrument präventives Neuland: Im so genannten Case Management-Modell werden Problem-Schüler bereits in der siebten und achten Klasse ihrer obligatorischen Schulzeit erkannt und persönlich betreut.

Ziel der Spezialbetreuung: Die Schüler sollen stoffliche Lücken ausbügeln und motiviert an den Start ihrer Berufsausbildung gehen.

swissinfo, Renat Künzi

Die Schweiz ist weltweit anerkannt für ihr duales Berufsbildungssystem.

Darin werden Lehrlinge im Lehrbetrieb praktisch ausgebildet und besuchen gleichzeitig theoretischen Unterricht an einer Berufsfachschule.

Nach Abschluss der Berufslehre und einiger Praxis können Berufsleute ein Studium an einer Fachhochschule absolvieren.

Die Resultate beziehen sich auf die Lehrverhältnisse im Herbst 2004.

Sie stützen sich auf Angaben von rund 2400 ausbildenden und 1800 nicht ausbildenden Betrieben.

Im Vergleich mit der 1. Erhebung der Forschungsstelle für Bildungsökonomie der Universität Bern im Jahr 2000 stiegen die Investitionen der Betriebe für einen Lehrling um 900 Franken.

Gleichzeitig stieg die produktive Leistung pro Lehrverhältnis um 1600 Franken.

Unternehmen mit über 100 Mitarbeitern behalten ihre Lehrlinge eher als kleinere Betriebe.

In der Schweiz herrscht Lehrstellenmangel.

In diesem Jahr fehlen rund 5000 Ausbildungsplätze.

Die Jugendarbeitslosigkeit lag im Juli bei 3,4%. Damit ist sie deutlich über der allgemeinen Arbeitslosenquote von 2,6%.

Im Vergleich mit dem Ausland steht die Schweiz aber gut da.

Schlechte Chancen auf dem Lehrstellenmarkt haben vor allem Schulabgänger mit schlechten Zeugnissen und junge Ausländer.

Jedes Jahr schaffen 2000 bis 2500 Schulabgänger den Übergang in eine Ausbildung oder ins Erwerbsleben nicht.

Sie riskieren, auf Sozialleistungen angewiesen zu sein.

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