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Plädoyer für einen volksnahen Autorenfilm

Nicolas Bideau hat für den Schweizer Film 35,7 Millionen Franken zur Verfügung. Keystone

Nicolas Bideau ist der neue Verantwortliche der Sektion Film im Bundesamt für Kultur. Er hofft auf die Wiedergeburt des Schweizer Autorenfilms.

Bideau wurde im Juli vom neuen Direktor des Bundesamtes für Kultur (BAK), Jean-Frédéric Jauslin, ernannt. Er nimmt seine Arbeit am 1. Oktober auf.

In der Schweizer Kulturpolitik gab es im letzten Jahr tiefgreifende Umwälzungen: Der Direktor des Bundesamtes für Kultur, David Streiff, kündigte sein Amt, genauso wie der Verantwortliche der Sektion Film, Marc Wehrlin.

Den Ausschlag gab unter anderem die Auseinandersetzung mit Kulturminister Pascal Couchepin. Das BAK hatte einen kontroversen Film finanziell unterstützt, in dem der freisinnige Bundesrat kritisiert wurde.

Die beiden Stellen wurden nun mit zwei Romands neu besetzt: Jean-Frédéric Jauslin und Nicolas Bideau. swissinfo sprach mit dem neuen «Mister Film» über Ziele und Absichten im neuen Amt.

swissinfo: Sie sind in einer Künstlerfamilie aufgewachsen. Warum wollten Sie nicht in die Fussstapfen Ihrer Eltern treten?

Nicolas Bideau: Ich bin in Genf, in einer sehr calvinistischen Gegend aufgewachsen. Da war es schwierig, den gleichen Weg einzuschlagen. Als junger Mann hatte ich zwei grosse Leidenschaften: den Film und die Kultur im Allgemeinen sowie die internationalen Beziehungen.

Meine zweite Leidenschaft hatte nichts mit meinen Eltern zu tun. Und um mir selber einen Namen zu machen, wählte ich diesen Weg. Jetzt kann ich zu meiner ersten Leidenschaft zurückkehren. So schliesst sich ein Kreis.

swissinfo: Künstler und Regisseure leben häufig in einer finanziellen Unsicherheit. Dies gilt sogar für Schweizer Filmschaffende, die mehrfach ausgezeichnet wurden…

N.B.: Die Situation des Schweizer Films ist tatsächlich sehr schwierig. Wir haben keine wirkliche Filmindustrie, da es keine kritische Masse an einheimischem Publikum gibt. Der Markt kann die Produktion nicht regulieren.

Der deutsche, französische oder italienische Film könnte den Schweizer Film restlos ersticken, wenn nur Marktmechanismen gelten würden. Je grösser ein Land ist, desto einfacher ist es zudem, Talente zu finden.

Unsere einheimischen Filmschaffenden müssen häufig diverse Berufe gleichzeitig machen: Lehrer, Cutter, etc. Daher sind die staatlichen Subvention bei uns so wichtig. Ich bin deshalb überzeugt, dass es richtig ist, sich in diesem Moment auf einige sehr begabte Filmschaffende zu konzentrieren und diese über längere Zeit zu unterstützen. Dies hat langfristig auch kommerzielle Vorteile.

swissinfo: Es gibt eine hitzige Debatte über die Frage, ob es gerechtfertigt ist, die Ausstrahlung von Filmen in den Kinosälen mit zusätzlichen Finanzen zu stützen.

N.B.: Wenn viele Personen einen Film anschauen, bedeutet dies nicht, dass der Film unbedingt ein kommerzielles Produkt ist. Die öffentliche Finanzierung der Filme hat zu 80 Prozent selektiven Charakter.

Das heisst: Wir unterstützen bestimmte Projekte auf Grund der Vorschläge von Filmschaffenden oder Produzenten. Die restlichen 20 Prozent fallen unter «automatische Hilfen» für Filme, die einen grossen Publikumserfolg hatten und teilweise schon von der selektiven Hilfe profitierten.

Ich finde dieses System richtig. Wir müssen auf alle Fälle Autorenfilmen den Vorrang geben.

swissinfo: In einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz gibt es zudem das Problem der Sprachminderheiten, die gefördert werden müssen.

N.B.: Tatsächlich braucht es korrigierende Eingriffe, um die Pluralität in diesem Land und das Gleichgewicht zwischen den Sprachregionen aufrecht zu erhalten. Ein guter Autorenfilm hat jedoch einen Wert für alle Sprachregionen.

Es gibt aber ein Problem bei der Promotion von Filmen aus der Deutschschweiz im Welschland und umgekehrt. Wenn es einen «Röstigraben» gibt, liegt es vielleicht auch daran, dass unsere Filme bei den Nachbarn im eigenen Land nicht ankommen.

swissinfo: Wenn sich die Schweiz keine wirkliche Filmindustrie leisten kann, dürfte der Autorenfilm wohl eine Alternative sein, so wie es in Dänemark geschehen ist?

N.B.: Genau dies ist mein Ziel. Die deutsche Schweiz ähnelt Dänemark schon wegen des Dialekts ein wenig. Mit der Sprache kann man ein Publikum binden. Filme in Schweizerdeutsch erzeugen eine gewisse kulturelle Identität.

Das dänische System hat es erlaubt, Autorenfilme zu unterstützen, die zu echten Publikumsrennern geworden sind. Das ist für mich die Zauberformel.

Ein anderes Beispiel ist Belgien, das uns als Land auf Grund seiner Mehrsprachigkeit ähnelt. Die letzte Goldene Palme ging an die Brüder Dardenne, die ganz einfache Filme über familiäre und soziale Probleme drehen.

Mir gefallen Autoren, die sich auf ein Genre einlassen. Das kann ein Liebes- oder Polizeifilm sein. Zwei Deutschschweizer Filme. «Verflixt verliebt» und «Strähl» gehen in diese Richtung. Es sind eigentlich einfache Filme, doch die Regisseure schaffen es, mit den Schauspielern und den Geschichten innovativ umzugehen.

swissinfo-Interview: Raffaella Rossello
(Übertragen aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Nicolas Bideau, Jahrgang 1969, ist in einer Künstlerfamilie aufgewachsen.
Seine Mutter ist Regisseurin und sein Vater ein bekannter Schauspieler, Jean-Luc Bideau.
Nicolas Bideau hat Politikwissenschaften in Lausanne und Paris studiert, zudem Sinologie in Peking.
1999 begann er eine Diplomatenkarriere beim Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
2003 war Bideau Assistent von Bundesrat Pascal Couchepin in dessen Präsidialjahr.
Von 2004 bis 2005 hat er das Kulturkompetenz-Zentrum im EDA geleitet.

Das öffentliche Finanzierungssystem für den Schweizer Film, von der Produktion bis zum Marketing, hängt von einem parlamentarischen Rahmenkredit ab. Für die Legislaturperiode 2004-2007 beträgt dieser 23 Millionen Franken.

Weitere Mittel stammen direkt von der Abteilung Film im Bundesamt für Kommunikation (BAK), die über 12 bis 15 Millionen Franken verfügt.

Im Jahr 2004 haben zirka fünf Prozent der einheimischen Bevölkerung einen Schweizer Film gesehen. Im Jahr 2003 waren es sechs Prozent.

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