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Pompeji: Virtuelle Reise in die Vergangenheit

Virtuelle römische Bar in Pompeji. swissinfo.ch

Besucher können für einen Tag eintauchen in das Pompeji vor 2000 Jahren. Dank einer in Genf und Lausanne entwickelten Technologie.

Durch das Projekt LifePlus wird es möglich, 3D–Bilder von Dekoration, Tieren, Pflanzen und Menschen in die Ruinen einzufügen.

Nur mit einer 3D-Brille ausgestattet, erweckt der Besucher die Ruine einer römischen Bar plötzlich zu neuem Leben: Der Kellner füllt die Becher der Gäste mit Gewürzwein, während im anliegenden Raum ein eleganter Zenturion eine anziehende Schönheit umwirbt. Und im Hof unter der Laube spazieren zwei eifrig diskutierende Frauen, in römische Gewänder gekleidet.

Im gegenwärtigen Entwicklungsstadium des Prototyps werden diese Bilder in einem kleinen Computer generiert, welcher in einem kleinen Rucksack mitgetragen wird. Ziel ist es jedoch, dass eine kleine Apparatur, die auf dem Kopf getragen wird, diese Bilder eines Tages über Wellen empfängt und projiziert.

Beinahe perfekte Realität

Der Rechner, welcher diese Bilder generiert, wurde durch MIRALab entwickelt, einem der Universität von Genf angeschlossenen Labor für virtuelle Simulationen. Eine grosse Anzahl von Studenten beteiligte sich im Rahmen ihres Doktorats an diesem Projekt.

Um ihre Bilder so realistisch wie möglich zu gestalten, arbeiteten die Informatiker gemeinsam mit Historikern, die ihnen die Informationen dazu gaben, welche Art von Kleidung die Römer trugen, wie die Stoffe drapiert waren und wie sich die Leute damals verhielten.

Nicht zu vergessen dabei sind die Bewegungen der Haare, Gesichtsausdruck und Aussagen, Details, welche vom Laborteam mit besonderer Sorgfalt bedacht wurden.

MIRALab entwickelte auch neue Algorithmen, um eine Geschwindigkeit der Bildabfolge im Bereich von Millisekunden zu erreichen. Damit laufen die virtuellen 3D-Szenen in Normalgeschwindigkeit ab.

Wie in Hollywood

Eine entscheidende Partnerschaft ging das Schweizer Projekt mit dem englischen Unternehmen 2D3 aus Oxford ein, welches die Filmindustrie weltweit mit ihren Rechnern beliefert. Auf diese Weise gelingt es den Produzenten, synthetische Bilder in eine reale Umgebung einzufügen.

«Im Film ‹Troja› sind die griechischen Soldaten, welche aus ihren Schiffen steigen, Synthesebilder», erklärt Andrew Stoddart, Ingenieur bei 2D3. «Zuerst wurde der leere Strand aus einem Helikopter gefilmt. Dann muss man wissen, wo die künstlich kreierten Objekte und Personen im natürlichen Bild platziert werden sollen.»

Der Rechner von 2D3 lädt zuerst die mit der Kamera gedrehten Bilder herunter. Dann findet er eine gewisse Anzahl von Fixpunkten darin, an denen er sich während der ganzen Szene und beim anschliessenden Einfügen der synthetischen Bilder orientiert.

Eine Frage der Geschwindigkeit

«Das Problem besteht darin, dass wir unter Umständen für nur einige Sekunden im Film mehrere Stunden arbeiten müssen», gibt Stoddart zu bedenken. «Wir mussten also zu Beginn des Projekts Pompeji die Geschwindigkeit unserer Prozessoren um einen Faktor Tausend erhöhen.»

In diesem Bereich leistete die ETH Lausanne einen entscheidenden Beitrag: «Sie haben ein Mittel gefunden, um die Programme, welche die synthetischen Bilder generieren, und diejenigen, welche die Fixpunkte erkennen, perfekt zu synchronisieren», erklärt Nadja Magnenat–Thalmann, Koordinatorin des Projekts LifePlus.

Überhöhte Realität

Als Koordinatorin ist sie stolz auf das Resultat, das ihre Gruppe erzielt hat. «Was hierbei absolut neu ist, ist die Unmittelbarkeit», freut sich Magnenat-Thalmann. «Viele Leute arbeiten auf diesem Gebiet, aber bis jetzt konnte man nur Bilder von Gebäuden oder fixe Szenen in Realzeit erhalten.»

«In unserem Fall handelt es sich nicht mehr nur um virtuelle Realität, sondern um überhöhte Realität», fügt die Professorin hinzu.

Weiterer Nutzen

Dieselbe Technologie könnte in Zukunft auch in medizinischen Bereichen von Nutzen sein, um Chirurgen 3D-Bilder der inneren Organe ihrer Patienten zu liefern.

In nächster Zeit jedoch sagt Andrew Stoddart ihr eine glänzende Karriere innerhalb der Fernsehindustrie voraus.

«Stellen Sie sich ein Interview vor, zu dem Sie kleine animierte Objekte hinzufügen könnten, die sich auf dem Tisch in realer Geschwindigkeit bewegen, so als ob sie lebendig wären. Dabei handelt es sich um eine mögliche Anwendung dieser Technologie, die kurz davor steht, auf Ihren Bildschirmen zu erscheinen», prophezeit der Ingenieur.

swissinfo, Julie Hunt, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Antonia Renggli)

LifePlus ist ein Projekt des Labors MIRALab der Universität Genf, an dem das Labor für virtuelle Realität der ETH Lausanne und das Unternehmen 2D3 aus Oxford (England) beteiligt sind.

Es handelt sich dabei um ein System von «überhöhter Realität», bei dem es mittels spezieller 3D-Brillen möglich ist, synthetische Bilder über die Ruinen von Pompeji in ihrem aktuellen Zustand zu projizieren.

Dadurch entsteht die Illusion, dass man am täglichen Leben der römischen Stadt vor ihrer vollständigen Zerstörung durch einen Ausbruch des Vulkans Vesuv teilhat, bei dem Pompeji in einem Meer von Lava und glühender Asche unterging. Die virtuellen Personen bewegen sich in realer Zeit.

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