Magischer Alpenraum
Das Forum für Schweizer Geschichte Schwyz zeigt in der Ausstellung "Suisse Primitive" eine grosse Anzahl magischer Objekte.
Geister, Bann, Magie und Sagen erzählen von einem gewesenen magischen Weltbild, welches noch immer fasziniert.
Einzig die aufgeklärtesten der aufgeklärten Zeitgenossen glauben, dass zwischen Himmel und Erde bloss der Aktienkurs und die Ratio regiert. Der Rest liest, mal mehr mal weniger, Horoskope, schlägt Bögen um schwarze Katzen, lässt angelehnte Leitern links liegen, heiratet nicht an einem 13.
Viele spötteln und witzeln – und können doch nicht alles schlüssig erklären.
Warum denn in die Ferne schweifen?
Die Entzauberung der Welt und der Autoritätsschwund der christlichen Kirchen förderten in den letzten Jahren eine zunehmende Neugier für metaphysische Erscheinungen. Tarot legen, heilen mit Steinen, Feuerlaufen – die Palette des esoterischen Angebots ist riesig. Der aufgeklärte Mensch sucht (wieder) Antworten, Ruhe, Gleichgewicht.
Und reist in die Fremde, um dort Antworten zu finden. Indianischer Schamanismus oder fernöstlicher Buddhismus scheinen oftmals verlockender als die Rückbesinnung auf die eigenen kulturellen Wurzeln. Zu Unrecht, wie die Ausstellung in Schwyz eindrücklich vor Augen führt.
Geister im Alpenraum
Was wissen wir wirklich über die magische Vorstellungswelt der alten Schweiz, welche Traditionen und Spuren haben sich hier erhalten? Länger als anderswo hat die urtümliche, magisch-animistische Weltanschauung im Alpenraum überlebt.
Vermischt mit Christlichem sind besonders in der Innerschweiz verschiedene Elemente dieses archaischen Denkens und Handelns erhalten geblieben. Es galt die Mächte der Naturgewalten – Blitze und Donner, Steinschlag und Schneemassen, Schaden an Mensch und Vieh – zu bannen, Haus- und andere Geister in Schach zu halten. Es galt den Alpsegen zu erbitten, den ewigen Frieden zu finden.
Welt voller Überraschungen
«Es war der magische Aspekt der Nacht und eine Publikation zum Thema, die uns den Anstoss zur Ausstellung gab,» erklärt Dario Donati, Ethnologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums. «Ich als Zürcher war völlig überrascht von dieser magischen Welt. Ich kannte Mexiko, aber nicht die Innerschweiz.»
So geht es wohl noch einigen Besucherinnen und Besuchern. Zwischen grossformatigen Fotografien, welche nebelverhangene Berge, morgengerötete Firne und mondbeschienene Bäume in voller Blüte zeigen, liegen die rund 100 Objekte.
Sie gelangten mehrheitlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Sammlungen und Museen. Genaue Herkunftsbezeichnungen und exakte Datierungen sind oft unbekannt, und die meisten der gezeigten Gegenstände stammen aus dem 19. Jahrhundert.
Fresszettel, Karfreitags-Ei und böser Blick
Staunend nimmt man von den sogenannten Fresszetteln Kenntnis. Diese aus einem Bauernkalender stammenden Tagesheiligen wurden oftmals gegessen. Bei einem schmerzenden Zahn wurde zum Beispiel ein Bild mit der Appollonia, der Fürbitterin bei Zahnweh, verschluckt.
Oder das Karfreitags-Ei. Es hat den Status von etwas Geweihtem oder Sakramentalem und soll bei Gewittern vor Hagel, Feuer, Blitz und Krankheiten und Erdrutschen schützen.
Oder das Amulett, das gegen den bösen Blick schützt, der also keineswegs nur in südlichen Gefilden trifft. Jener böse Blick konnte von einer Hexe, einem Zauberer oder einfach von einem faszinierenden Menschen in die Welt geschleudert werden. Das Opfer wurde krank oder starb gar. Oft stand der böse Blick in Zusammenhang mit sozialen Spannungen und Neid.
Noch im Gebrauch
Einige wenige Gegenstände sind heute noch in Gebrauch oder können in der freien Landschaft bewundert werden. So findet sich das Medaillon des Heiligen Christophorus in zahlreichen Autos wieder. Als Schutzheiliger der Reisenden fährt er mit.
Der Betruf ist auch heute noch auf unzähligen Alpen zu hören. Mit der Folle (Holztrichter) wird der Betruf am richtigen Ort zur richtigen Zeit angewendet. Vorführen darf man ihn nicht.
Und das findige Auge sieht noch heute an manchem Stall allerlei Glücksbringer, Bannobjekte oder eine Öffnung in Kreuzform in der Stallwand, die verhindert, dass der Geist sein Unwesen im Stall treiben kann.
Die Ausstellung bietet noch so manches zum Entdecken an. Eine Reise in die Vergangenheit, die so weit weg gar nicht scheint. Eine Reise um sich einzulassen in eine Welt, die auch heute noch durchaus ihren Platz hat. Eine Reise in die Urschweiz.
Die gut besuchte Ausstellung gibt Ihren Machern recht. Schade ist einzig, dass ihr nicht mehr Platz eingeräumt wurde. Vielleicht könnte das Beten eines Rosenkranzes Abhilfe schaffen?
Brigitta Javurek
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