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Pilze sammeln schadet den Pilzen nicht

Eine Studie stellt die Schonzeit für Pilze in Frage. Keystone

Pilzvorschriften haben viel weniger Einfluss auf die Pilzwelt als bisher angenommen. Dies belegt eine Langzeitstudie in zwei Schweizer Pilzreservaten.

Andere Faktoren wie Wetter und Stickstoffeinträge aus der Luft spielen eine wesentlich stärkere Rolle, sagt die Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft.

Pilze sammeln ist in der Schweiz eine populäre Freizeitbeschäftigung. Laut Zivilgesetzbuch (ZGB) Art. 699 ist die «Aneignung wild wachsender Pilze im ortsüblichen Umfang jedermann gestattet».

In den meisten Kantonen gibt es jedoch seit rund 30 Jahren Sammelbeschränkungen. Haben die Verbote der Pilzwelt etwas gebracht? Nur wenig, lautet das Fazit der Forschungsanstalt WSL, welche die Auswirkungen des Sammelns auf die Pilze untersucht hat.

Pflücktechnik hat keinen Einfluss auf Pilzmenge

Im Pilzreservat La Chanéaz bei Payerne, Kanton Freiburg, hatten WSL-Wissenschafter 1975 auf Veranlassung des Bundesrates ein Forschungsprojekt gestartet, das bis 2003 dauerte und die Auswirkungen des Sammlerverhaltens auf die Pilzflora klären sollte.

Resultat: Ob nun die Pilze ausgedreht oder abgeschnitten wurden, ein Einfluss auf die Pilzmenge und Artenvielfalt in den Folgejahren konnte auf den Probeflächen nicht nachgewiesen werden.

Dort, wo jeweils alle Pilze gepflückt wurden, blieb die Menge der Fruchtkörper im Verlauf des 30-jährigen Versuchs gleich gross wie auf den nicht geernteten Vergleichsflächen. Auch bezüglich Artenvielfalt zeigte sich kein Unterschied.

Betreten des Waldbodens hat Folgen

Im La Chanéaz, einem typischen Mischwald, wurden die Folgen von Trittschäden auf das Pilzvorkommen untersucht. Dazu wurde eine Kolonie von Goldstieligen Pfifferlingen in zwei gleich grosse Teilflächen unterteilt: In der einen wurden Laufstege errichtet, um beim Pflücken keine Trittschäden zu verursachen. Auf der anderen wurde normal gepflückt. Nach einigen Jahren wurde die Behandlung vertauscht.

Resultat: Die Pfifferlinge reagierten sehr empfindlich auf das Betreten: Das Pilzvorkommen sank rasch auf null. Allerdings erholte sich die Pilzflora sehr schnell wieder nach Absetzen des Betretens.

Aufgrund dieser Beobachtungen wurde im zweiten, subalpinen Reservat Moosboden bei Plaffeien, ebenfalls Kanton Freiburg, eine neue Studie gestartet. Dabei prüften die Forscher, ob das mit dem Sammeln verbundene Betreten von Waldböden die Menge und Artenzahl der Pilze beeinträchtigt. 250 Pilzarten wurden in die Studie miteinbezogen. Aus den normal betretenen Flächen konnte rund ein Viertel weniger Pilze gesammelt werden als auf Flächen ohne Betreten.

Auch hier scheint der Einfluss jedoch nur vorübergehend zu sein. WSL-Pilzforscher Simon Egli gegenüber swissinfo: «Offenbar wird das Pilzmycel im Boden durch das Betreten nicht geschädigt. Lediglich die Fruchtkörperbildung wird unterdrückt.»

Mengenbeschränkung nein, Schonzeit ja

Die Schweizerische Kommission für die Erhaltung der Pilze (SKEP) hat bereits auf die WSL-Ergebnisse reagiert. Sie sprach sich für eine Aufhebung der Mengenbeschränkung aus. Bei Missbräuchen sollten die Kantone jedoch Massnahmen ergreifen.

Im Sinne einer Vorsorge empfiehlt die SKEP jedoch, weiterhin 7 Tage pro Monat als Schonzeit mit einem Pilzsammelverbot zu belegen. Damit könnten genügend Fruchtkörper zur Reife gelangen, was ein Absporen gewährleiste und langfristig das Überleben der Pilze in der ganzen Schweiz sichere. Die SKEP fordert gleichzeitig landesweit harmonisierte Schutzbestimmungen.

Kantone reagieren skeptisch

Fritz Hirt, Leiter Fachstelle Naturschutz im Kanton Zürich, möchte die WSL-Studie zuerst im Detail prüfen, bevor er sich dazu äussert. Ob die Resultate von lediglich zwei untersuchten Flächen im Kanton Freiburg allgemeine Schlüsse zuliessen, müsse diskutiert werden, sagte er gegenüber swissinfo.

Die geltenden Sammelbestimmungen machten aus anderen Gründen durchaus Sinn, betont Hirt. So könne mit der Beschränkung von 1 kg pro Tag und Person das «gewerbsmässige» Sammeln verhindert werden. Und die Schonzeiten (1. bis 10. jeden Monats) hätten den positiven Nebeneffekt, dass es weniger Störungen des Wilds gebe, vor allem in entlegenen Waldgegenden.

Thomas Eberhard, Naturschutzinspektor im Kanton Bern, gibt zu bedenken, dass 30 Jahre eine kurze Zeit im Leben der Pilze seien; diese könnten über 1000 Jahre alt werden. Eberhard, sieht derzeit keinen Anlass, die Sammel-Bestimmungen im Kanton Bern zu ändern. Mit einer Mengenbeschränkung beim Sammeln werde auch das Gebot der Nachhaltigkeit besser erfüllt.

Wichtige Rolle des Klimas und Stickstoffeintrags

Die Untersuchung im Pilzreservat La Chanéaz ist national wie international einzigartig. Zum einen wurden zwei sehr repräsentative Waldtypen der Schweiz ausgewählt. Und nirgendwo auf der Welt wurde bisher über einen so langen Zeitraum und mit einer so ausgeklügelten Versuchsanordnung die Entwicklung der Pilzflora untersucht.

Etwas Vergleichbares liegt aus Oregon/USA aus den 1980er-Jahren vor. Auch dort hat eine 13-jährige Studie keine Auswirkungen des Sammelns von Eierschwämmen auf die Fruchtkörperbildung der nächsten Saison ergeben.

Schweizer Pilzforscher beobachten indessen eine Abnahme der Pilzvielfalt, wie eine demnächst präsentierte Rote Liste darlegen wird. Doch mit dem Pilzsammeln hat das nichts zu tun: «Standortveränderungen, Fremdstoffeinträge und klimatische Verhältnisse haben einen grösseren Einfluss auf die Artenvielfalt und Menge von Pilzen als das Pilzesammeln», sagt Simon Egli.

Einen entscheidenden Einfluss habe der von Landwirtschaft, Industrie und Verkehr verursachte Stickstoffeintrag aus der Luft. Forschungen in Moosböden hätten gezeigt, dass Stickstoff das unterirdische Pilzgeflecht nachhaltig beeinträchtigt.

Ferner sind trockene Sommer schlecht für Bäume und Pilze, die miteinander in einer Symbiose leben. «Pilze versorgen Waldbäume mit Nährstoffen und erhöhen damit ihre Resistenz gegen Umweltstress», so Egli. Umgekehrt liefern die Bäume den Pilzen Zucker. Weniger Zucker schränkt die Ausbildung von Pilzfruchtkörpern ein.

swissinfo, Stefan Hartmann

Pro Jahr werden in der Schweiz 750’000 Kilo Speisepilze gesammelt (konservative Schätzung, 1998).

1992 – 2003 wurden von den Pilzkontrollstellen im Kanton Zürich 10’000 Kilo ungeniessbare und giftige Pilze aussortiert, darunter auch 87 Kilo tödlich giftige Knollenblätterpilze.

Die beliebtesten drei Speisepilze in der Schweiz: Steinpilze, Eierschwämme und Morcheln.

Pilze sammeln war in der Schweiz bis Anfang der 1970er-Jahre uneingeschränkt erlaubt. Als Sammlerkreise den Rückgang gewisser Speisepilze beklagten, erliess der Kanton Obwalden 1972 Mengen-Beschränkungen. 1975 zog Graubünden nach und führte auch Schontage ein.

Auf eine parlamentarische Anfrage hin beauftragte der Bund die heutige WSL mit der Durchführung einer wissenschaftlichen Langzeitstudie in zwei Pilzreservaten im Kanton Freiburg.

In den meisten Kantonen gibt es Sammel-Beschränkungen (Ausnahme: AG, GE; VS, ZG; NE, BS und BL). Pro Tag dürfen nicht mehr als ein bis zwei Kilo gesammelt werden.

Verstösse gegen die Pilzverbote werden mit Bussen geahndet – mit 50 Franken pro Kilo Übergewicht.

Jüngst wurden im Tessin Pilzfrevler mit insgesamt 140 Kilo Speisepilzen angehalten und gebüsst.

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